Berlin. Eskalation im Roten Meer: Viele Reeder sind verunsichert und warten auf die Marine. Können Sicherheitskräfte die Angreifer abschrecken?
Viele Reeder sind verunsichert. Vor der Küste des Jemen greifen Huthi-Rebellen seit Wochen Frachtschiffe an. Der Terror ist ihre Reaktion auf den Gaza-Krieg. Er soll Israels Verbündete treffen. Längst schmieden die USA ein Bündnis zum Schutz der Seewege im Roten Meer: „Operation Prosperity Guardian“.
Nach amerikanischen Angaben wollen sich über 20 Staaten daran beteiligen. Darunter sind Großbritannien, Kanada, Frankreich, Italien, die Niederlande oder Norwegen. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) prüft eine Anfrage an die Marine.
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Indes, die Reeder könnten ihre Schiffe auch selbst schützen. Manche heuern wieder Sicherheitsdienste an. Bewaffnete Kräfte sollen Angreifer abschrecken. Spezialistenarbeit. Und das Geschäftsmodell von Horst Rütten, Geschäftsführer von „International Operativ Services“. (ibs).
Anfang der 2000er Jahre war die Schifffahrt schon mal gefährdet. Damals machten Piraten die Gewässer vor Somalia unsicher. Sie kaperten Schiffe und entführten die Besatzungen.
Warum die Bedrohung eine neue Qualität hat
Sie wollten Lösegeld erpressen. Die Unversehrtheit ihrer Geiseln war im eigenen Interesse der Kidnapper. Die Piraten waren berechenbar. Hingegen sind die Huthi-Rebellen im Jemen als Terroristen eingestuft, „und Terrorismus will Chaos erzeugen“, erläutert Experte Rütten im Gespräch mit unserer Redaktion. „Sie nehmen billigend in Kauf, dass Menschen zu Schaden kommen.“
Die Bedrohung hat deshalb eine neue Qualität. Die Huthi setzen Drohnen ein oder greifen mit Raketen an. Und ein Schiff haben sie gar mit einem Hubschrauber geentert. „Ein Novum“, sagt Rütten. Das würde allerdings nicht bei jedem Schiff auch gelingen.
Gegen Drohnen kann man sich mit modernen Systemen schützen. Gegen Raketenangriffe gibt es keine Schutzmaßnahmen an Bord ziviler Handelsschiffe. Dafür bräuchten sie wie Kriegsschiffe eine Raketenabwehr, ein Luftüberwachungsradar, ein Feuerleitsystem etc. „Das ist für Reedereien gar nicht darstellbar.“ Nicht verfügbar. Und zu teuer.
Sind Sicherheitsdienste günstiger als eine Ausweichroute?
Die Bedrohung vor Somalia hat man in den Griff bekommen: politisch, mit Entwicklungshilfe, auch mit Waffengewalt und mithilfe der Marine. Für die meisten Sicherheitsfirmen brachen die Aufträge daraufhin weg; nur zwei, drei überlebten auf dem deutschen Markt. Wobei es durchaus noch Risikorouten gibt, im Golf von Guinea, vor der Küste Perus oder in der Straße von Malakka, wo weiterhin Piratenangriffe drohen.
Das Rote Meer ist besonders, ein Nadelöhr des Welthandels. Wer es auf dem Weg nach Europa oder in die USA meiden will und alternativ den afrikanischen Kontinent umfährt, braucht im Schnitt zwölf Tage länger, wie auf der folgenden Grafik zu sehen ist. Das kostet Zeit und Geld. Auf dem Höhepunkt der Piraterie vor Somalia hieß es, die Alternativroute schlage pro Tour mit 750.000 bis einer Million Dollar an Mehrkosten zu Buche. Da kommen die Sicherheitsdienste ins Geschäft. Sie sind billiger.
„In der Regel sind die Besatzungen dankbar, wenn wir an Bord kommen“, versichert Rütten. Die Experten üben mit ihnen den Ernstfall. Die Matrosen wissen bei einem Alarm, dass sie in die sogenannte „Muster Station“ gehen müssen und danach in die „Zitadelle“, eine Art „Panic-Room“. Der Schutzraum ist meistens im Maschinenraum. Von dort kann das Schiff auch noch gesteuert werden.
Ein Gefecht ist keine Option, Abschreckung wirkt
Ein Feuergefecht an Bord ist ein Horrorszenario. Den Besatzungen wird geraten, keinen Widerstand zu leisten. Beim Kapitän liegt im Fall eines Übergriffs stets die Entscheidungsgewalt.
Im Idealfall lässt man es nicht so weit kommen. Die Schiffe können sich zumindest dagegen schützen, gekapert zu werden. Sie können das Tempo erhöhen, Stacheldraht und Elektrozäune verlegen, Zugänge vergittern, per Lautsprecher oder Signalhorn den Angreifer warnen und schließlich: schießen. Mit Notraketen oder auch mit Waffen. Nicht um jemanden auszuschalten, sondern um Stärke zu zeigen. „Show of Force“ nennen es die Amerikaner.
Gegenwehr – meistens reicht das. „Dann brechen Tätergruppen ihren Angriff ab“, sagt Rütten. Warum? Erstens sind die Angreifer eigentlich in der schlechteren Position. Die großen Frachtschiffe haben teilweise eine Freibord-Höhe von zwölf bis 14 Metern. Es ist gar nicht so einfach, sie zu überwinden. Zweitens gibt es auch keinen Grund, Risiken einzugehen. Dann sucht man sich halt ein anderes Schiff, das weniger gesichert ist, „denn davon gibt es sehr viele in diesem Seegebiet“.
Die Kriegsschiffe sind manchmal zu weit weg
„Wir sind nicht unglücklich, wenn es zu einem Marineeinsatz in der Region kommt“, beteuert er. In der Regel operiert nur eine begrenzte Zahl von Kriegsschiffen in einem Seegebiet. Sofern ein Kriegsschiff keinen Bordhubschrauber hat und zudem noch 100 Seemeilen entfernt ist, braucht ein Zerstörer selbst unter Höchstgeschwindigkeit drei Stunden, um einem Handelsschiff zur Hilfe zu eilen. „Und dann ist vielleicht schon alles vorbei.“ Deswegen sind sich die Sicherheitsdienste sicher, dass sie gebraucht werden und eine militärische Lücke schließen können.
Die modernen Containerschiffe haben oft eine kleine Besatzung, meist unter 20 Matrosen. Für die privaten Sicherheitsdienste schreiben die deutschen Vorschriften mindestens vier Wachleute vor. Wie viele es letztlich werden, hängt von der Gefährdungsanalyse ab, von Route, Typ und der Größe der Schiffe, die bis zu 300 Meter lang sein können.
Die Wachdienste sind rund um die Uhr für die Sicherheit an Bord und für die Überwachung des Seeraums zuständig. Sie sitzen auf der Brücke und noch einmal jeweils backbord und steuerbord. Viele ehemalige Spezialkräfte aus Osteuropa werden rekrutiert, nicht selten auch frühere Soldaten des Seebataillons Eckernförde.
Frühere Elitesoldaten heuern an
Die Ausrüstung ist ähnlich wie bei der Marine: Helme, Westen, Waffen, eine Pistole und eine Langwaffe, letztes eine halbautomatische Waffe von Heckler&Koch. Keine vollautomatischen Waffen – die sind dem Militär vorbehalten.
Jeder Vorfall muss gemeldet werden, jeder Schusseinsatz führt zu einem Ermittlungsverfahren. Es gelten deutsche Gesetze. Auf ihrer Internetseite stellte die Bundespolizei eigens ein Handbuch für den Einsatz an Bord ein: Empfehlungen für den Eigenschutz und für die Reaktion im Ernstfall.
Die Unsicherheit bei den Unternehmen sei ob der neuen Bedrohung groß, „wie wir an den vielen bei unserem Unternehmen eingehenden Anfragen sehen“, erzählt Rütten. „Viele Reedereien“, meint der Sicherheitsexperte, „haben sich bisher noch nicht auf die neue Lage im Roten Meer eingestellt“.
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