Berlin. Die SPD steht in Umfragen schlecht da, Vertrauen fehlt. Woran liegt das? Wir haben Abgeordnete aus der Herzkammer der Partei gefragt.
Früher ließ sich die Lage der SPD in wenigen Worten beschreiben. „Fraktion gut, Partei auch, Glück auf“, so hat es Parteigröße Franz Müntefering vor mehr als zwei Jahrzehnten formuliert. Die SPD stellte damals mit Gerhard Schröder den Kanzler. So wie heute mit Olaf Scholz. Aber im Jahr 2024 fehlt Vertrauen, in den Bundeskanzler, in die Partei. Woran liegt das?
Um das herauszufinden, lohnt sich ein Anruf im Ruhrgebiet. Doch in der Herzkammer der SPD ist erst einmal besetzt. Nach wenigen Minuten meldet sich Axel Schäfer zurück. Der direkt gewählte SPD-Bundestagsabgeordnete aus Bochum hatte einen Bürger am Telefon, der seinen Frust loswerden wollte. Schäfer hat den Anrufer schließlich auf einen Kaffee in sein Wahlkreisbüro eingeladen, um das Gespräch fortzusetzen.
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Umfragen: SPD liegt deutlich hinter Union und AfD
Schäfer sitzt seit 22 Jahren im Bundestag. Der 71-Jährige weiß, dass die SPD keinen Wähler zu viel hat. Und er ist froh, wenn Bürger sich bei ihm mal richtig Luft machen: „Ich nehme die Kritik an der SPD als Hilferuf. Wer sich noch bei mir meldet, hat noch Hoffnung in die SPD. Wer nichts mehr sagt, droht uns verlorenzugehen.“
Die SPD liegt in Umfragen mit etwa 15 Prozent deutlich hinter Union (rund 30 Prozent) und AfD (18 bis 20 Prozent). Das sind zehn Prozentpunkte weniger als bei der Bundestagswahl. Während die FDP in der Ampel ebenfalls schweren Schaden nimmt und derzeit um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen müsste, kommen die Grünen mit bis zu 14 Prozent ihrem Wahlergebnis noch sehr nah.
Ampel-Koalition: Unmut über Grüne und FDP färbt auf SPD ab
Bei der Europawahl im Juni könnte es für die Sozialdemokraten nicht besser werden – und bei den drei Ostwahlen im September viel, viel schlechter. Wer nach den Gründen für die Misere der SPD sucht, findet in der Partei als Antworten: Koalition, Kommunikation, Krise.
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„Im Wahlkreis erlebe ich, dass viele unserer Wähler sehr unzufrieden mit unseren Koalitionspartnern sind, dieser Unmut färbt auch auf die SPD ab“, erzählt Schäfer. „Zu den Grünen wird mir gesagt, dass die alles verbieten wollen, das könne man sich nicht bieten lassen. Über die FDP heißt es, dass sie Dinge blockiert, die sie vorher mitbeschlossen hat.“
Tanzen die Grünen Scholz auf der Nase herum?
Ähnlich erlebt es Sebastian Fiedler, direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Mülheim-Essen. Die Bürger kritisierten den Streit in der Ampel, sagt der 50-Jährige. „Die SPD ist in der Wahrnehmung ihrer Anhänger in die Rolle eines Moderators gerutscht.“ Somit werde die Partei nicht als Gestaltungsmacht gesehen.
Dominierte die SPD zu Schröders Zeiten die Zweierkoalition mit den Grünen, wirkt es heute bisweilen, als tanze die Umweltpartei Scholz auf der Nase herum. Manche in der SPD bemängeln, von ihren Anhängern für die Politik der Grünen in Mithaftung genommen zu werden.
SPD-Chef Klingbeil: Darf nicht darum gehen, ob jemand Bratwurst isst oder gendert
Parteichef Lars Klingbeil betonte beim Politischen Aschermittwoch der SPD: „Es darf in der Politik nicht um die Frage gehen, ob jemand Auto fährt, oder ob jemand einmal im Jahr nach Mallorca fliegt oder ob jemand eine Bratwurst isst oder ob jemand gendert.“ Die SPD müsse sich um die „arbeitende Mitte“ und deren Sorgen von anständigen Löhnen über guten Schulunterricht bis zum bezahlbaren Wohnen kümmern.
Der Parteichef spricht Markus Töns damit aus der Seele. „In meinem Wahlkreis merke ich, dass Menschen den Eindruck haben, dass die Politik sich zu viel um Nebensächlichkeiten kümmert“, sagt der direkt gewählte Abgeordnete aus Gelsenkirchen, eine AfD-Hochburg im Westen. Der 60-Jährige zählt dann die SPD-Erfolge auf, von Mindestlohn bis Bürgergeld. „Wenn die Menschen aber diesen Eindruck haben, ist das ein Problem in der politischen Kommunikation.“
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Olaf Scholz tat die AfD als „Schlechte-Laune-Partei“ ab
Wobei man bei eigenen Fehlern ist. Ob SPD-Vertreter in den Ländern oder Bundestagsabgeordnete: Verzweifelt bis hilflos sind die Mienen, wenn es um das öffentliche Auftreten von Scholz geht. Zu selten, zu leblos, zu wenig bürgernah erkläre er seine Politik. Kritisch wird in der SPD auch gesehen, wie der Kanzler im Sommer die AfD noch als „Schlechte-Laune-Partei“ abtat, deren Zuspruch schon wieder auf das Maß der Bundestagswahl sinken werde.
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Schäfer kritisiert: „Die Regierung und der Kanzler haben nicht immer so kommuniziert, dass ihre Politik gut verstanden worden ist.“ Eine Bombe für das Vertrauensverhältnis zwischen klassischen SPD-Wählern und der Partei war das Heizungsgesetz von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). „Das war ein echtes Kommunikationsdesaster“, sagt Töns. „Reiner Mumpitz“ sei Habecks Entwurf gewesen. Viele Änderungen hätten am Ende zwar ein gutes Gesetz daraus gemacht. Aber: „Der Ärger über das Heizungsgesetz war nicht mehr einzufangen“, bedauert auch Schäfer.
„Wir leben in einer Multikrisensituation“
Stress in der Koalition, Fehler in der Kommunikation, beides ist auch Folge der aktuellen Lage. „Wir leben in einer Multikrisensituation“, betont Fiedler. Das sei auch für die Politik eine gänzlich andere Situation als in den vergangenen Jahrzehnten. Bundestagsveteran Schäfer wünscht sich Verständnis der Bevölkerung dafür: „Die Überforderung, die viele Bürgerinnen und Bürger spüren, geht auch an der Politik nicht vorbei.“ Die Regierung müsse offen sagen, dass die Situation schwer sei, sie sich aber kümmere. „Aber auch, dass politisches Handeln in dieser Megakrise nicht fehlerfrei sein kann.“
Was heißt das für die SPD? „Ruhe bewahren und gute Arbeit machen“, sagt Fiedler. „Wir müssen den Menschen wieder mehr aufs Maul schauen, ohne ihnen nach dem Mund zu reden.“