Berlin. Grünen-Chefin Ricarda Lang lobt NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst – und hält die Tür für eine Koalition mit der Union im Bund offen.
Die Grünen waren schon einmal beliebter als Partner. Erst entschied sich im Frühjahr in Berlin die SPD gegen eine weitere Koalition mit der Partei, dann ließ im Herbst der hessische CDU-Chef Boris Rhein sie fallen. Und in Bayern hatte Markus Söder sowieso von Beginn an ausgeschlossen, dass er mit den Grünen regieren könnte.
Dabei hatte es noch im vergangenen Jahr ganz anders ausgesehen: Als der nordrhein-westfälische CDU-Landeschef Hendrik Wüst nach der Wahl 2022 die erste schwarz-grüne Koalition der Landesgeschichte geschmiedet hatte, wurde das als Signal auch für den Rest der Bundesrepublik gewertet. Schwarz-Grün hatte den Nimbus einer Partnerschaft, die die Zukunft des gesamten Landes prägen könne. Ist das ein Jahr später schon eine Fehleinschätzung? Nein, sagt Grünen-Chefin Ricarda Lang. „Schwarz-Grün ist alles, aber nicht Geschichte.“
Lang über Wüst: Beispiel für Politik aus der Mitte
In einer Zeit mehrfacher Krisen würde ihre Partei häufig als Projektionsfläche dienen, sagte Lang am Freitag in Berlin bei der Vorstellung des Buchs „Hendrik Wüst. Der Machtwandler“. Auch für Richtungsstreitigkeiten innerhalb der Union. Wüst sei ein Beispiel für eine Politik aus der Mitte heraus, auch für eine vielfältige Gesellschaft. Andere Teile der Union würden sich eher stark konservativ profilieren, eine Krisenmüdigkeit in der Gesellschaft aufgreifen und auf die Grünen projizieren.
Es werde das Bild erweckt, wenn die Grünen nur weg seien, dann werde alles wieder einfacher, sagte Lang. „Das ist aber natürlich eine Mär. Denn die Krisen, die es gibt, die gehen ja nicht weg.“ Die Grünen würden den Wettstreit darum, wer die beste Politik für die Realität macht, gern aufnehmen. „Und wir zeigen auch in verschiedenen Bundesländern, dass es funktionieren kann“, sagte sie. „Nordrhein-Westfalen ist ein sehr gutes Beispiel dafür.“
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Wüst macht Politik „wie ein Leistungssportler“
Im Buch zeichnen die Journalisten Tobias Blasius und Moritz Küpper den Weg des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten in die Spitzenpolitik nach und entwerfen nach Gesprächen mit fast einhundert Weggefährten, Freunden und Gegnern Wüsts das Porträt eines Politikers, dessen Wandlungsfähigkeit ein Schlüssel zu seinem Erfolg ist.
Wüst, der einmal als „Grünenfresser“ angefangen habe, mache Politik „wie ein Leistungssportler“, maximal professionell, maximal beweglich. Das unterscheide ihn von seinem Vorgänger Armin Laschet, erklärte Blasius, der als landespolitischer Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, die wie dieses Portal zur „FUNKE Mediengruppe“ gehört, beide aus nächster Nähe beobachtet hat. Es stelle sich die Frage, ob sich dieser flexible Politikertyp in der modernen Mediengesellschaft am ehesten durchsetze, weil man sich so auch am wenigsten angreifbar mache.
Wüst macht Politik wie Angela Merkel
Wüst, sagte Moritz Küpper vom Deutschlandfunk, habe stark verinnerlicht, dass „ein Fehler teurer ist als zehn verpasste Chancen“. Der 48-Jährige, der vor Jahren nach einer Sponsoringaffäre als Generalsekretär der NRW-CDU zurücktreten und sich anschließend seinen Weg zurück bahnen musste, bemühe sich deshalb sehr darum, Fehler zu vermeiden. „Er steht dafür, dass Performance Programmatik schlägt“, sagt Küpper. Grünen-Chefin Lang erkennt in Wüsts Stil Ähnlichkeiten zu der Art, wie die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel Politik gemacht hat – mit einem feinen Gespür für die öffentliche Meinung.
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Persönlich kenne sie Wüst nicht sehr gut, sagt Lang, aber die beiden stünden in einem wertschätzenden, kollegialen Verhältnis. „Er war tatsächlich damals, als ich meine Verlobung bekannt gegeben habe, einer der ersten, die sich gemeldet haben“, erzählte sie am Freitag, „mit einer sehr, sehr langen, extrem freundlichen Nachricht. Das fand ich ein schönes Signal.“ Und mögliche Koalitionsverhandlungen seien ja auch immer eine Gelegenheit, sich besser kennenzulernen.
Haushaltskrise: Neuwahlen wären jetzt das falsche Signal, findet Lang
Die allerdings erwartet Lang frühestens 2025. Trotz aller Unstimmigkeiten und der noch immer ungelösten Haushaltskrise ist sie überzeugt, dass die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP bis dahin Bestand hat. „Neuwahlen, das ist kein Szenario, mit dem man spielt“, sagt sie. Würde die Regierung jetzt in Neuwahlen gehen, wäre das für einen Teil der Gesellschaft, der ohnehin wenig Vertrauen in Politik habe, auch das Signal, „die bekommen es nicht hin“. Das wäre ein „Konjunkturprogramm für die Verächter der Demokratie“, warnte Lang.
Autoritäre Kräfte und Antidemokraten wie die AfD würden damit arbeiten, das Problem immer größer zu machen und die Lösungen immer unwahrscheinlicher – und damit zu implizieren, dass Probleme gar nicht mehr demokratisch gelöst werden könnten. Es müssten sich deshalb in der derzeitigen Situation alle ihrer großen politischen Verantwortung bewusst sein.
Lang: Demokratische Parteien müssen gesprächs- und koalitionsfähig bleiben
Sie sprach sich deshalb mit Nachdruck dafür aus, dass demokratische Parteien gesprächsfähig bleiben müssten. In Ostdeutschland und insbesondere in Thüringen werde sich im kommenden Jahre die Frage die stellen, ob demokratische Parteien noch in der Lage sein, Mehrheiten zu schaffen. Schon deshalb sei es wichtig, dass demokratische Parteien gesprächs- und koalitionsfähig blieben.
„In einer Zeit mit sehr volatilen Mehrheiten, in einer Zeit, wo die Volksparteien in dieser Form nicht mehr existieren, wird es nicht mehr ein Bündnis geben, dass die Zeit prägt“, sagte Lang. Stattdessen würden es unterschiedliche Bündnisse sein. „Für uns als Grüne heißt das auch, dass wir für unterschiedliche Konstellationen offen sind.“ Eine davon heißt Schwarz-Grün.