Washington/Charleston. Ohne den Bundesstaat im Süden der USA wäre Joe Biden 2020 nie Präsident geworden, nun gehen ihm dort wichtige Wähler von der Fahne.
Sein ewiges Engagement für die Bürgerrechtsbewegung. Sein tief verwurzelter Katholizismus. Acht Jahre als Vize an der Seite des ersten schwarzen Präsidenten, Barack Obama. Dazu ein gemäßigt konservatives, auf Familie, Solidarität und Chancengleichheit setzendes Weltbild: All das hat Joe Biden in der afro-amerikanischen Community der Vereinigten Saaten hohe Glaubwürdigkeit und Anerkennung eingebracht.
„Wir kennen Joe. Aber noch wichtiger: Joe kennt uns”, sagte der einflussreiche demokratische Kongress-Abgeordnete Jim Clyburn vor vier Jahren und rettete dem damals miserabel ins Wahljahr gestarteten Präsidentschaftskandidaten bei den Vorwahlen in South Carolina das politische Überleben – und damit die Kandidatur fürs Weiße Haus. Am Samstag richten sich wieder alle Blicke auf den Süd-Bundesstaat, wo die Demokraten auf Bidens Drängen offiziell in die bis Juni andauernde „Primary”-Saison starten.
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Der Amtsinhaber ist gesetzt. Marianne Williamson und Dean Phillips, seine einzigen Konkurrenten, bleiben chancenlos. Aber die Partei fürchtet, dass Biden ein Ergebnis mit Schrammen davon tragen könnte, das bis zur Wahl im November die Stimmung verschattet. Der Grund: Joe Biden ist bei den Schwarzen, die 60 Prozent der Wählerschaft zwischen Columbia und Charleston ausmachen, in Umfragen massiv in Ungnade gefallen. Viele wollen sogar den latent unter Rassismusverdacht stehenden Herausforderer Donald Trump wählen.
Clyburn: „Ich bin sehr besorgt, ob die Leute wählen gehen”
Ein halbgarer Erfolg mit unterdurchschnittlicher Wahlbeteiligung würde bei den Demokraten die parteiinterne Debatte neu befeuern, in der Biden vielerorts als entschieden zu alt gilt, um weitere vier Jahre im stressigsten Job der westlichen Welt bewältigen zu können. Jim Clyburn, inzwischen 84, vermittelt in Interviews seit Wochen ein mulmiges Gefühl. „Ich bin sehr besorgt, ob die Leute wählen gehen”, sagt er und sieht die Schuld dabei teilweise im Weißen Haus. Dort seien die „Erfolge” des Präsidenten, von denen auch Afro-Amerikaner profitierten, nicht laut und aggressiv und ausdauernd genug erklärt und vermarktet worden.
„Viele wissen gar nicht, was da alles geschafft wurde gegen harten republikanischen Widerstand”, so Clyburn. Bei einem Besuch in Columbia bekam Biden kürzlich die Apathie zu spüren. Als er über Errungenschaften wie die Reduzierung der Preise für Diabetes-Patienten, die Teilstreichung von Studiengebühren-Schulden und die Einsetzung der ersten afro-amerikanischen Richterin am Obersten Gerichtshof sprach, war allenfalls allfälliges Nicken zu sehen. „Das reicht nicht, um viele von uns zur Stimmabgabe zu bewegen”, sagte ein Teilnehmer dieser Zeitung.
Biden: Pastoren fordern, den „Völkermord“ in Gaza zu beenden
Dazu kommt ein Phänomen, dass es 2020 noch nicht gab: den Krieg Israels gegen die Hamas in Gaza. Bei seiner Rede in Columbia wurde Biden mehrfach von Gegnern seiner Nahost-Politik unterbrochen. Sie werfen dem US-Präsidenten vor, mitverantwortlich zu sein für den Tod Tausender palästinensischer Zivilisten. In schwarzen Kirchengemeinden des amerikanischen Südens ist das seit Monaten ein großes Thema. Mehr als 1000 Pastoren haben zuletzt schriftlich an Biden appelliert, das „Blutvergießen” und den „Völkermord” in Gaza zu beenden und die schützende Hand über Israels Premierminister Benjamin Netanjahu wegzuziehen.
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Biden ging darauf bei seiner Visite im Palmetto-State, wo vor mehr als 350 Jahren in Charleston der größte Sklavenhafen Amerikas lag und 1861 im nahe gelegenen Fort Sumter der Bürgerkrieg ausbrach, nicht gesondert ein. Der 81-Jährige versuchte es vor mehrheitlich schwarzem Publikum mit Schmeicheleien: „Ihr seid der Grund, weshalb ich Präsident bin und Donald Trump ein geschlagener Ex-Präsident.” Seine Botschaft: Bleibt bei mir, allein schon, um Trump zu verhindern.
Kein leichtes Unterfangen. 2020 gewann Trump South Carolina mit zwölf Prozent Vorsprung. Seit Jimmy Carter hat kein Demokrat mehr den Bundesstaat bei Präsidentschaftswahlen geholt. Für Joe Biden geht es nun darum, dass der Auftakt des Wahljahres nicht schief geht. Seine Hoffnungen ruhen auf dem schwarzen Amerika.