Tokio. William Lai ist der Favorit bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen in Taiwan. Für das Militär seines Landes hat er klare Pläne.
William Lai gibt sich als Typ, den alle liebhaben müssten. Und wüsste man es nicht besser, würde man in dem 64-Jährigen tatsächlich einen Baseballstar vermuten. Denn das Erdgeschoss der Zentrale der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) im Zentrum von Taipeh ist seit Wochen aufgebaut wie der Fanshop einer Baseballmannschaft. Mit dem Schlagwort „Team Taiwan“ sind hier Fanartikel zu haben – mit dem Konterfei von Lai. Am Samstag wählt Taiwan einen neuen Präsidenten. Und Lai hat gute Chancen zu gewinnen.
Seine Wahlkämpfer betonen nicht nur, dass Lai aus einfachen Verhältnissen kommt, es trotzdem zum Nierenarzt brachte und später Bürgermeister der südlichen Großstadt Tainan wurde. Seit vier Jahren ist der Mann mit dem markanten Mittelscheitel auch Taiwans Vizepräsident. Lais Lieblingsspiel als Heranwachsender war Baseball – der in Taiwan beliebteste Sport. Zudem habe Lai aus Interesse an der kulturellen Vielfalt Taiwans die vom Aussterben bedrohte Sprache Hakka erlernt. Als Präsident wolle er die Sprachenvielfalt fördern.
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Was Lai außerdem will: Sicherheit für seine Heimat. Das hat er mit den anderen beiden Kandidaten gemeinsam, die am 13. Januar um die Präsidentschaft kämpfen. Lai selbst will Sicherheit für Taiwan garantieren, indem er einerseits auf Abschreckung gegenüber China setzt, andererseits seine Gesprächsbereitschaft mit Peking betont. Dies bedeutet im Grunde eine Fortsetzung der Außenpolitik seiner seit acht Jahren regierenden Parteikollegin Tsai Ing-wen. Wobei Lai das Militär noch deutlich stärken will, Taiwan soll sich in ein internationales Netzwerk westlich orientierter Staaten wie die USA, Japan und die EU integrieren.
China droht allerdings im Taiwan-Konflikt gern mit Sanktionen, sobald irgendein Staat formalen Austausch mit der Insel sucht, was schließlich indirekt bedeuten würde, dass sie als unabhängiger Staat anerkannt wäre. Die Republik China, Taiwans offizieller Name, ist bislang weder Mitglied der Vereinten Nationen noch bei den meisten anderen Internationalen Organisationen. Würde sie sich in „Republik Taiwan“ umbennnen, wäre das eine formale Unabhängigkeitserklärung. und China sähe sich wohl provoziert, Taiwan anzugreifen.
William Lai betont im Wahlkampf deshalb immer wieder: Einen Plan, Taiwans Staatsnamen zu ändern, gebe es nicht. Doch faktisch unabhängig sei man ohnehin längst: Taiwan hat definierte Grenzen, ein eigenes Parlament, eine Währung und gibt eigene Pässe aus. Chinas Staatspräsident Xi Jinping, so hat es William Lai versichert, wäre als Gast in Taiwan willkommen. Ihn würde Lai gern nach Taipeh einladen und „mit taiwanischen Delikatessen empfangen.“ Die Insel wappnet sich schon länger gegen eine mögliche Invasion. William Lai will die wirtschaftliche Abhängigkeit von China weiter reduzieren, den Austausch mit anderen Demokratien der Welt dafür intensivieren.
Kurios dabei: Lais Slogan könnte auch von seinen Mitbewerbern stammen, denn auch sie wollen Taiwan „friedlich beschützen.“ So betont Hou Yu-ih von der Nationalen Volkspartei (KMT), die bis Mitte der 1980er Jahre Taiwans Militärdiktatur stützte, die Notwendigkeit, Taiwan vor einer Invasion zu bewahren. Nur will er dies eher durch Austausch und Verzahnung mit dem ungeliebten Nachbarn auf dem Festland erreichen. Der in Umfragen fast abgehängte Ko Wen-je, bis 2022 Bürgermeister der Hauptstadt Taipeh, propagiert einen Mittelweg zwischen diesen zwei etablierten Positionen.
Was die drei Kandidaten ebenfalls gemeinsam haben: Weder fordern sie eine Vereinigung mit China noch eine formale Unabhängigkeitserklärung. Die Unterschiede in ihrer China-Politik sind von Nuancen geprägt. Hintergrund ist der Chinesische Bürgerkrieg, der 1949 damit endete, dass die unterlegenen Nationalisten der KMT auf die Insel Taiwan flohen und von hier lange noch die Rückeroberung des Festlands planten, wo längst die Kommunisten regierten. Während dies in Taiwan niemand mehr fordert, halten die Kommunisten weiterhin an ihrem Anspruch fest, auch über Taiwan zu regieren.
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„Die Frage, wie man sich gegenüber Festlandchina positioniert, definiert und dominiert den gesamten politischen Diskurs in Taiwan bis heute“, sagt Nathan Batto, der als Forscher für Academia Sinica in Taipeh arbeitet. Denn obwohl die Unterschiede zwischen den Kandidaten von außen betrachtet eher klein sind, seien sie aus taiwanischer Sichtweise grundsätzlich. „Wenn heute die DPP regiert, tritt Peking weniger freundlich gegenüber Taiwan auf, als wenn die KMT an der Macht ist, mit der man sich in Peking eher arrangiert hat und eine gemeinsame Ebene etablieren konnte.“
Die Zahl der chinesischen Militärmanöver vor der taiwanischen Küste würde wohl wieder abnehmen, wenn die KMT die Wahl gewänne. Auch der Handel zwischen Taiwan und China würde vermutlich erleichtert. Ob sich Peking aber von seiner Drohung, Taiwan anzugreifen, verabschieden würde, bleibt ungewiss. In Taiwan jedenfalls haben viele Menschen den Eindruck, dass sich die außenpolitische Lage mit einem Regierungswechsel nicht grundsätzlich verändern würde.