Essen. Diesen Montag beraten die Länderchefs und der Bundeskanzler über das D-Ticket. Tatsächlich geht es um mehr als nur eine Bus- und Bahn-Fahrkarte.

Wenn sich an diesem Montag, 6. November, die 16 Ministerpräsidentinnen und -en der Bundesländer und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin zur turnusgemäßen Bund-Länder-Beratung treffen, werden Bus und Bahn vermutlich im gewohntem Maße verkehren. Doch bei der Ministerpräsidentenkonferenz steht auch das Deutschlandticket auf der Tagesordnung. Und dabei geht es um nichts weniger als die Zukunft des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Deutschland.

„Wir brauchen eine umfassende Reform“, beschreibt Lothar Ebbers, Sprecher der Fahrgastvereinigung Pro Bahn NRW, die Lage. So sehr das bundesweit gültige und extrem preisvergünstigte „D-Ticket“ einer Tarif-Revolution gleichkommt - es offenbart, sagt Ebbers, “dass das bisherige Konstrukt und die Finanzierung des ÖPNV in wichtigen Teilen nicht mehr zukunftsfähig ist.“ Und das Ticket selbst steht auf der Kippe.

Streit ums Deutschlandticket: Schafft es der Kanzler, den „gordischen Knoten durchzuschlagen“?

Das Deutschlandticket ist ein Gewinn für viele Nutzer, um vergleichsweise günstig vom Auto auf Bus und Bahn zu wechseln. Aber für kommunale Verkehrsunternehmen, die Verkehrsverbünde, die das Bus- und Bahn-Angebot organisieren und Kommunen und Länder ist das 49-Euro-Ticket ein enormes Verlustgeschäft. Alleine der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) beziffert seine Einnahmeverluste durch das D-Ticket auf 20 Millionen Euro pro Monat. Weil es für Nutzerinnen und Nutzer so viel günstiger ist, als die bisherigen Tickets und sich selbst für viele, die nur gelegentlich in Bus und Bahn steigen, rechnet.

Seit Monaten ringen die Länder mit dem Bund, dass der für 2024 seinen Anteil erhöht, die Verluste auszugleichen, für die die Bundesländer bereits zugesagt haben, die eine Hälfte zu übernehmen. Bisher aber gab es keine Einigung, was in der Hauptsache am Widerstand von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) liegt. Für Montag erhofft sich denn Lothar Ebbers vom Fahrgastverband Pro Bahn NRW nichts weniger, als dass es Bundeskanzler Olaf Scholz gelingen möge, endlich „den gordischen Knoten durchzuschlagen.“ Und der Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) sagt, würde das Deutschlandticket scheitern, „wäre das ein beispielloser Rückschritt“. Es würde „nachhaltig Vertrauen verspielen gegenüber den Fahrgästen.“ Und den ÖPNV womöglich auf Jahre schwächen.

Vieles beim Deutschlandticket ist rechtlich noch ein Provisorium

„Die Einführung des Deutschlandtickets war nur möglich, weil Bund und Länder bereit waren, für die Mindereinnahmen aus dem Deutschlandticket im Startjahr unbegrenzt einzustehen“, erläutert der Fahrgastverband Pro Bahn NRW in einem Statement in der jüngsten Ausgabe seines Verbandsorgan „Ruhrschiene“. Zunächst hätten Bund und Länder jeweils 1,5 Mrd. Euro pro Jahr zugesichert, da eine erste Schätzung einen Finanzierungsbedarf von 3 Mrd. Euro jährlich ergeben hatte, schreibt Pro Bahn. „Inzwischen weisen die aktualisierten Zahlen darauf hin, dass in 2024 mit einem Bedarf von über 4 Mrd. Euro zu rechnen ist. Auch der Ausgleich der Verluste bemisst sich bis dato auch an der Preisentwicklung.“

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Vieles beim Deutschlandticket sei „ein Provisorium“, sagt Lothar Ebbers. Der Bund hat den Preis des D-Tickets zum Beispiel vorgegeben. Deshalb war es von den jüngsten Preiserhöhungen etwa im VRR, die ab 2024 gelten, ausgenommen. „Es kann niemand daran glauben, dass der Preis des Deutschlandtickets angesichts der allgemeinen Preisentwicklung bei 49 Euro festgefroren sein kann“, meint Ebbers. Aber: „Für eine neue Preisfestsetzung gibt es bisher kein geklärtes Berechnungs- und Beschlussverfahren“, weist Pro Bahn NRW hin. Die bisherige Rechtsbasis lief am 30. September aus. Und natürlich ist da auch die Unsicherheit, ob eine Preiserhöhung auf vielleicht 59 oder gar 69 Euro pro Monat nicht zu viele Kundinnen und Kunden wieder abschreckt, gibt man beim VDV zu bedenken.

Pro Bahn NRW: Verkehrsunternehmen brauchen Planungssicherheit für zehn Jahre

Offen ist auch eine Lösung für ein bundesweites Semesterticket. Überhaupt bräuchten die Verkehrsverbünde eigentlich „völlig neue Ticket-Angebote“, meint Lothar Ebbers. Doch noch müssen die bestehenden Dauertickets wie etwa das Ticket2000 im VRR - die 2024 deutlich teurer werden - beibehalten werden, selbst wenn mehr als 90 Prozent der Dauerkunden aufs Deutschlandticket umgestiegen sind. Grund: Am Preis dieser Tickets werden die Ausgleichszahlungen in punkto Verluste bemessen. Auch das könne, sagt Ebbers, auf Dauer so nicht bleiben. Denn: Wenn bestehende Tickets teurer werden, das D-Ticket aber bei 49 Euro bliebe, stiegen die Verluste, die ausgeglichen werden müssten, um so stärker.

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Beim Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) sieht man eine weitere Herausforderung für das System ÖPNV, wie ein Sprecher erklärt, weil es erkennbar Anreize setzt: „Wenn deutlich mehrere Millionen Menschen zusätzlich das D-Ticket hätten“ - was ja mit Blick auf den Klimaschutz gewünscht wäre - „müsste man auch das ÖPNV-Angebot ausbauen“ - damit sei man wieder beim Thema Finanzen. Denn schon jetzt fehlen ja z.B. Busfahrer, Lokführer - und dann sind da noch die vielen Pläne zur Reaktivierung von stillgelegten Bahnstrecken, deren Umsetzung angesichts der Klima-Krise dringend nötig wäre.

Wenn an diesem Montag also die Zukunft des Deutschlandtickets in Berlin eines der Themen der Ministerpräsidentenkonferenz ist, geht es aus Sicht von Pro Bahn NRW nicht alleine darum, dafür zu sorgen, dass das Ticket auch 2024 noch angeboten wird und auch 2025, sagt Lothar Ebbers: „Die Verkehrsunternehmen müssen über Investitionen entscheiden in neue Fahrzeuge, die Ausbildung von neuem Personal. Dazu brauchen sie sichere Perspektiven für mindestens zehn Jahre!“

>> Hintergrund: Das Deutschlandticket im VRR in Zahlen

  • Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR), der vor allem das Ruhrgebiet und den Niederrhein abdeckt, zählt 1,23 Millionen D-Tickets (Stand: August ‘23).
  • Die Zahl der „echten“ Neukunden, die bisher kaum oder nicht Bus und Bahn gefahren sind, wird auf 50.000 - 66.000 geschätzt.
  • Am 1. Dezember startet das Deutschlandticket Sozial für 39 Euro im Monat im VRR. Der Vorverkauf ist jetzt gestartet.
  • Vor dem Deutschlandticket-Start zählte der VRR 118.000 Sozialticketnutzer. Etwa 60.000 sind vermutlich zwischenzeitlich zum D-Ticket gewechselt, sagt der VRR.
  • Zusatztickets zum Deutschlandticket sind im VRR so gut wie kaum gefragt. Der VRR zählte im August 1809 1-Klasse Abo-Tickets und 3231 Fahrrad-Abotickets als „Upgrade“ zum Deutschlandticket.