Washington. Der republikanische Präsidentschaftskandidat zeigt mal wieder, wie sehr er die Nato verachtet – und die Weltgemeinschaft gefährdet.
Tabubruch lautet Donald Trumps zweiter Vorname. Es gibt wenig Unsagbares, dass der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten nicht schon gesagt hat. Das gilt auch für seine Sicht auf das westliche Verteidigungsbündnis. Dass Trump die Nato verachtet und nie verstanden oder akzeptiert hat, auf welchen Prinzipien sie beruht und wie sie sich finanziert, ist seit den 1980er Jahren bekannt. Er hält sie für „obsolet” und die meisten ihrer Mitglieder für Schnorrer.
Er glaubt, dass sich die Staaten die kollektive Verteidigung samt Atom-Schutzschirm vom amerikanischen Steuerzahler finanzieren lassen. Bereits beim Nato-Gipfel 2018 konnte dem Rechtspopulisten nur unter größten Anstrengungen ausgeredet werden, die Verteidigungs-Allianz zu sprengen. Von seiner Mär hat Trump nie abgelassen. Vor allem darum hat der US-Kongress Ende Dezember – als Präventionsmaßnahme für den Fall einer zweiten Trump-Präsidentschaft – ein Stoppschild aufgestellt.
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Ohne Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat, wo die Nato-Freunde klar und beständig in der Mehrheit sind, kann kein Präsident im Alleingang die USA aus der Nato reißen. Das nötige Geld etwa für einen Abzug der US-Truppen aus Deutschland wäre blockiert. Aber die Erleichterung über diese Hürde ist am Wochenende radikal verflogen.
US-Kongress hat bewusst ein Stoppschild aufgestellt
Denn man fragt sich, was sie wirklich wert ist, wenn ein paar verboten törichte, ja landesverräterische Sätze des haushoch führenden republikanischen Präsidentschaftskandidaten bei einer Wahlkampf-Kundgebung das Bündnis fundamental schwächen. Gewiss, man darf davon ausgehen, dass Trumps Anekdote, wonach der Präsident eines „großen Landes“ ihn seinerzeit gefragt habe, was säumige Nato-Mitglieder bei einem russischen Angriff von Washington zu erwarten hätte, erlogen war. Wie so oft, wenn er vorgibt, er sei als „Sir“ angesprochen worden.
Aber an der Sache ändert das nichts. Europa kann im Falle seiner Wiederwahl nicht mehr davon ausgehen, dass die USA bei einem Angriff das Schutzversprechen, auf dem die Nato basiert, einlösen. Dass Trump seinem Drang nach Provokation nachgab und Amerikas Verbündete für Russlands Präsidenten Wladimir Putin dann auch noch quasi zum Abschuss freigab, ist der vorläufige Tiefpunkt eines Mannes, der mit jedem Tag mehr eine Gefahr für die Weltgemeinschaft wird.
Der begrenzte Aufschrei in Amerikas Mitte-Rechts-Lager über seine Äußerungen, die noch vor einem Jahrzehnt mit einiger Wahrscheinlichkeit das Ende einer Präsidentschaftskandidatur bedeutet hätten, zeigt, wie sehr die Maßstäbe ins Rutschen gekommen sind. Wenn Joe Biden alterskonforme Vergesslichkeit oder punktuelle Verwirrtheit demonstriert, kennt die Hysterie kaum Grenzen. Bei Trumps „Klöpsen” ist oft nur noch Schulterzucken die Antwort. Diese Abstumpfung ist fatal.
Trumps Äußerungen sind Dreistigkeit historischer Dimension
Fünf Monate vor dem Jubiläums-Gipfel der Nato zu ihrem 75-jährigen Bestehen in Washington ist klar, was eine zweite Präsidentschaft Trumps für Europa bedeuten würde: Destabilisierung auf der ganzen Linie, Krieg nicht ausgeschlossen. Trumps unverhohlene Drohung, die Alliierten im Stich zu lassen, die Amerika nicht nur nach den Terror-Attacken vom 11. September 2001 ausdauernd an die Seite gesprungen sind, ist eine Dreistigkeit historischer Dimension.
Der wichtigste Grund: 2018 hielten die „Erwachsenen im Raum” Trump von dummen Kurzschlusshandlungen ab – etwa Kabinettsmitglieder wie Mike Pompeo, Jim Mattis, John Kelly oder Rex Tillerson. Im Fall seiner Wiederwahl wird sich der Möchtergern-Diktator aber sehr wahrscheinlich nur noch mit Ja-Sagern umgeben.
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