Berlin. Angesichts schlechter Umfragewerte ringen die Liberalen darum, ihr Profil zu schärfen. Doch die Koalitionspartner zeigen sich genervt.
Am Mittwoch vergangener Woche wehte kurz so etwas wie der Geist der Anfangstage durch den Kabinettsaal. Auf einem Foto, das am Rande der Sitzung aufgenommen wurde, gucken der grüne Vizekanzler Robert Habeck und FDP-Finanzminister Christian Lindner betont einträchtig. Die Botschaft, verbreitet über die Instagram-Kanäle der Minister: Schaut her, wir verstehen uns.
Dabei ist so viel Eintracht innerhalb des Bündnisses von SPD, Grünen und FDP eher die Ausnahme als die Regel. Anderthalb Jahre vor der nächsten planmäßigen Bundestagswahl dominiert die meiste Zeit der Eindruck, dass die Partner aneinander leiden. Und niemand, scheint es, leidet so sehr wie die FDP. Die Liberalen sitzen in der Vier-Prozent-Falle.
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Seit Jahresbeginn sehen nahezu alle großen Umfrageinstitute die Partei unter fünf Prozent, unterhalb der Schwelle für einen erneuten Einzug in den Bundestag. Zwar spüren alle drei Ampel-Parteien die Unbeliebtheit der Koalition in schlechten Umfragewerten. Doch existenzbedrohlich ist die Situation allein für die FDP. Verlassen kann die Partei das Bündnis, mit dem sie so hadert, aber kaum. Mit Umfrageergebnissen zwischen drei und fünf Prozent in Neuwahlen zu gehen, wäre sehr riskant. Also versuchen die Liberalen, innerhalb der Koalition ihr Profil zu schärfen und Unterschiede zu den Partnern zu markieren.
FDP: Mit drei bis fünf Prozent in Neuwahlen? Das wäre riskant
Jüngstes Beispiel ist der Streit um das geplante europäische Lieferkettengesetz. Die neue Richtlinie soll Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen, in ihren Lieferketten auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu achten. So sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der Union profitieren oder durch ihre Produktion dort Umweltschäden verursacht werden.
Das Gesetz war eigentlich fertig verhandelt, auch unter Beteiligung der Bundesregierung, für den vergangenen Freitag war eine Abstimmung im Rat der EU-Mitgliedstaaten angesetzt. Doch dann signalisierten die FDP-Minister Christian Lindner und Marco Buschmann, dass sie die Richtlinie so nicht mittragen wollten. Die Bundesregierung kündigte deshalb eine Enthaltung an. Plötzlich stand die Mehrheit auf der Kippe – die Abstimmung wurde am Freitag kurzfristig verschoben.
SPD-Arbeitsminister Heil kritisiert „ideologisch motivierte Blockade“
Die Koalitionspartner reagierten erzürnt. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnte vor verspieltem Vertrauen in Europa, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte, es gehe um eine „ideologisch motivierte Blockade der FDP“. Das will Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Spitzenkandidatin der Liberalen für die Europa-Wahl, nicht gelten lassen. „SPD und Grüne gefallen sich darin, die Realität anders darzustellen“, sagte sie dieser Redaktion. „Man nennt so etwas ‚sich in die Büsche schlagen‘.“ Nach ihrer Darstellung hatten SPD, Grüne und FDP gemeinsam darauf hingewiesen, dass das Lieferkettengesetz so lange ergebnisoffen verhandelt wird und die Bundesregierung nur dann zustimmt, „wenn das Ergebnis passt“.
Das ist aus Sicht der FDP nicht der Fall, das Gesetz sei „das typische von der Leyen-Bürokratiemonster, das unsere Wirtschaft, allen voran den Mittelstand, kaputt machen würde“, sagte sie. Menschenrecht seien auch den Freien Demokraten wichtig, betont sie. Aber die Bürokratie durch das Lieferkettengesetz sei „so dramatisch, dass viele Unternehmen die Anforderungen gar nicht erfüllen können“. Auch Christian Dürr, FDP-Fraktionschef im Bundestag, bekräftigt gegenüber dieser Redaktion, dass seine Partei dem Gesetz so nicht zustimmen werde. Dem zentralen Anliegen, der Einhaltung der Menschenrechte, erweise man „einen Bärendienst“, würde die Richtlinie in ihrer aktuellen Form beschlossen.
Hinter vorgehaltener Hand ist die Rede von einer „Verzweiflungstat“
Es ist nicht das erste Mal, dass die FDP zu einem sehr späten Zeitpunkt im europäischen Prozess ein Stoppschild aufstellt. Im vergangenen Jahr hatte Verkehrsminister Volker Wissing beim europäischen Verbrenner-Aus ab 2035 auf diese Art eine Ausnahme für E-Fuels durchgesetzt. Und erst in der vergangenen Woche hatte er neuen CO₂-Grenzwerten für schwere Nutzfahrzeuge nur zugestimmt, nachdem auch hier eine Zusatzvereinbarung für synthetische Kraftstoffe getroffen worden war.
Bei den Koalitionspartnern zeigt man sich inzwischen genervt von dieser Art Manöver. Hinter vorgehaltener Hand ist im Hinblick auf das Lieferkettengesetz von einer „Verzweiflungstat“ angesichts der Umfragen die Rede. Die Grünen denken zurück an die Beschlüsse zur Asylpolitik, die die Partei trotz heftiger interner Kritik mitgetragen hatte. Und bei beiden Koalitionspartnern mehren sich Stimmen, die sich ein Machtwort des Bundeskanzlers wünschen. Scholz soll die FDP in ihre Schranken weisen.
Nach außen will man das Bild der zerstrittenen Koalition nicht unnötig bestärken. Matthias Miersch, Vize-Fraktionschef der SPD im Bundestag, hebt mit Blick auf das Klima in der Koalition die Erfolge hervor. Er arbeite „sehr vertrauensvoll“ mit den Kolleginnen und Kollegen von der FDP zusammen, sagte er dieser Redaktion. Die „schwierigen Herausforderungen“ im Wärmebereich habe man gemeistert, auch das Tierwohlkennzeichen auf den Weg gebracht – das „war mit der Union nicht möglich“. Es klingt wie eine Erinnerung an die eigenen Leute, dass die Alternative nicht besser sein muss.
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