Berlin. Die ehemalige Kommunistin will allen anderen Parteien Wähler wegnehmen – auch der AfD. Dafür macht sie ein konkretes Angebot.
Mit Lob verhält es sich bekanntlich wie mit der eigenen Familie: Beides kann man sich nicht aussuchen. Als die ehemalige Linken-Frontfrau Sahra Wagenknecht in der vergangenen Woche den Bruch mit ihrer bisherigen Partei vollzog und ihr neues Projekt „Bündnis Sahra Wagenknecht – für Vernunft und Gerechtigkeit“ präsentierte, rief das auch den Chef der rechten AfD, Tino Chrupalla, auf den Plan. Und der äußerte sich ziemlich wohlwollend.
Chrupalla meinte, inhaltlich sei Wagenknechts Bündnis „fast eins zu eins AfD“. Allerdings gebe es bereits eine Partei für den gesunden Menschenverstand, und das sei seine eigene. So gesehen sei der Wagenknecht-Verein „ein weiterer politischer Mitbewerber“, der ihm aber keine Angst bereite.
Ob das stimmt, sei dahingestellt. Denn das neue Wagenknecht-Bündnis BSW wirbt ausdrücklich auch um bisherige Wähler der Alternative für Deutschland. „Die AfD hat es jetzt geschafft, die Adresse der Unzufriedenen zu sein“, sagte die ehemalige Kommunistin am Abend ihres großen Auftritts. Diese Menschen bräuchten jetzt eine „seriöse Adresse, die tatsächlich nicht nur Protest artikuliert, sondern auch Antworten hat“.
Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA für die Bild am Sonntag würde eine Wagenknecht-Partei aus dem Stand 14 Prozent der Stimmen holen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre und die Partei dort anträte. Der Erfolg ginge vor allem zulasten von Chrupallas AfD, analysieren die Meinungsforscher. Aber auch die anderen Parteien müssten Federn lassen.
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BSW: Noch lässt die Parteigründung auf sich warten
Noch ist Wagenknechts BSW freilich nur ein Verein, der die Keimzelle für eine baldige Partei-Neugründung sein soll. Es fehlt bislang an entsprechenden Strukturen, Geld und einem konkreten Programm. Bisher gibt es nur ein vierseitiges Papier, das das Bündnis als „Gründungsmanifest“ bezeichnet. Der Internet-Auftritt des BSW gibt einige weitere Hinweise auf die politische Ausrichtung des Vereins. Vieles davon dürfte auch bisherige Wähler und Funktionäre der AfD ansprechen. Und Bürger, die der AfD zwar fernstehen, aber mit den gegenwärtigen politischen Verhältnissen in Deutschland fremdeln.
Beispiel 1: Das BSW kommt antiwestlich daher und lässt Sympathien für Russland erkennen – Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine zum Trotz. So heißt es im Abschnitt „Frieden“ des Gründungsmanifests mit Blick auf Nato und die Vereinigten Staaten: „Eine Militärallianz, deren Führungsmacht in den zurückliegenden Jahren fünf Länder völkerrechtswidrig überfallen und in diesen Kriegen mehr als 1 Million Menschen getötet hat, schürt Bedrohungsgefühle und Abwehrreaktionen und trägt so zu globaler Instabilität bei.“
Statt eines „Machtinstruments für geopolitische Ziele“ brauche es ein defensiv ausgerichtetes Verteidigungsbündnis, das Abrüstung anstrebt und in dem sich die Mitglieder auf Augenhöhe begegnen. Europa benötige eine „stabile Sicherheitsarchitektur, die längerfristig auch Russland einschließen sollte“. Betont wird, dass „US-amerikanische Interessen sich von unseren Interessen teilweise erheblich unterscheiden“.
Auf der Website des Vereins heißt es, dass die Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht dazu beitrügen, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Vielmehr schadeten sie Deutschland und Europa. „Wir fordern in unserem eigenen Interesse, dass Deutschland mit Russland über die Wiederaufnahme der Gas- und Öllieferungen in Verhandlung tritt.“ Außenpolitisch beruft sich das BSW auf die Tradition Willy Brandts und Michail Gorbatschows, die „dem Denken und Handeln in der Logik des Kalten Krieges eine Politik der Entspannung“ entgegengesetzt hätten.
Wagenknecht-Verein: Ein kühles Verhältnis zur Klimapolitik
Beispiel 2: Zur Klimapolitik, dem zentralen Handlungsfeld der kommenden Jahrzehnte, lässt der Wagenknecht-Verein ein eher kühles Verhältnis erkennen. Anders als die AfD leugnet er zwar nicht den menschengemachten Klimawandel. Er bezeichnet die Erd-Erwärmung und die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen sogar als „ernste Herausforderungen, die die Politik nicht ignorieren darf“. Dazu gehöre aber auch Ehrlichkeit; Deutschlands Energieversorgung lasse sich im Rahmen heutiger Technologien nicht allein durch Erneuerbare sichern. „Blinder Aktivismus und undurchdachte Maßnahmen helfen dem Klima nicht, aber sie gefährden unsere wirtschaftliche Substanz, verteuern das Leben der Menschen und untergraben die öffentliche Akzeptanz von sinnvollen Klimaschutzmaßnahmen.“
Beispiel 3: So wie viele Rechte und Konservative hat sich auch Wagenknecht dem Kampf gegen einen vermeintlichen linken Mainstream verschrieben. Im Gründungsmanifest heißt es: „Cancel Culture, Konformitätsdruck und die zunehmende Verengung des Meinungsspektrums sind unvereinbar mit den Grundsätzen einer freien Gesellschaft.“ Das Gleiche gelte „für den neuen politischen Autoritarismus, der sich anmaßt, Menschen zu erziehen und ihren Lebensstil oder ihre Sprache zu reglementieren“.
Auf der BSW-Website heißt es ergänzend, man setze sich dafür ein, „dass niemand Angst haben muss, seine Meinung zu äußern, auch wenn diese nicht der über die Leitmedien veröffentlichten Meinung entspricht“. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk solle ein Korrektiv zu globalen Tech-Monopolen und zu hiesigen Medienkonzernen sein, aber „keine Erziehungsanstalt oder ein bloßes Sprachrohr der herrschenden Politik“. Viele Menschen nähmen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk derzeit so wahr.