Santiago de Chile. Argentinien wählt einen neuen Präsidenten. Die Sorge ist groß, dass Javier Milei das Rennen macht – doch erste Ergebnisse überraschen.
Die Argentinier haben dem ultrarechten Kandidaten Javier Milei in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in dem südamerikanischen Land ein überraschend unschönes Geburtstagsgeschenk gemacht: Bei der Abstimmung blieb Milei, der am Sonntag seinen 53. Geburtstag feierte, weit hinter den Umfrageergebnissen zurück und kam mit 29,99 Prozent nur auf den zweiten Platz. Der Regierungskandidat und amtierende Wirtschaftsminister Sergio Massa vereinte knapp 37 Prozent der Stimmen auf sich. In den Umfragen vor der Wahl hatte das Ergebnis genau andersrum ausgesehen.
Beide Politiker stehen sich nun am 19. November in einer Stichwahl gegenüber. Analysten gehen schon jetzt davon aus, dass es ein ausgesprochen enges Rennen werden wird, in dem zwei diametrale Konzepte zur Abstimmung stehen: auf der einen Seite ein Modell des Mitte-links-Peronismus, das mit kurzen Unterbrechungen bereits seit zwei Jahrzehnten regiert und hauptverantwortlich ist für die katastrophale Finanz- und Wirtschaftslage Argentiniens. Auf der anderen steht ein völlig neues, radikal libertäres Konzept, das den Einfluss des Staates auf das Notwendigste reduzieren will.
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So schlägt Milei etwa die Abschaffung der Mehrheit der Ministerien und die „Dollarisierung“ des Landes vor. „Die Menschen haben nicht aus Zuneigung zu den Peronisten für Massa gestimmt, sondern aus Furcht vor dem, was mit Milei kommen könnte“, sagt Alejandro Catterberg, Chef der Beratungsfirma Poliarquía Consultores. Tatsächlich gibt es für die radikalen Konzepte des Ultrarechts-Bewerbers keine Vorbilder. Es könnte auch sein, dass das Land dann in den totalen Zusammenbruch abrutscht.
Argentinien: Javier Milei deutet seine Niederlage in einen Sieg um
Der Ökonom und frühere TV-Experte Milei ist ein Seiteneinsteiger, der seit kaum drei Jahren in der Politik der drittgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas mitmischt. Dennoch zog er im Wahlkampf alle Aufmerksamkeit auf sich. Zum einen wegen seiner radikalen Positionen sowie seines aggressiven Wahlkampfes, in dem er die Gegner mehr beleidigte als inhaltlich bekämpfte. Zum anderen wegen seines nahezu kometenhaften Aufstiegs bei den Vorwahlen im August, bei denen er 30,06 Prozent der Stimmen holte – und plötzlich zum Favoriten wurde.
Am Sonntag blieb er nun völlig überraschend hinter den Erwartungen zurück, während Massa zwei Millionen Stimmen hinzugewinnen konnte. Zuletzt hatte Milei sogar mit einem Sieg in der ersten Runde geliebäugelt. Am Ende aber entpuppte sich der selbst ernannte Löwe der argentinischen Politik eher als ein Bettvorleger. Bei seiner nur knapp achtminütigen Rede am späten Sonntagabend versuchte er, die Pleite in einen Sieg umzudeuten. „Wir haben Historisches erreicht. Noch vor zwei Jahren hätte niemand damit gerechnet, dass wir in einer Stichwahl gegen den amtierenden Peronismus antreten würden.“
Milei bezeichnet die Stichwahl in vier Wochen als „die wichtigste Wahl in 100 Jahren“, in der es um ein freiheitliches Konzept gehe oder eines, das Argentinien nur „tiefer in die Misere“ führen werde. Tatsächlich wirkt es absurd, dass die Bevölkerung mehrheitlich eine Regierung und vor allem ihren Wirtschaftsminister wählt, obwohl der für 140 Prozent Inflation und 40 Prozent Armut zumindest mitverantwortlich ist. „Aber Massa hat sich maximal vom scheidenden Links-Präsidenten Alberto Fernández und der Ex-Staatschefin Cristina Kirchner distanziert“, ergänzt Analyst Catterberg.
Mit Milei droht Argentinien eine „Jahrtausendkatastrophe“
Entscheidend wird sein, ob es dem Wahlsieger vom Sonntag gelingen wird, die Inflation einzudämmen und die Wählerinnen und Wähler der drittplatzierten konservativen Patricia Bullrich auf seine Seite zu ziehen. In seiner langen Rede am Sonntagabend zeigte er sich sehr demütig, entschuldigte sich für die Situation im Land und kündigte an, eine „Regierung der nationalen Einheit“ aufzubauen, sollte er gewinnen. Damit deutete er an, dass er auf die moderate Rechte und deren Kandidatin Bullrich zugehen wolle.
Milei hingegen muss die Befürchtungen in Bezug auf seine psychische Stabilität zerstreuen und die Angst, dass sich in seinem Team keine wirklich fähigen Politikerinnen und Politiker befinden. Würde er doch noch Präsident, wird seine Partei LLA sowohl in der Abgeordnetenkammer als auch im Senat in der Minderheit sein. Seine Partei könnte keinen einzigen der 24 Gouverneure stellen, welche die wichtige territoriale Macht Argentiniens kontrollieren.
Bisher hat er sich weitgehend als politischer Hooligan positioniert. Doch als Präsident müsste Milei weniger konfrontativ und deutlich kompromissorientierter agieren. Er bräuchte mehr Expertise in allen Politikfeldern oder müsste sie hinzuziehen. Andernfalls, schreibt der argentinische Schriftsteller Martín Caparrós, drohe Argentinien eine „Jahrtausendkatastrophe“, die „das Leben von Tausenden, ja Millionen von Menschen gefährden würde. Es gäbe Hunger, Entbehrungen, Unruhen, die Straßen würden in Flammen aufgehen – und Milei hat bereits angedeutet, dass er die Armee einsetzen könnte, um den Aufruhr zu beenden.“