Berlin. Die AfD feiert sich nach den Landtagswahlen als „gesamtdeutsche“ Partei – und sie ist es in Zügen auch, sagen Experten. Das hat Folgen.
Am Tag danach ist das Entsetzen groß. Ausgerechnet CSU-Chef Markus Söder, sonst nicht für einen übervorsichtigen politischen Stil bekannt, stellte am Montag diese Diagnose: „Unsere Demokratie“, sagt er, „ist am Zerfasern und Zersplittern.“ Was den alten und neuen Ministerpräsidenten von Bayern umtreibt, sind die Ergebnisse der AfD bei den Landtagswahlen. Zweitstärkste Kraft in Hessen, drittstärkste in Bayern, große Zugewinne in beiden Ländern: eine ungetrübte Erfolgsbilanz für die AfD.
Und bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im kommenden Jahr hat sie allen Grund, auf noch deutlich besseres Abschneiden zu hoffen. Der Idee, dass die AfD ein reines Ost-Problem sein könnte, widersprechen die Landtagswahlen deutlich. Ist die Partei, die geprägt ist von Rechtsextremisten wie Björn Höcke, nun in beiden Teilen Deutschlands auf dem Weg zur Volkspartei?
Das ist jedenfalls eine Lesart, in der sich die AfD selbst gut gefällt. Die AfD sei „kein Ostphänomen mehr, sondern eine gesamtdeutsche Partei“, jubelte Co-Parteichefin Alice Weidel am Montag nach den Wahlen. Und sie werde auch „nicht mehr nur als Protestpartei wahrgenommen“, sondern habe aus allen Lagern an Stimmen hinzugewonnen. Das zeige, dass sich die AfD in der Breite in allen Wählerschichten etabliere.
Die AfD jubelt – und feiert sich als „gesamtdeutsche Partei“
Tatsächlich sind es Hunderttausende, deren Stimmen die Rechtsaußen-Partei in Hessen und Bayern dazu gewinnen konnte. Neue Wählerinnen und Wähler kommen aus allen politischen Lagern, sämtlich Parteien im Bundestag mussten Stimmen abgeben an die AfD.
Vor allem aber kommen sie von den Seitenlinien: Nachwahlanalysen zeigen, dass die AfD allein in Bayern 130.000 Nichtwähler überzeugen konnte, dieses Mal ein Kreuz zu machen. In Hessen waren es immerhin 76.000. Und die Daten zeigen auch: Längst hat die Partei eine Basis in allen Altersgruppen. Nur bei den Über-70-Jährigen nimmt die Unterstützung für die AfD stark ab.
Die landesweiten Ergebnisse werden dabei noch gedämpft durch eine schlechte Performance der Partei in Städten – in einigen Regionen aber liegen die Werte noch höher. Der Wahlkreis Wetterau II in Hessen etwa verzeichnete 27,2 Prozent AfD-Stimmen. Auch in Bayern, wo sich mit den Freien Wählern noch eine weitere Konkurrenzpartei rechts der CSU etabliert hat, kommt die AfD in einigen Wahlkreisen auf über 20 Prozent.
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Experte: In einem Punkt „Züge einer Volkspartei“ bei AfD
Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler an der Universität Kassel, sieht darin das Ergebnis einer „demokratiepolitisch unerwünschten Normalisierung“ der AfD, die sich zuletzt beschleunigt habe. Wachsende Teile der Bevölkerung würden die AfD trotz rechtsextremer und demokratiegefährdender Positionen wählen, „denn die Partei ist für viele Menschen ein Instrument, ihren Zorn auf die Verhältnisse und die regierenden Parteien deutlich zu machen“.
Dazu kämen die überzeugten Rechtsextremisten, deren Anteil ebenfalls wachse. Auch diese seien mit dem Programm und dem Auftreten der AfD vollends einverstanden. Der Partei gelingt es laut Schroeder, große Themen und deren Bedeutung für die Lebensnöte der Menschen zu identifizieren und mit klaren Worten anzusprechen. Damit habe sie zumindest in diesem Punkt „Züge einer Volkspartei“.
Kommentar:Der Einfluss der AfD hängt nicht nur von Wahlergebnissen ab
Unter den AfD-Wählenden in Hessen gaben laut Infratest dimap 54 Prozent an, aus Enttäuschung über andere Parteien ihr Kreuz bei der AfD gemacht zu haben, fast 40 Prozent dagegen aus „Überzeugung für meine Partei“. In Bayern lag der Anteil der Enttäuschten acht Prozentpunkte niedriger, die Zahl der überzeugten AfD-Wähler dafür acht Prozentpunkte höher.
„Die AfD wird nicht einfach wieder verschwinden“
Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der Technischen Universität Dresden ist vorsichtig bei der Interpretation dieser Zahlen. „Es scheint so zu sein, dass die Zahl der Befragten zunimmt, die sich auch programmatisch mit der AfD identifizieren können“, sagt er. In Deutschland sei es lange ein Tabu gewesen, rechts von der CDU/CSU zu wählen.
Doch das sei inzwischen hinfällig, sagt Vorländer, der unter anderem zu politischen Kulturen und Populismus forscht. Und er geht nicht davon aus, dass sich an dieser Entwicklung in absehbarer Zeit etwas ändert. „Die AfD wird nicht einfach wieder verschwinden“, sagt er. „Je länger sie da ist, desto stärker ist sie auch verwurzelt. Man hat da gerade in Westdeutschland die Augen zu gemacht und sich eingeredet, das sei temporär.“
Die großen Erfolge in den westdeutschen Ländern sind eine neue Entwicklung. Noch 2022 hatte sie in Nordrhein-Westfalen Verluste eingefahren und war knapp über der Fünf-Prozent-Hürde gelandet, in Niedersachsen reichte es für elf Prozent. Auch das war weit entfernt vom neuen Westdeutschland-Rekordergebnis von 18,4 Prozent in Hessen. Es sei vor allem ein Thema, das der Partei diesen Aufschwung beschert habe, sagt Vorländer. „Die AfD ist die Anti-Migrationspartei, sie hat da ein Alleinstellungsmerkmal und ein Thema, dass die Menschen im Augenblick sehr stark bewegt“, sagt er.
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Die Bürgerinnen und Bürger schienen zu erwarten, dass die Ampel-Koalition die Zuwanderung massiv begrenze, absehbar vielleicht sogar gänzlich stoppe. „Aber das ist natürlich eine Illusion“, sagt Vorländer. „Zuwanderung lässt sich steuern, aber nicht völlig stoppen.“ Das aber müsse Bundeskanzler Olaf Scholz klarer kommunizieren. Das zu tun, ohne die AfD zu stärken, sei ein Dilemma, sagt der Experte, doch der aktuelle Ansatz funktioniere nicht. „Die Ampel-Koalition beschweigt das Thema, aber das ist ein Fehler.“
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