Düsseldorf. Juristisch hat Limbach die mysteriöse OVG-Personalie vorerst überstanden. Politisch längst nicht. . Und über allem schwebt: Karlsruhe.
Auch nach der juristischen Klärung der umstrittenen Besetzung des Präsidentenamtes beim Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster bleibt NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) politisch weiter unter Druck.
Der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Landtag, Werner Pfeil (FDP), will Limbach das alleinige Besetzungsrecht für die 14 Stellen der Präsidenten der Obergerichte und Generalstaatsanwälte in Nordrhein-Westfalen entziehen. „Allein der böse Schein eines nicht fairen und nicht transparenten Verfahrens soll bei der Besetzung der höchsten Richterämter in NRW nach den Erfahrungen der Besetzung der Präsidentenstelle des OVG Münster zukünftig vermieden werden“, so Pfeil.
Nach monatelangem Streit hatte das OVG vergangene Woche entschieden, dass eine langjährige Bekannte Limbachs neue Präsidentin in Münster werden darf. Vorwürfe einer „manipulativen Verfahrensgestaltung“, die zuvor das Verwaltungsgericht Münster festgestellt hatte, hätten sich nicht als belastbar erwiesen. Auch ein Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf, das Limbachs Besetzung als rechtswidrig eingestuft hatte, wurde aufgehoben.
Justiz-Affäre in NRW: Auch Eidesstattliche Versicherung beeindruckte OVG offenbar nicht
Geklagt hatten ein Abteilungsleiter des Justizministeriums, der den Posten eigentlich bekommen sollte, und ein Bundesrichter, dem die höchste Rechtsprechungskompetenz im Bewerberfeld bescheinigt wird. Wie erst jetzt bekannt wurde, konnte das OVG nicht einmal in einer bemerkenswerten „Eidesstattlichen Versicherung“ des Bundesrichters eine unzulässige Vorfestlegung Limbachs erkennen. In dem Dokument wird detailliert geschildert, wie die Landesregierung versucht haben soll, den Top-Juristen von seiner Bewerbung abzubringen.
Unter anderem habe sich der Justiziar der CDU/CSU-Bundestagsgruppe, Ansgar Heveling, in einem sehr frühen Verfahrensstadium bei ihm gemeldet. „Herr Heveling unterrichtete mich, dass man sich in Koalitionskreisen in Düsseldorf wünsche, dass eine Frau OVG-Präsidentin werde. Dies sei vor allen Dingen ein Wunsch der Grünen“, heißt es in der „Eidesstattlichen Versicherung“ wörtlich.
CDU-Bundestagsabgeordneter bestätigt Vorabsprachen mit Bewerber
Heveling bestätigte am Donnerstag gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger „die referierten Gesprächsinhalte“ und erläuterte, er habe Staatskanzleichef Nathanael Liminski (CDU) damals „angeboten, mich mit dem Bewerber, der als Bundesrichter tätig ist, über das OVG NRW auszutauschen“. In Justizkreisen wird jetzt erwartet, dass der Bundesrichter das zweifelhafte Bewerbungsverfahren final beim Bundesverfassungsgericht angreift. Bis zum 15. März müsste ein entsprechender Antrag in Karlsruhe gestellt werden.
Der Fall zieht inzwischen auch in Berlin Kreise. „Ich habe die klare Erwartung, dass die Landesregierung jetzt endlich reinen Tisch macht, wie sie Einfluss auf das Auswahlverfahren für das Präsidentenamt beim Oberverwaltungsgericht genommen hat“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete und Rechtspolitiker Dirk Wiese und sprach von einem „erheblichen Flurschaden in der gesamten Justiz“.
Sollte die nordrhein-westfälische Justiz-Affäre in Karlsruhe geklärt werden, würde es um eine ungewöhnliche Grundsatzfrage gehen: Wurde in dem Bewerbungsverfahren das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern verletzt? Bis zur Klärung könnte Limbachs Favoritin, die zurzeit als Abteilungsleiterin im NRW-Innenministerium arbeitet und schon seit vielen Jahren nicht mehr in der Justiz tätig ist, ihr Amt in Münster nicht antreten. Politisch heikler wäre gleichwohl, dass die Begleitumstände dieser Personalentscheidung noch einmal eingehender beleuchtet werden müssten.
Eidesstattliche Versicherung weckt Zweifel an objektiver Bestenauslese
Wenn man die „Eidesstattliche Versicherung“ des Bundesrichters genau liest - und seiner Darstellung widerspricht bislang niemand -, kommen Zweifel, dass allein die unabhängige Bestenauslese der Fachabteilung des Justizministeriums ausschlaggebend gewesen sein soll. Formal macht der Justizminister für die Präsidentenämter bei den nordrhein-westfälischen Obergerichten zwar schon immer einen Besetzungsvorschlag, der vom Landeskabinett abgesegnet werden muss. Richterbesetzungen in NRW sollen aber aus Achtung vor der Gewaltenteilung nach dem Prinzip objektiver Vergleichskriterien und nicht nach politischen oder persönlichen Vorlieben der jeweiligen Regierung erfolgen.
In der „Eidesstattlichen Versicherung“ des Bundesrichters ist dagegen von einem Anruf des CDU-Bundestagsabgeordneten Heveling ein oder zwei Wochen vor dem Deutschen Juristentag vom 21. bis 23. September 2022 die Rede. Die nachträglich ins Verfahren genommene Bewerbung ums OVG-Präsidentenamt der Limbach-Favoritin, die sie bei einem privaten Abendessen mit dem Justizminister kurz nach dessen Amtsantritt am 20. Juli angekündigt hatte, ging erst am 13. September 2022 ein. Sprich: Zum Zeitpunkt des Heveling-Anrufs gab es weder eine Dienstbeurteilung, noch konnte die zuständige Personalabteilung des Justizministeriums überhaupt wissen, wer die Besetzungsliste nach einem objektiven Vergleich Monate später anführen würde.
Umso erstaunlicher, dass Heveling aus Düsseldorfer Koalitionskreisen bereits den Wunsch vernommen hatte, eine Frau solle OVG-Präsidentin werden. Dazu muss man wissen, dass der Jurist vom Niederrhein vom Fach ist und als Justiziar der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Koordination von Justizpersonalangelegenheiten zuständig. Warum er sich mandatiert fühlte, Gespräche in Sachen OVG in NRW zu führen, erschließt sich nicht richtig. „Man merkte ihm an, dass es ihm unangenehm war, das Gespräch zu führen, da wir uns allenfalls flüchtig kannten“, heißt es in der „Eidesstattlichen Versicherung“. Der Bundesrichter hat ebenso wie die Limbach-Favoritin, die lange für das Kommissariat der deutschen Bischöfe gearbeitet hat, ein CDU-Parteibuch.
OVG fehlte letzter Beleg für die Befangenheit des Ministers
Die Absicht, einen aussichtsreichen Bewerber aus dem Feld zu schieben, scheint für den Laien auf der Hand zu liegen: „Herr Heveling ergänzte noch, dass ihm bewusst sei, dass es der Üblichkeit entspräche, in einer solchen Situation etwas zur Kompensation anzubieten, er könne mir aber konkret nichts anbieten, außer dass man mein kooperatives Verhalten in der Zukunft nicht vergessen werde“, heißt es in der „Eidesstattlichen Versicherung“.
Das OVG bezweifelt in seinem Urteil gar nicht, dass es im politischen Raum solche Absprachen gegeben hat, doch fehlte ihm am Ende der Beleg, dass sie das Ergebnis von Limbachs Auswahlentscheidung beeinflusst haben. Auch ein inzwischen fast legendäres Gespräch zwischem dem Justizminister und dem Bundesrichter am 11. November 2022 in Düsseldorf ging für das OVG nicht als unzulässige Vorfestlegung durch. Limbach habe damals mitgeteilt, dass er „einen Vorsprung“ seiner Favoritin sehe, heißt es in der „Eidesstattlichen Versicherung“. Die Fachabteilung des Justizministeriums hatte zu diesem Zeitpunkt noch gar keinen Vergleich der Bewerbungen angestellt. Und weiter: „Außerdem forderte der Minister mich auf, meine Bewerbung zurückzunehmen.“ Da der Bundesrichter aber in seiner Erinnerung auch nicht ausschließen konnte, dass der Justizminister die von ihm behauptete Formulierung wählte, er möge seine „Bewerbung überdenken“, erkannte das OVG bloß eine zulässige Voreinschätzung des Ministers. „Überdenken Sie bitte Ihre Bewerbung“ klingt zwar im normalen Leben wie ein vergiftetes Angebot, das man nicht ablehnen kann, in der Juristerei gelten aber andere Maßstäbe. Ein kurz darauf geführtes Gespräch des Bundesrichters mit Staatskanzleichef Liminski, der zu diesem Zeitpunkt mit dem Verfahren gar nicht hätte befasst sein dürfen, „wich nicht wesentlich von dem mit Minister Limbach geführten Gespräch ab“, so die „Eidesstattliche Versicherung“.
Da es sich um ein Eilverfahren handelte, sah das OVG keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung. Das heißt: Ob Limbach den Rechtsausschuss des Landtags über den Inhalt seiner Bewerbungsgespräche belogen hat und in dem Besetzungsverfahren deutlich befangener agierte, als er es bislang zugab, konnte angeblich nicht tiefer recherchiert werden. Dass ein Bundesrichter weiß, dass bei Abgabe einer „Eidesstattlichen Versicherung“ alles bis aufs letzte Komma wasserdicht sein muss, darf gleichwohl vorausgesetzt werden. Warum Limbach und Liminski überhaupt stattliche 14 Bewerbungsgespräche für ein hohes Richteramt führten, ohne angeblich Einfluss nehmen zu wollen, blieb ebenso offen. Möglicherweise nimmt sich jetzt Karlsruhe der Sache an. Oder es wächst Gras drüber. Bis zum nächsten Besetzungsstreit in der Justiz.