Washington. Der Präsident stößt trotz großer Leistungen auf immer hartnäckiger werdende Ablehnung. Und das liegt nicht nur an seinem Alter.
Bei den Demokraten in den USA steigt der Angstpegel. Die Umfragewerte von Präsident Joe Biden sind elf Monate vor der Wahl erschreckend schlecht. Zwei Drittel der US-Amerikaner wollen ihn nicht (mehr). Seine Kampagne für 2024 ist bisher lahm aufgestellt. Junge, schwarze und hispanische Wähler gehen ihm laut Umfragen in dramatischen Größenordnungen von der Fahne. Aus dem Lager von Vor-vor-Gänger Barack Obama wird maliziös gestichelt. Die Sorge vor einer Niederlage gegen den potenziellen republikanischen Kandidaten Donald Trump, der im Gros der Umfragen mit bis zu sechs Prozentpunkten führt, bestimmt die Debatte. Fünf Gründe, warum Joe Biden politisch ernsthaft in Lebensgefahr ist.
1. Sein Alter: Joe Bidens größte Schwachstelle schon vor der Wahl 2020 war sein Geburtsdatum: 1942. Nie war ein Präsident der USA so alt. Heute ist er 81. Und die ersten drei Jahre seiner Amtszeit mit 14-Stunden-Tagen und eng getakteten Reisen rund um die Welt haben zusätzliche Spuren hinterlassen.
Er verwechselt Namen, vergisst Zusammenhänge oder seine Sätze enden im Nirwana
Biden wirkt manchmal siech. Er altert in Echtzeit vor der Kamera. Darum lässt ihn sein Team abseits von choreografierten Reden mit Teleprompter kaum mehr in die Öffentlichkeit. Pressekonferenzen mit ihm sind Zitterpartien geworden – man weiß nie, was kommt. Muss der Präsident freihändig reden, unterlaufen ihm teils haarsträubende Patzer. Er verwechselt Namen, vergisst Zusammenhänge oder seine Sätze enden im Nirwana.
Wer so aufgestellt ist, kann per Definition kein blendender „Verkäufer“ seiner selbst und seiner Umwelt-Industrie-Sozial-und-Finanz-Politik sein. Genau darauf käme es aber im Wahljahr an, sagen immer mehr Analysten. Viele US-Amerikaner können mit Bidens Politik auch deshalb nichts anfangen, weil sie sie nicht immer wieder vom Chef verständlich erklärt bekommen.
Dass Biden bei der nächsten Amtseinführung bereits 82 wäre und am Ende einer zweiten Amtsperiode 86 Jahre alt, ist eine Hypothek, die mit jedem Aussetzer schwerer wiegt.
Eng mit der Altersfrage verbunden ist der lauter werdende Appell an Biden, sein Ego zurückzustellen und den Weg für eine jüngere demokratische Spitzenkraft wie etwa Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom frei zu machen, obwohl die Anmeldefristen für die Vorwahlen in wichtigen Bundesstaaten bereits abgelaufen sind.
Bemerkenswert: Die Forderung kommt nicht von den in tiefer Feindschaft zu Biden stehenden Republikanern. Sondern von prominenten Demokraten. Etwa von David Axelrod, dem Berater von Ex-Präsident Obama, dem Biden als Vize-Präsident diente. Sein Tenor: Es sei nicht „weise“ und im „Interesse des Landes“, eine zweite Amtszeit anstreben. Drastischer kann Ablehnung kaum formuliert werden. Mit jedem Fauxpas wird der Ruf nach Rücktritt im eigenen Lager lauter. Im Wahljahr wird allein das für Biden zur Großhypothek. Und hier ist die Gefahr durch die Dauerermittlungen gegen seinen Sohn Hunter wegen Korruptionsverdachts noch gar nicht eingepreist.
2. Die Wirtschaft der USA: Nur knapp 35 Prozent der Amerikaner glauben, dass Bidens Wirtschaftskonzept das richtige ist. 60 Prozent sehen die Ökonomie bei Donald Trump in besseren Händen. Mehr noch: Über 50 Prozent sagen, Biden habe ihnen persönlich ökonomisch geschadet. Und das in einem Umfeld, in dem Rekordbeschäftigung herrscht, die Arbeitslosigkeit auf dem niedrigsten Niveau von unter vier Prozent verharrt, die Löhne für untere Einkommensgruppen teils über Inflationsniveau gestiegen sind und die Post-Corona-Phase durch massive staatliche Subventionen abgefedert wurde.
Die „gefühlte“ Realität spiegelt aber nicht zurück, dass die US-Wirtschaft im dritten Quartal dieses Jahres um sensationelle fünf Prozent zugelegt hat. Obwohl die Inflationsrate auf drei Prozent gesunken ist, ächzen Millionen Amerikaner unter nach wie vor stark erhöhten Lebenshaltungskosten. Vor allem an den Preisen im Supermarkt, an der Tankstelle und im Fast-Food-Restaurant macht sich der Frust fest, der bei Biden abgeladen wird.
Unter den jungen Wählern – 2020 eine Bastion für Biden – bezeichnen über 90 Prozent ihre Zukunft als düster. Sie können mit dem großväterlichen Ton des Präsidenten („Amerika kann alles schaffen, wenn es gemeinsam vorgeht“) nichts anfangen. Viele nehmen ihm übel, dass sein Versprechen, durch die Bank Kreditschulden aus dem Studium zu streichen, nicht eingehalten wurde. Kongress und Oberster Gerichtshof grätschten dazwischen.
Die enorm gestiegenen Zinsen haben zudem für viele Berufsanfänger den Traum von den eigenen vier Wänden für viele Jahre zerplatzen lassen. Der Wohnungsmarkt steckt in Turbulenzen. Selbst Leute mit guten Jobs empfinden den Alltag als zermürbend. „Man kommt so gerade eben über die Runden, ohne substanziell etwas für die Zukunft sparen zu können“ – so lautet ein weit verbreiteter Satz. Biden geht darauf in seinen Reden zur wirtschaftlichen Lage nicht erschöpfend ein. Er rede, so ein Kommentator, „am Volk vorbei“.
3. Einwanderung: Neben der steigenden Kriminalität (fast 1000 Fälle von gewaltsamen „Carjackings“ allein in Washington D.C. in diesem Jahr) liegt vielen Amerikanern die ungeklärte Immigration schwer im Magen. Seit Bidens Amtsantritt Anfang 2021 haben über vier Millionen Menschen versucht, illegal über die Grenze zu Mexiko in die Vereinigten Staaten zu gelangen. Das Asylsystem mit seinen langen Wartefristen ist nach inoffiziellen Darstellungen von Experten im Heimatschutzministerium nahezu „kollabiert“.
Biden lässt verstärkt Flüchtlinge nach Venezuela, Kuba und Nicaragua abschieben
Zehntausende Armutsflüchtlinge vorwiegend aus Lateinamerika werden seit Monaten von republikanisch geführten Bundesstaaten im Süden in die Metropolen im Norden verfrachtet. Das Problem wird sozusagen landesweit sozialisiert und bleibt damit dauerhaft präsent.
Trotz verschiedener Anläufe kriegt Biden keine substanzielle Kurskorrektur hin. Zuletzt griff er darauf zurück, die Grenze streckenweise im Sinne von Vorgänger Trump mit neuen Befestigungsanlagen zu schützen. Und: Gegen Proteste aus dem linken Spektrum der Demokraten schieben die USA seit Kurzem verstärkt illegale Einwanderer nach Venezuela, Kuba und Nicaragua ab. Kritiker sehen darin verzweifelten Aktionismus.
4. Das Ausland: Mit Außenpolitik kann man erfahrungsgemäß in Amerika keine Wahlen gewinnen – aber sehr wohl verlieren. Für Biden ist die Konstellation vor Beginn des Wahljahres sehr ungünstig. Im Verteidigungskrieg der Ukraine gegen Russland droht den USA die Puste auszugehen. Republikanischer Widerstand im Kongress, der ein wachsendes Unbehagen in der Bevölkerung abbildet, macht es unwahrscheinlich, dass Biden Kiew wie geplant für 2024 rund 60 Milliarden Dollar Militärhilfe zukommen lassen kann. Ohne das Geld, das Europa aus eigenen Mitteln nie kompensieren würde, lässt die Kampfkraft der Ukraine vielleicht schon im kommenden Frühjahr rapide nach. „Biden könnte gezwungen sein, die Ukraine zu Friedensverhandlungen mit dem Kreml zu drängen“, heißt es im Umfeld der Regierung, „was mit einem großen Gesichtsverlust verbünde wäre.“
Auch die zweite auswärtige Großbaustelle birgt Gefahren für den Präsidenten. Bidens nahezu vorbehaltlose Unterstützung für Israel im Vergeltungskampf gegen die islamistischen Hamas-Terroristen hat Millionen arabischstämmige Amerikaner in Aufruhr versetzt. Sie sehen den Präsidenten als Steigbügelhalter eines Genozids an den Palästinensern. Viele wollen Biden dafür bei der Wahl am 5. November die Quittung geben. In umkämpften Bundesstaaten wie etwa Michigan könnten bereits wenige Zehntausend Stimmen den Ausschlag geben.
5. Die Konkurrenz: Joe Biden liegt in vielen Umfragen hinter Trump. Das ist ein Jahr vor der Wahl noch kein Beinbruch. Schwerer wiegt die Tatsache, dass Dritt-Kandidaten ohne demokratisches oder republikanisches Parteibuch in der Wählergunst diesmal weit oben rangieren. So wird Robert F. Kennedy Jr., Sohn des wie sein Onkel John F. Kennedy ermordeten Ex-Justizministers Bobby Kennedy, derzeit auf stolze 22 Prozentpunkte taxiert. Wenn der 69-jährige Umwelt-Anwalt das in echte Stimmen ummünzen kann und wenn auch andere Außenseiter wie Professor Cornel West oder die Grüne Jill Stein Biden Stimmen abjagen würden, hätte der Amtsinhaber nach Analystensicht das Nachsehen. 2020 hatte der 81-Jährige in Georgia, Pennsylvania, Arizona und Nevada zusammengerechnet nur 136.000 Stimmen mehr als Trump. Dieses Polster ist bei der kommenden Wahl mehr als gefährdet.