Düsseldorf. Ali Dogan, Caner Aver und Gitte Trostmann erzählen, wie es sich anfühlt, in einer Zeit der Verrohung Kommunalpolitiker zu sein.

Ali Dogan (SPD) aus Minden-Lübbecke, erster Landrat in NRW mit türkischen Wurzeln:

„Rechte Hetze ist leider trauriger Alltag für mich. Wenn jemand Ali heißt und in Deutschland Politik macht, dann wird er angefeindet. Mein Wahlkampf um das Amt des Landrats in Minden-Lübbecke war Ende 2022/Anfang 2023 kurz und intensiv. Damals nahmen die rassistischen Kommentare in Online-Plattformen zu, auch Zeitungsredaktionen in unserer Region erhielten rassistische Zuschriften. Die Botschaft war meist: Ein Ali dürfe niemals zum Landrat gewählt werden.

Schon als ich für die NRW-SPD den Arbeitskreis Migration und Vielfalt leitete und unter meinem Namen Pressemitteilungen verschickte, wurden rechte Kreise auf mich aufmerksam. Schon damals verschickten rechte Hetzer Sprüche wie: „Geh zurück in deine eigene Heimat.“ Anfeindungen gegen mich kamen übrigens auch aus türkisch-nationalistischen Kreisen, denen meine kurdischen Wurzeln nicht gefielen. Auch unter Migranten gibt es Rassisten.

Man wird in diesen Hass-Kommentaren verhöhnt, niedergemacht und ständig geduzt. Sie wollen dich spüren lassen, dass du aus ihrer Sicht der kleine Türke bist, der nicht zählt.

Es gibt aber eine überwältigende Zahl von Menschen, die mich trägt, und ich bin so gestrickt, dass ich auf Hetze und Verleumdung mit „Jetzt erst recht“ reagiere. Ich habe schon in meinem Wahlkampf gesagt, dass die AfD nicht zum demokratischen Parteienspektrum gehört, und ich habe als Hauptverwaltungsbeamter weiterhin eine klare Haltung gegen rechtsradikale Tendenzen, sofern sie sich gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung wenden.

In Ostwestfalen gibt es besonders radikale Akteure in der AfD. Schon im Sommer 2023, also ein halbes Jahr vor dem Geheimtreffen von Potsdam, bei dem es um die Ausweisung von Millionen Menschen ging, forderte die AfD im Kreistag, anstelle einer Dezernentenstelle für Integration solle ein „Remigrationsamt“ eingeführt werden.

Ich wünsche mir, dass die Mitte der Gesellschaft jetzt aufsteht und Zeichen gehen rechts setzt. Dass nicht ich als Ali und Landrat protestiere, sondern auch Markus, Anne und Wolfgang.“

Mehr Schutz für Kommunalpolitiker

Parteien und Kommunen möchten den Schutz von Rats- und Kreistagsmitgliedern, Rathausspitzen und Landräten verbessern. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat eine bundesweite Anlaufstelle zum Schutz kommunaler Amtsträger an den Start gebracht. In der NRW-SPD soll eine „Projektgruppe gegen rechts“ Ehrenamtlichen das „Rüstzeug“ für die Auseinandersetzung mit Demokratiefeinden geben. Die Regierungsfraktionen von CDU und Grünen sowie der Städte und Gemeindebund in NRW sehen die Notwendigkeit, die Arbeitsbedingungen in der Kommunalpolitik zu verbessern.

Caner Aver (SPD), integrationspolitischer Sprecher der SPD im Rat in Essen:

„In den sozialen Medien poste ich kaum noch etwas Privates“: Caner Aver, Ratspolitiker aus Essen und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Türkeistudien in Essen.
„In den sozialen Medien poste ich kaum noch etwas Privates“: Caner Aver, Ratspolitiker aus Essen und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Türkeistudien in Essen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

„Angriffe von rechts gegen mich sind leider keine Seltenheit, aber zum Glück blieb es bisher bei verbalen Attacken. Es kommt vor, dass Menschen zu mir an einen Info-Stand kommen und mich persönlich verantwortlich machen wollen. Sie suchen bei Zugewanderten und speziell bei Muslimen die Schuld für alle Probleme und adressieren das gezielt an mich. Sie sagen, Deutschland werde von Migranten überflutet, die anderen die Arbeitsplätze wegnähmen. Ich argumentiere dann sachlich und möchte auf dieser Ebene diskutieren, aber viele dieser Menschen haben gar kein Interesse an einem sachlichen Austausch, sondern sie wollen mich nur persönlich angreifen. Wenn es so ist, drehe ich mich um oder beende das Gespräch. Dennoch wühlen mich solche Begegnungen innerlich auf.

In den sozialen Medien poste ich kaum noch etwas Privates und prüfe sehr genau, was ich schreibe, weil die Reaktionen aus der rechten Szene zunehmen, je präsenter ich im Netz bin. Da lese ich Sprüche wie „Hau ab“, „Geh doch zu Erdogan zurück“ oder „Wir wollen hier keine Scheißtürken“. Das gilt auch, wenn ich in meinem beruflichen Kontext etwas zu Wahlen in der Türkei kommentiere. Mit Argumenten kommt man da nicht weiter. Rechte Hetzer wollen nicht diskutieren. Versuche, sachlich ins Gespräch zu kommen, laufen ins Leere. Das zermürbt.

Obwohl Zustimmungswerte für rechte Parteien zugleich steigen, weiß ich zum Glück, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland nicht so denkt, und dass es sich bei den rechten Hetzern um eine Minderheit handelt, allerdings um eine laute, die Menschen regelrecht mundtot machen möchte.

Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, die in Deutschland Politik machen, gehören meist schon der 2. oder 3. Generation der Zugewanderten an. Sie sind hier fest verwurzelt und viele von ihnen sagen: „Jetzt erst recht. Wir werden den rechten Antidemokraten dieses Land nicht überlassen.“

An den vielen Demos gegen rechts nehmen mehr Migranten teil als in der Vergangenheit. Das liegt auch daran, dass sich Migranten stärker als Teil dieser Gesellschaft verstehen.

Die Diskussion über Integration und Migration darf von den demokratischen Parteien nicht populistisch geführt und nicht für Wahlkämpfe instrumentalisiert werden, denn das verschiebt den Diskurs nur weiter nach rechts und ermutigt rechte Hetzer und legitimiert deren Positionen. Eine Tendenz zu Populismus gibt es sogar in Teilen meiner Partei, in der Vergangenheit mehr als heute. Wir müssen sachlich bleiben, und erklären, dass wir eine geregelte Zuwanderung brauchen und nicht jeder in Deutschland Zuflucht finden kann; ausgenommen verfolgte Flüchtlinge nach der Genfer Konvention. Auf populistisches Gerede über Massen-Abschiebungen sollten Demokraten aber grundsätzlich verzichten.“

Gitte Trostmann (Grüne), Sprecherin der Grünen-Ratsfraktion in Gütersloh:

 „Ich konnte es gar nicht fassen, dass da mit meinem Namen und meinem Bild Schindluder getrieben wird“: Gitte Trostmann, Sprecherin der Grünen-Ratsfraktion in Gütersloh.
 „Ich konnte es gar nicht fassen, dass da mit meinem Namen und meinem Bild Schindluder getrieben wird“: Gitte Trostmann, Sprecherin der Grünen-Ratsfraktion in Gütersloh. © Bündnis 90 Die Grünen | Bündnis 90 Die Grünen

„Ich bin seit zehn Jahren Ratsfrau in Gütersloh, seit 2020 Fraktionssprecherin der Grünen-Ratsfraktion und habe das ,Bündnis gegen rechts‘ in Gütersloh mitgegründet. Neulich haben Mitarbeitende der Grünen-Geschäftsstelle in Bielefeld einen Zettel im Briefkasten gefunden, auf dem ich persönlich angefeindet werde. Auf der einen Seite ist in einem Foto von mir und in einer Ecke des Bildes ein Hakenkreuz zu sehen, darunter steht „Diktatorin Gitte Trostmann“ und „2. stellvertretende Anführerin“. Gemeint ist „Anführerin der deutschen Wagner-Gruppe“, zusammen mit dem Logo, in dessen Mitte ein Totenkopf zu sehen ist. Auf der anderen Seite ist zweimal eine skizzierte Hand mit erhobenem Mittelfinger zu sehen und der Satz „Raus mit dem grünen Dreckspack“.

Das war das erste Mal, dass ich persönlich angegriffen wurde. Ich habe Anzeige erstattet, und der Staatsschutz ermittelt. Als ich diesen Zettel sah, spürte ich ganz kurz eine Schockstarre. Ich konnte es gar nicht fassen, dass da mit meinem Namen und meinem Bild Schindluder getrieben wird. Da hat sich jemand Arbeit gemacht, um mich zu attackieren. Wer das erlebt, der fragt sich: Was passiert als Nächstes? Wozu ist solch eine Person noch fähig? Aber ich lasse mich nicht einschüchtern und engagiere mich weiter politisch.“

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