Berlin. Die Bilder aus Gaza und Israel beschäftigen viele Jugendliche in Deutschland. Ein Experte sagt, worauf Eltern achten sollten.
Davidsterne an Häuser geschmiert, islamistische Banner bei Demos in Essen und die „Jüdische Allgemeine“ muss aus Angst vor möglichen Attacken in neutralen Briefumschlägen zugestellt werden. Seit dem Anschlag der Hamas rollt über Deutschland eine Welle des Antisemitismus – die auch vor Kindern nicht Halt macht. „Ich mache mir große Sorgen, weil ich das Gefühl habe, wir verlieren hier gerade eine ganze Generation“, sagt der Pädagoge und Autor Burak Yilmaz dieser Redaktion.
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Aber was können Eltern tun, wenn ihre Kinder zu Hause plötzlich eine ganz eigene Version des Nahostkonflikts erzählen – und damit möglicherweise jüdische Menschen diffamieren? Seit Jahren setzt sich Yilmaz mit Antisemitismus in der Jugend auseinander. Hier gibt er Eltern Tipps, wie sie den Antisemitismus ihrer Kinder frühzeitig erkennen und diesem begegnen.
Zu welchen Konflikten führt der Krieg in Nahost innerhalb der Familie?
Kommen Kinder aus der Schule, dem Hort oder dem Verein, sind es die Eltern, die sich der Aufgabe stellen müssen, über die Themen der Zeit zu sprechen. Seit dem 7. Oktober bestimmt wohl auch der Nahostkonflikt die Debatten beim Abendessen. „Im Moment herrscht ein krasses Lagerdenken gesamtgesellschaftlich – jeder wählt seine Seite, als wäre es ein Fußballspiel“, sagt Yilmaz.
Der Pädagoge erhalte derzeit viele Zuschriften von besorgten Eltern, die ihre Kinder in antisemitische Richtungen abdriften sehen. Nicht nur in muslimischen Familien käme das vor. Einige Kinder würden sich auch rechtsgerichtet radikalisieren. „Ich erlebe viele Eltern, die gerade krass überfordert sind“, so Yilmaz, der eine drohende Spaltung der Gesellschaft prognostiziert: „Ich habe Angst, dass bald ein Punkt kommt, an dem wir nicht mehr zurückkommen.“
Wie werden Kinder und Jugendliche antisemitisch beeinflusst?
Ein wichtiger Faktor sei die Meinung von Vorbildern. „In der Jugendkultur spielt nicht nur Rap eine Rolle, sondern auch Pop“, so Yilmaz, der auf einen Post des Musikers Justin Bieber verweist. Dieser hatte in den sozialen Netzwerken ein Bild mit „Pray for Israel“ geteilt, auf dem im Hintergrund aber der Gazastreifen zu erkennen war.
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Problematisch werde es, wenn Menschen ihrer Vorbildfunktion nicht nachkommen und die Hamas verherrlichende Inhalte verbreiten. Immer häufiger geschehe dies in den sozialen Netzwerken, denen Yilmaz einen entscheidenden Beitrag zur antisemitischen Radikalisierung Jugendlicher zurechnet. Wenn junge Menschen keinen Platz hätten, ihre Sichtweisen auf den Nahostkonflikt zu artikulieren, wenden sie sich denen zu, die ein offenes Ohr für sie haben, erklärt er. „Diejenigen, die gerade Angebote schaffen, sind Islamisten bei TikTok.“
Für welchen Antisemitismus sind junge Menschen besonders anfällig?
Ob von links, von rechts oder religiös begründeter Antisemitismus: Alle Formen vereint die gleiche Ablehnung jüdischen Lebens. „Es spielt am Ende keine Rolle, über welchen Antisemitismus man den Einstieg hat“, so Yilmaz. Kinder seien für alle Formen von Antisemitismus anfällig.
Laut Yilmaz besteht für jedes Kind in einer bestimmten Lebensphase die Gefahr, sich zu radikalisieren. „Antisemitismus spielt immer eine Rolle beim Heranwachsen von Jugendlichen“, so der Pädagoge. Die Kinder suchten ihre Rolle in der Welt und Antworten auf drängende Fragen wie Leid und Ungerechtigkeit. „Wenn man in dieser Zeit keine Orientierung hat und auf Leute oder Videos stößt, die einem Orientierung geben, dann wird es problematisch.“
Ab welchem Alter sollten Eltern wachsam sein?
„Es ist wichtiger denn je, so früh anzusetzen, wie es geht“, so Yilmaz. Bereits dreijährige Kinder würden wahrnehmen, wenn etwa „Jude“ als Schimpfwort genutzt werde. Deshalb sei es wichtig, bereits diese Altersstufe über gesellschaftliche Missstände aufzuklären, um stereotype Zuschreibungen zu verhindern.
Heikler werde die Situation, wenn Kinder mit jungen Jahren uneingeschränkten Zugang zu sozialen Medien wie TikTok erlangen. „Wenn Achtjährige tote Kinder sehen, obwohl sie selbst noch Kinder sind, dann löst das schlimme Gefühle und Ängste aus“, so Yilmaz.
Worauf sollten Eltern achten, um Antisemitismus frühzeitig zu erkennen?
Der Experte rät, immer wachsam zu sein und antisemitische Aussagen nicht unkommentiert stehenzulassen. „Wenn Eltern merken, mein Kind ändert gerade seine Sprache, es ändert gerade seine Themen, dann würde ich genauer hinschauen“, so Yilmaz. Geht es um das Thema Israel, sollten Eltern bei Schwarz-Weiß-Bildern hellhörig werden. Auch in der Jugendsprache bereits etablierte Sprüchen wie „Ex oder Jude“ sollten nicht stehengelassen, sondern offen thematisiert werden.
Was sollen Eltern tun, wenn sich ihr Kind antisemitisch radikalisiert?
Wenn Jugendliche etwa bereits mit antisemitischen Stereotypen um sich schmeißen oder auf radikalen Demos mitlaufen, sollten Eltern in die Offensive gehen. Verbote hätten keine Wirkung, warnt Yilmaz, da sich Jugendliche dadurch nicht an ihren Vorhaben hindern lassen.
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Stattdessen sollten Eltern offen mit ihren Kindern über ihr Verhalten sprechen. „Das Wichtigste ist, dass sie eine Beziehung zu ihren Kindern aufbauen“, so Yilmaz. Schauen diese etwa Videos von Extremisten, sollten Eltern nicht die moralische Keule auspacken und diese verteufeln, sondern nachfragen: Warum guckst du das Video? Was macht das mit dir? Von wem kommt das Video? Dabei sollten Eltern den Kindern ihre eigenen Sorgen und Ängste offen kommunizieren. Auch das gemeinsame Schauen von Dokumentationen kann Abhilfe schaffen.
Dennoch sollten Eltern die Haltung ihrer Kinder herausfordern. „Die Kinder müssen immer wieder dazu bewegt werden, verschiedene Perspektiven im Nahostkonflikt einzunehmen.“ Sie müssten verstehen, dass sie den anderen Opfern Unrecht tun, wenn sie einseitig trauern.
„Ein Grundproblem ist, dass eben viele Kinder ihren Eltern nichts erzählen, weil im Freundeskreis ein gewisser sozialer Druck herrscht.“ Hier empfiehlt Yilmaz, sich gut mit anderen Eltern zu vernetzen, um eine gemeinsame Lösung zu finden. „Es ist wichtig, dass Eltern den Draht zu ihren Kindern nicht verlieren beziehungsweise beobachten, was ihre Kinder konsumieren.“
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