Berlin. Viele Fernwärme-Kunden erleben in diesen Tagen einen Preisschock. Jetzt kommen Forderungen nach neuen Preisregeln.
Bei manchen Verbrauchern kam die Energiekrise erst in den vergangenen Monaten so richtig an. Während die Gaspreise im Großhandel längst wieder auf dem Niveau von 2021 liegen und auch für Privatkunden deutlich gesunken sind, erlebten viele Fernwärme-Kunden den Preisschock mit Verzögerung – Anfang 2024.
Nach einer Stichprobe des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) haben nach dem Auslaufen der Energiepreisbremsen zum Jahresende 18 von 21 untersuchten Fernwärmeanbietern die Preise erhöht. Und während es bei manchen nur um wenige Euro im Monat geht, müssen Kunden von anderen plötzlich jeden Monat mehr als 100 Euro zusätzlich zahlen.
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Es ist nicht das erste Mal, dass die Preisgestaltung von Fernwärmeversorgern in den Blick gerät. Doch mit den Bemühungen der Ampel-Koalition, Heizungen in Deutschland klimaneutral zu machen, gewinnt das Thema an Bedeutung und die Kritik an der aktuellen Situation wird lauter.
Rund 15 Prozent der Wohnungen in Deutschland werden derzeit per Fernwärme beheizt. Geht es nach der Bundesregierung, sollen es in den kommenden Jahren deutlich mehr werden: Fernwärme gilt als einer der zentralen Bausteine dafür, die Wärmeversorgung in Deutschland klimaneutral zu machen. Dafür aber müssen Verbraucher sie akzeptieren. Und sowohl Verbraucherschützer als auch Politikerinnen und Politiker fürchten, dass die aktuellen Gepflogenheiten in der Branche dem im Weg stehen.
Undurchsichtige Formeln zur Preisgestaltung
Anders als bei Strom- oder Gasverträgen sind die Vertragslaufzeiten bei Fernwärme häufig lang, bis zu zehn Jahre sind möglich. Damit Versorger innerhalb dieser Zeit auf Änderungen bei den Beschaffungskosten für Energie reagieren können, enthalten die Verträge üblicherweise Preisänderungsklauseln. Doch die Klauseln und auch die Formeln, nach denen die neuen Preise berechnet werden, seien für Kunden kaum zu verstehen, kritisieren Verbraucherschützer. Manche Unternehmen stehen zudem im Verdacht, höhere Preise mit dem Beschaffungspreis für Erdgas zu begründen – obwohl die Wärme gar nicht mit Gas erzeugt wird. Aktuell laufen deshalb zwei Sammelklagen, auch das Kartellamt ermittelt.
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Betroffene können auf Preissprünge nur schlecht reagieren: Die Versorger, die meistens auch die Betreiber des Fernwärmenetzes sind, haben in vielen Gemeinden ein faktisches Monopol. In einigen Kommunen gibt es sogar einen Zwang zum Anschluss an das Fernwärmenetz.
Aus den Ländern baut sich deshalb jetzt Druck auf, die geltenden Regeln zur Preissetzung zu überarbeiten. Schleswig-Holstein, das in diesem Jahr den Vorsitz der Energieministerkonferenz hat, will dafür beim nächsten Treffen im Mai konkrete Vorschläge machen. „Es ist offensichtlich, dass die Regeln für die Preisänderungsklauseln heute einfach nicht mehr zu den energiewende- und klimapolitischen Zielen passen“, sagt Schleswig-Holsteins Energieminister Tobias Goldschmidt (Grüne) dieser Redaktion. „Selbst wenn Wärme zu 100 Prozent klimaneutral erzeugt wird, ist es bislang zulässig, dass Fernwärmepreise mit den Erdgaspreisen mitsteigen.“ Und sogar die steigende CO₂-Bepreisung für Erdgas erhöhe – über den Umweg einer sogenannten Marktkomponente in den Preisänderungsklauseln – den Fernwärmepreis. Hier, sagt Goldschmidt, brauche es „zwingend“ eine Reform der Fernwärme-Verordnung.
Mit dieser Einschätzung steht das norddeutsche Bundesland nicht allein. Vor der kommenden Energieministerkonferenz sprechen sich auf Anfrage dieser Redaktion mehrere Bundesländer für eine Reform der Regelungen zur Preisfindung bei Fernwärme aus.
Für eine Reform plädiert unter anderem die Hansestadt Hamburg. „Wir müssen auf der Energieministerkonferenz im Mai dringend über die zum Teil hohen Preissteigerungen bei der Fernwärme sprechen und Maßnahmen ergreifen“, sagte Energiesenator Jens Kerstan (Grüne), um Kundinnen und Kunden zu schützen. Es könne nicht sein, dass Unternehmen Preissenkungen nicht weitergeben und die Kunden mit absurd hohen Abrechnungen konfrontiert würden.
Auch Kerstans niedersächsischer Amtskollege Christian Meyer (Grüne) begrüßt die Initiative aus Schleswig-Holstein. Es müsse sichergestellt werden, sagte Meyer, dass gesunkene Kosten der Fernwärmeversorger bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ankämen. „In der Strom- und Gasversorgung haben wir zudem gute Erfahrungen mit einer einheitlichen und spezialisierten Schlichtungsstelle für Streitfälle gemacht, so etwas wäre auch für den Bereich der Fernwärme sinnvoll.“
Mehrere Länder für Reformen im Fernwärmemarkt
Armin Willingmann, SPD-Energieminister in Sachsen-Anhalt, befürwortet die Debatte ebenfalls. Er teile „die Einschätzung, dass Preisentwicklungen am Gas- und Heizölmarkt auch bei den Fernwärmepreisen schneller wirksam werden sollten“, sagte er dieser Redaktion. Das Energieministerium in Brandenburg spricht sich einem schriftlichen Statement für „eine verbraucherfreundliche Novellierung der Fernwärme-Verordnung“ aus – und für eine bundesweite Preisaufsicht. Auch in Baden-Württemberg will man den „zugrundeliegende Rechtsrahmen verstärkt auf den Prüfstand […] stellen“.
Andere Bundesländer zeigten sich zurückhaltender. Es sei richtig, Maßnahmen zur Preissenkung zu prüfen, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) dieser Redaktion. Wegen der Verschiedenartigkeit der Unternehmen, der Erzeugung und der Netzgegebenheiten vor Ort werde es aber „keine einfachen Lösungen geben“, warnt er.
Aus dem bayerischen Wirtschaftsministerium unter Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger heißt es, es dürfe bei einer Reform kein Risiko einseitiger Kostensteigerungen bei den Fernwärmebetreibern verbleiben. Auch der Ausbau der Netze dürfte nicht gehemmt oder verhindert werden. Im grün geführten Energieministerium von Nordrhein-Westfalen lobt man Pläne der Fernwärmebranche, selbst für mehr Transparenz zu sorgen. Bremen hält Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei den Preisen ebenfalls für einen wichtigen Baustein für mehr Akzeptanz, sieht aber die Bundesregierung in der Verantwortung, hier zu regulieren.
Fernwärme: Plattform zu Preistransparenz soll kommen
Dort hat man das Thema als Problem erkannt. Anfangs des Monats kündigte BundeswirtschaftsministerRobert Habeck (Grüne) bei einer Veranstaltung an, im Sommer oder Herbst bei einem neuen Fernwärmegipfel Lösungen zu präsentieren.
Der politische Druck, der sich bei dem Thema zuletzt aufgebaut hat, zeigt offenbar Wirkung. Am Montag kündigten der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) und die Arbeitsgemeinschaft Fernwärme (AGFW) eine gemeinsame Plattform an, die Fernwärme-Preise vergleichbar machen soll. 150 Anbieter sollen darin zu finden sein.
„Wir setzen uns aktuell für mehr Transparenz für die Fernwärme ein“, sagt deshalb VKU-Präsident Ingbert Liebing dieser Redaktion und betont, dass die Fernwärme kein „rechtsfreier Raum“ sei. Die Fernwärme-Verordnung definiere klare Regeln zur Preisänderung. Wenn sich Verhältnisse am Wärmemarkt ändern würden, werde es aber auch bei den Regeln zu Preisbildung und -änderungen Anpassungsbedarf geben, erklärte Liebing. Die Orientierung an Preisindizes wie dem für Gas sei für Kunden aber auch ein Schutz vor Preisausreißern – „nach oben, wie nach unten.“