Mexiko-Stadt. Javier Milei leugnet den Klimawandel, verehrt Trump und hält den Papst für einen Kommunisten. Wird er nun Argentiniens neuer Präsident?
Wenn man Javier Milei länger zuhört und zusieht, fragt man sich unweigerlich: Ist er nur verrückt oder auch gefährlich? Dieser laute und ständig wütende Mann, der seine Auftritte gerne wie ein Rockstar in Lederjacke und mit wilder Mähne inszeniert, will Präsident Argentiniens werden. Und nach den Vorwahlen am vergangenen Wochenende stehen die Chancen des 52-Jährigen dafür ganz gut.
Der ultrarechte Politiker gewann überraschend das Rennen vor den Kandidaten der bürgerlichen Parteien und hat damit politische und wirtschaftliche Schockwellen durch die chronische Krisenrepublik am Südzipfel Südamerikas gesandt. Die Börse und der ohnehin schwindsüchtige Peso stürzten ab.
Lesen Sie auch: Boris Johnson und Donald Trump – Die Stunde der Populisten
Neben einem Sanierungsfall mit gespenstischen Wirtschaftsdaten ist Argentinien aber auch ein Land der Kultur und Bildung sowie der Ressourcen. Eigentlich. Es ist immerhin die drittgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas und das Land mit der viertgrößten Bevölkerung. Aber am Rio de la Plata haben sie schon viele charismatische Figuren, Politiker und Politikerinnen von links und rechts gesehen. Evita Perón, ihren Mann und Nazifreund Juan Domingo Perón oder das Ehepaar Kirchner. Alle gingen, nur die Krise blieb.
Argentinien: Systemsprenger Javier gibt der Wut der Menschen ein Ventil
Aber jetzt kommt der Systemsprenger Javier Milei daher, dieser in jeder Hinsicht radikale und libertäre Politiker und Ökonom, und gibt der Wut der Menschen ein Ventil – ganz so wie Donald Trump in den Vereinigten Staaten. Er selbst bezeichnet sich als „Anarchokapitalist“, für den der Staat prinzipiell eine kriminelle Organisation ist, die von den Steuern lebt und die Bevölkerung bestiehlt.
Er macht keinen Hehl aus seiner Bewunderung für die beiden Ex-Präsidenten Trump und Jair Bolsonaro (Brasilien). Nach seinem Sieg am Sonntag wurde er vom chilenischen Rechtsaußenpolitiker José Antonio Kast sowie der spanische Rechtsaußen-Partei Vox überschwänglich gefeiert. Milei selbst träumt von einem globalen Netzwerk ultrarechter Politiker.
Aber eigentlich passt er mit seiner radikalen Freiheitsphilosophie so gar nicht in das Schema der sonst so moralinsauren und gläubigen Rechtsaußen. Seine Grundsätze „Leben, Freiheit und Eigentum“ dehnt er auf alle Lebensbereiche aus. Während er Abtreibungen ablehnt, das freie Tragen von Waffen befürwortet oder den Klimawandel leugnet, verteidigt er das individuelle Recht auf Geschlechtswahl, die Ehe für alle und die Legalisierung von Drogen. Er propagiert die freie Liebe, ist antiklerikal und hält Papst Franziskus für die „Inkarnation des Kommunismus“.
Milei war Unternehmensberater und Tantra-Sex-Lehrer
Sein Aufstieg ist Folge der Wut der argentinischen Bevölkerung auf die bisherigen Regierungen, die das Land nicht nachhaltig aus der Krise holen konnten. Milei hat den Nerv der Heerscharen von Enttäuschten getroffen, die bereit sind, alles in die Luft zu sprengen, um einen Neuanfang zu wagen. Er steht für das Ende einer alten politischen Ordnung. Und dabei hilft ihm sehr, dass er nicht aus der Politik kommt. Er war Mitarbeiter internationaler Banken, Unternehmensberater, Tantra-Sex-Lehrer und zuletzt TV-Kommentator.
Als Student galt er zudem als begabter Torwart bei „Chacarita Juniors“ und gehörte zum Profikader. „Wir sind die echte Opposition,“ rief er am Sonntag seinen Anhängern zu. „Das Ende der parasitären Politikerkaste, die Argentinien seit 40 Jahren regiert, ist gekommen.“ Und er versprach: „Wir werden am 22. Oktober im ersten Wahlgang gewinnen, und dann beginnt der Wiederaufbau.“
Argentinien steuert auf Inflationsrate von 115 Prozent zu
Milei räumt vor allem bei jüngeren Menschen ab – besonders bei jenen um die 30, die nichts anderes kennen als Wirtschaftskrise und Inflation. Das südamerikanische Land steuert auf eine Jahresteuerungsrate von 115 Prozent zu, ist fast ohne Devisenreserven. Und in der Folge sind 43 Prozent der Bevölkerung in Armut gefallen. Das sind 46 Millionen Menschen. Oft hängt ihr Überleben an staatlichen Sozialprogrammen.
Sollte der rechte Außenseiter mit seiner vor zwei Jahren gegründeten Partei „La libertad avanza“, etwa: „Die Freiheit schreitet voran“ tatsächlich zum Staatschef Argentiniens gewählt werden, will er die Zentralbank abschaffen und sein Land als letzte Rettung vor der chronischen Inflation dollarisieren. Milei träumt davon, Argentinien in nur zwei Amtszeiten vor dem Untergang zu retten. Danach will er in den Ruhestand gehen, sich auf dem Land niederlassen und sich den drei Quellen seines größten Glücks widmen: seinen englischen Doggen, seiner Schwester Karina und dem Studium der Wirtschaftswissenschaften.