Bukarest. Die EU-Kommissionspräsidentin ist nun Spitzenkandidatin für die Europawahl. Für ihre Politik macht die Partei ihr strenge Vorgaben.
Europa zu dienen sei die Ehre ihres Lebens, bedankte sich Ursula von der Leyen schon vor der Abstimmung für ihre Nominierung: Die EU-Kommissionspräsidentin aus Deutschland zieht als Spitzenkandidatin für die europäischen Christdemokraten in den Europawahlkampf. Ein Parteitag der Europäischen Volkspartei (EVP) nominierte die frühere deutsche Verteidigungsministerin am Donnerstag in Bukarest für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin bis 2029.
Bei der Abstimmung ohne Gegenkandidaten votierten 80 Prozent der 499 Delegierten für von der Leyen. Der als Krönungsmesse inszenierte Konvent machte der deutschen Politikerin jedoch strenge inhaltliche Vorgaben, die ihren Spielraum massiv einengen werden.
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Wenn die 65-Jährige nach der Wahl am 9. Juni im wichtigsten Amt der Europäischen Union weitermachen kann, was bislang als wahrscheinlich gilt, muss sie nach dem Willen ihrer Partei den Kurs ihrer Kommission deutlich ändern: weniger Umweltschutz, weniger Regulierung, dafür mehr Verteidigung – und einen harten Kurs in Europas Asylpolitik.
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Von der Leyen hält kämpferische Rede
Von der Leyen rief in einer kämpferischen Rede zu stärkeren Verteidigungsanstrengungen Europas auf. Sie nannte den Einsatz für Frieden, Sicherheit, Freiheit und Wohlstand als Schwerpunkt ihrer Wahlkampagne. Dabei nahm sie Kritikpunkte aus ihrer Partei auf und warb etwa dafür, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu stärken und Bürokratie abzubauen. „Es gibt keinen Klimaschutz ohne wettbewerbsfähige Wirtschaft“, sagte sie.
Damit ging von der Leyen erkennbar auf ihre Partei zu, doch sind deren Erwartungen noch deutlich größer. Am sichtbarsten wurde die Forderung nach einem Kurswechsel beim Thema Migration. Die EVP kündigt einen „grundlegenden Wandel in der europäischen Asylgesetzgebung“ an und will Asylbewerber möglichst gar nicht mehr in Europa versorgen. Das Programm verlangt in klarer Abgrenzung zur bisherigen Kommissionslinie, dass jeder, der sich in der EU um Asyl bewirbt, auch in ein sicheres Drittland gebracht werden kann, um dort das Asylverfahren zu durchlaufen.
„Man muss die Ankunftszahlen von Asylbewerbern in Europa senken“
Bei einer positiven Entscheidung soll der Drittstaat Asyl gewähren. Die EVP erteilt von der Leyen damit den Auftrag für jenes umstrittene Modell, das die britische Regierung gern mit dem ostafrikanischen Ruanda umsetzen würde, sofern sich die viele Widerstände aus dem Weg räumen lassen. „Man muss die Ankunftszahlen von Asylbewerbern in Europa senken“, sagte EVP-Präsident Manfred Weber (CSU).
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Parteichef Weber hatte sich seit einem Jahr darum bemüht, von der Leyen auf einen stärker christdemokratischen und konservativen Kurs einzuschwören, auch um den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa zu bremsen. Bei einem Teil der europäischen Christdemokraten gibt es seit Langem Kritik an der amtierenden Kommission und an von der Leyen persönlich wegen ihrer Umweltpolitik des „Green Deal“ und immer neuen Auflagen für Industrie und Landwirtschaft.
Von der Leyen soll nicht brüskiert werden
Die zur EVP gehörenden französischen Republikaner hatten im Vorfeld scharf mit von der Leyen abgerechnet und versagten ihr beim Konvent demonstrativ die Unterstützung. Der Chef der Republikaner-Gruppe im EU-Parlament, François-Xavier Bellamy, warf von der Leyen vor, sie überhäufe die Wirtschaft mit Bürokratie und sei keine Freundin der Landwirte, ähnlich äußerte sich der frühere Brexit-Chefverhandler der EU, Michel Barnier.
Solche Kritik findet sich zu von der Leyens Gesichtswahrung im Programm allenfalls freundlich verpackt: So wird die führende Rolle Europas in der Klimapolitik betont, verbunden mit der Mahnung, der Green Deal dürfe „keine neue Ideologie“ von Grünen und Sozialdemokraten sein, sondern müsse eng mit der Wirtschaft und der Gesellschaft abgestimmt werden. Die Konservativen wenden sich dagegen, bestimmte Technologien vorzuschreiben oder zu verbieten, wie es auch die Kommission beim Klimaschutz versucht hat.
Weber kündigte kurz vor dem Konvent an, die EVP wolle nicht nur einen umfassenden System-Check bei den EU-Umweltgesetzen machen, sondern auch das Aus für Verbrenner-Autos ab 2035 wieder rückgängig machen, das die Kommission initiiert hatte. So weit geht das Programm nicht: Webers Forderung fand sich zwar noch in Entwürfen, aus dem endgültigen Manifest wurde sie aber gestrichen, um die Spitzenkandidatin nicht zu brüskieren.
Eine Zusammenarbeit mit der AfD wird ausgeschlossen
Von der Leyen hat bereits vorsichtige, vor allem rhetorische Zugeständnisse gemacht, sie hat etwa einen formalen Dialog mit Landwirten begonnen oder Teile ihres Green Deal vertagt. Was sie im Fall einer zweiten Amtszeit tatsächlich umsetzen wird, ist unklar. Um ihre Wiederwahl durch das EU-Parlament zu erreichen, muss die Präsidentin auch Rücksicht auf inhaltliche Forderungen anderer Parteien nehmen, vermutlich auch auf die der Sozialdemokraten und Grünen.
Von der Leyen hält sich in Absprache mit Weber aber auch offen, mit Parteien rechts der Christdemokraten zu kooperieren – gedacht ist etwa an die Rechtsaußen-Partei Brüder Italiens der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni, die bei der Wahl von der Leyens im Parlament entscheidende Stimmen beisteuern könnte. Zur Bedingung für Bündnisparteien machen von der Leyen und Weber aber einen proeuropäischen Kurs, Rechtsstaatlichkeit und die Unterstützung der Ukraine. „Es gibt für uns eine klare Brandmauer gegenüber allen Rechtsradikalen auf dem Kontinent“, sagt Weber, der auch CSU-Vize ist. Eine Zusammenarbeit mit der AfD schloss er ausdrücklich aus