Souda. Ein deutsches Kriegsschiff soll Frachter in Nahost sichern. Das heißt nicht, dass die Bundeswehr die neue Weltpolizei werden soll.
Dass ein deutsches Schiff einen Hafen auf der griechischen Touristeninsel Kreta verlässt, ist auf den ersten Blick keine Besonderheit. Auf den zweiten jedoch schon: An Bord befinden sich keine Urlauber und es handelt sich um ein Kriegsschiff. Die Fregatte „Hessen“ ist der Stolz der deutschen Marine, sie ist auf dem Weg ins Rote Meer. Im Verbund mit anderen Nationen will die Bundeswehr dort die internationale Seefahrt vor den Terrorangriffen der vom Iran hochgerüsteten Huthi-Miliz schützen.
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Der Einsatz ist Ausdruck dessen, was die Befürworter eines sicherheitspolitischen Umdenkens unter dem von Bundeskanzler Olaf Scholz geprägten Begriff Zeitenwende verstehen: Deutschland übernimmt Verantwortung, geht ins Risiko, um eigene Interessen durchzusetzen. In diesem Fall will die Industrienation Deutschland auch mit militärischen Mitteln dazu beitragen, Frachter auf dem Weg von Asien nach Europa vor den Attacken der Milizen im Jemen zu schützen. Werden die Warenströme auf der Route gestört, hat das mittelfristig Folgen für die Produktion mancher Unternehmen und langfristig Konsequenzen für unseren Wohlstand.
Fregatte „Hessen“ gehört zu den modernsten Kriegsschiffen
Bemerkenswert ist nicht nur, dass die Bundesregierung mit einem SPD-Kanzler, einer Grünen-Außenministerin und einem sozialdemokratischen Verteidigungsminister zu einem solchen Vorgehen bereit ist. Auffällig ist auch, dass Deutschland dazu in der Lage ist. Bei allen weiterhin bestehenden Mängeln an Material und Ausrüstung bei der Bundeswehr: Die in den Nahen Osten entsandte Fregatte gehört zu dem Modernsten, was an vergleichbaren Schiffen auf den Weltmeeren unterwegs ist.
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Wurde in früheren Zeiten zudem – bildlich gesprochen – kaum gewagt, die Stiefel für einen Einsatz zu putzen, bevor nicht das Mandat vom Bundestag beschlossen war, ist die „Hessen“ nun bereits Wochen vorher in See gestochen. Die Regierung hat die Parlamentsfraktionen vorab vertraulich über die geplante Mission informiert, sich die Unterstützung der Abgeordneten gesichert und mit der militärischen Planung begonnen. So erreicht das deutsche Schiff das Einsatzgebiet nahezu zeitgleich mit dem erwarteten Bundestagsbeschluss am Freitag.
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Horst Köhler erntete einen Shitstorm, er lag aber richtig
Zu gern wüsste man, was Horst Köhler über diese neue Realpolitik denkt. Köhler war 2010 als Bundespräsident zurückgetreten, nachdem ihn eine Welle der Empörung überrollt hatte, die man heutzutage Shitstorm nennt. Das Staatsoberhaupt hatte in einem Interview die Ansicht geäußert, dass im Notfall auch militärischer Einsatz erforderlich sein könne, „um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“. Die Fregatte „Hessen“ ist der späte Beweis, dass Köhler damals richtig lag.
Deutschland kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass in einer immer unübersichtlicher werden Welt allein andere Staaten verteidigen, was uns wichtig ist. Das heißt nicht, dass die Bundeswehr die neue Weltpolizei werden soll. Die Debatte darüber, wo gemeinsam mit den Partnern aus EU und Nato auch robuste Einsätze sinnvoll sind, werden wir aber in Zukunft öfter führen müssen. Das Auslaufen der „Hessen“ zu einem gefährlichen Einsatz in einer Region, in der befeuert vom Iran die Spannungen derzeit enorm sind, hat erstaunlich wenig öffentliche Diskussionen ausgelöst. Das ist aber kein Zeichen dafür, dass wir uns an eine neue sicherheitspolitische Realität bereits gewöhnt haben. Sondern dafür, dass wir dieses Denken und die dazugehörigen Debatten noch lernen müssen.