Brüssel/Berlin. EVP-Chef Weber ruft CDU und CSU zur Kurskorrektur auf – und will eine Forderung der AfD ins Zentrum des Europawahlkampfes stellen.

  • Manfred Weber ist CSU-Politiker und Partei- sowie Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei
  • Im Interview ruft er CDU und CSU zu einer Kurskorrektur auf
  • Außerdem fordert er: Die Politik der Union muss zurück zu Merkels "Wir schaffen das"

Manfred Weber schaltet sich per Video zu – und schlägt im Interview eine neue Strategie gegen die AfD vor. Der Chef der Christdemokraten in Europa und Vizevorsitzende der CSU empfiehlt der Union, sich an einem Satz von Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) zu orientieren.

Herr Weber, die AfD ist in den Umfragen zur zweitstärksten Partei in Deutschland aufgestiegen, hat erste kommunale Spitzenämter erobert. Beunruhigt Sie das?

Manfred Weber: In Europa haben wir den Aufstieg von Populisten und Radikalen seit Jahren. Deutschland war bisher relativ immun – auch weil es innenpolitisch stabil geführt wurde in den Merkel-Jahren. Jetzt haben wir eine Entwicklung, die der in anderen Ländern ähnelt. Umso wichtiger ist, dass die demokratische Mitte richtige Antworten gibt.

Nämlich?

Weber: Die AfD will die Europäische Union abschaffen. Das ist ein fundamentaler Angriff auf die historischen Errungenschaften der Union. Wir werden das Erbe von Adenauer, Strauß, Kohl und Merkel verteidigen – und die zerstörerische Idee der AfD in den Mittelpunkt des Europawahlkampfs im kommenden Jahr stellen. Ein Kampf um die Seele Europas steht bevor – auch in Deutschland.

Helmut Kohl hatte den Mut, den Euro einzuführen. Heute müssen wir wieder den Aufbruch wagen. Wir müssen den Mut haben, den militärischen Pfeiler der EU aufzubauen. Das ist das Gebot der Stunde. Wir wollen ein starkes Europa, das verteidigt und die Sicherheit der Menschen garantiert – und nicht das Europa der AfD, das im Gegeneinander zerbröselt und an der Seite von Putin und anderen Diktaturen steht.

Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament in Brüssel.
Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament in Brüssel. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Die Ampelregierung hat viele Menschen verunsichert – Stichwort Heizungsgesetz. Warum profitiert davon nur die AfD? Weshalb werden CDU und CSU nicht als bessere Alternative wahrgenommen?

Weber: Wir haben in Deutschland eine angstgetriebene Politik. Es ist die Angst vor großen Veränderungen: Künstliche Intelligenz, globaler Handel, Klimawandel, Krieg. Wir müssen rauskommen aus dieser angstgetriebenen Debatte, die von den Radikalen und Schreihälsen rechts und links geschürt wird. Die Union muss die Kraft sein, die Hoffnung macht und zeigt: Wir schaffen das! Wir haben alle Chancen als Deutsche und Europäer, wenn wir zusammenhalten und Optimismus ausstrahlen.

Optimismus ausstrahlen – greift das nicht zu kurz?

Weber: Optimismus und Zukunftsorientierung sind wichtige Voraussetzungen für gute Politik. Der Kurs von CDU und CSU muss sein: Klare Konzepte vorlegen. Wer Rechtsnationalisten bekämpfen will, muss sich den Themen stellen – auch dem Migrationsthema. Zweitens: Wir müssen einen angemessenen Ton finden und in einer bürgerlichen Sprache sprechen ...

... gerade in Ihrer Partei greift man rhetorisch gern zum Holzhammer.

Weber: Wir sind gut beraten, einen bürgerlichen Stil zu pflegen, und das macht die CSU. Und drittens, das ist mir das Allerwichtigste: Wir dürfen Probleme nicht nur beschreiben, wir müssen sie lösen. Wir müssen Antworten geben, die tragfähig sind. Das ist die beste Methode, Populismus und Radikalismus zu bekämpfen.

Was bedeutet das – ganz konkret – für die Asylpolitik? Wann werden unsere Kommunen entlastet? Wann endet das Sterben im Mittelmeer?

Weber: Der Beschluss der europäischen Innenminister zeigt, dass wir endlich einer tragfähigeren Lösung nahekommen. Europa kann diese Wunde schließen. Zentral ist die Kontrolle an der EU-Außengrenze. Wir müssen dort schnell klären, ob ein ankommender Migrant einen Bleibestatus bekommt.

Diese Asylzentren sind ein Schlüssel für die Lösung des Problems – zusammen mit den Partnerschaften, die wir mit Herkunftsländern schließen, damit wir abgelehnte Asylbewerber schnell zurückführen können. Ich begrüße sehr, dass die Ampelregierung in dieser Frage jetzt auf dem Kurs des früheren CSU-Innenministers Horst Seehofer ist.

Polen und Ungarn blockieren EU-Verhandlungen zu Migration

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    Bei den Grünen brodelt es...

    Weber: Ich erwarte von den Grünen, dass sie europäische Kompromisse mittragen. Sie können nicht für sich in Anspruch nehmen, Europapartei zu sein, wenn sie in einer so zentralen Frage wie der Migration ausscheren. Mit Besserwisserei und Oppositionsgehabe würden die Grünen den Populisten nur Munition geben.

    Ein Migrationsabkommen der EU mit Tunesien soll helfen, die Zahl der Flüchtlinge auf der gefährlichen Mittelmeerroute zu senken.
    Ein Migrationsabkommen der EU mit Tunesien soll helfen, die Zahl der Flüchtlinge auf der gefährlichen Mittelmeerroute zu senken. © dpa | Francisco Seco

    Wie lange dauert es, bis die neuen Regeln in Kraft sind?

    Weber: Ich bin optimistisch, dass es noch in der spanischen Ratspräsidentschaft – also bis Jahresende – eine Einigung über die Asylreform geben kann. Die rein taktisch kalkulierte Verweigerungshaltung von Ungarn und Polen, die wir auf dem letzten Gipfel erlebten, hat den Zusammenhalt unter den Mitgliedstaaten eher noch gestärkt.

    Nicht alle in Ihrer Partei wollen sich auf Europa verlassen – und fordern nationale Schritte: Mehr Grenzkontrollen, weniger Leistungen für Asylbewerber …

    Weber: Temporäre Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen können sinnvoll sein, solange sie im Rahmen der Schengen-Regel stattfinden. Ich wünsche sie mir aber nicht, sondern werbe dafür, dass die Grenzen in Europa offenbleiben. Wem ist geholfen, wenn die Menschen im Sommer im Stau stehen? Und was die Leistungen für Asylbewerber angeht, ist völlig klar, dass die hohen deutschen Standards für viele attraktiv sind. Daher begrüße ich die Debatte über eine Absenkung auf europäisches Normalmaß.

    Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer stellt bereits das Grundrecht auf Asyl infrage.

    Weber: So habe ich ihn nicht verstanden. Das Grundrecht auf Asyl ist eine Errungenschaft, die im Grundgesetz und in den europäischen Verträgen verankert ist. Wir müssen diejenigen schützen, die politisch verfolgt sind, und das werden Deutschland und die EU weiter tun. Artikel 16a unserer Verfassung wird von mir immer verteidigt werden.

    Im nächsten Jahr wird in drei ostdeutschen Bundesländern gewählt, 2025 folgt die Bundestagswahl. Steht die Brandmauer gegen Rechts? Bleibt jegliche Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen?

    Weber: Die Brandmauer steht! Die AfD will zerstören, was CDU und CSU immer vertreten haben. Deswegen ist sie für uns nicht nur politischer Wettbewerber, sondern Gegner und Feind. Wer die AfD wählt, muss wissen, dass er jeden zweiten Arbeitsplatz in Deutschland gefährdet. Wir leben vom Export. Und wer den europäischen Binnenmarkt infrage stellt, legt die Axt an unseren Wohlstand. Genauso wird Deutschlands Sicherheit gefährdet, weil die AfD nichts anderes als ein Steigbügelhalter für Putin ist.

    Jetzt haben erstmals CSU-Abgeordnete in einem Bundestagsausschuss - es ging um das Energieffizenzgesetz - gemeinsam mit der AfD gestimmt. Wie ordnen Sie das ein?

    Weber: Die betroffenen Kollegen haben sich dazu erklärt und die Dinge klargestellt. Es ist absurd, der CSU Nähe zur AfD zu unterstellen.

    Sie selbst schmieden für die Europawahl im kommenden Mai ein Bündnis rechter Parteien, sind mit der postfaschistischen italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni auf Kuschelkurs. Steht die Brandmauer wirklich so stabil?

    Weber: Alle Regierungen in Europa sind eingeladen, die Probleme zu lösen. Die AfD kann die Migrationsfrage radikalisieren, den Leuten Angst machen. Wir sind imstande, die Herausforderung zu lösen. Dafür brauchen wir auch Italien. Aktuell setzen wir gemeinsam mit Italien ein Migrationsabkommen mit Tunesien um. Damit werden die Ankünfte in der EU sinken.

    Verraten Sie uns, wen Sie noch in dieses Bündnis aufnehmen wollen?

    Weber: Es stellt sich heute keine Bündnisfrage. Die EVP ist die stärkste Partei im Europäischen Parlament – und hat europaweit jüngst eine Reihe von Wahlen gewonnen. Die EVP hat durchaus einen Lauf, die Christdemokratie, die bürgerliche Mitte gewinnt. Für uns stellen sich Sachfragen, und die will ich lösen mit allen Beteiligten, die guten Willens und kompromissfähig sind.