Berlin. Die Teheraner Schülerin Armita Garawand liegt seit Sonntag im Koma. Mutmaßlich schlug sie die Sittenpolizei. Das weckt Erinnerungen.
Sie soll ihr Kopftuch „nicht richtig“ getragen haben und dann mit der Sittenpolizei in Konflikt geraten sein: In einer Teheraner U-Bahn ist am vergangenen Sonntag auf dem Weg zur Schule ein 16-jähriges Mädchen ins Koma gefallen. Seitdem liegt es abgeschottet und bewacht in einem Teheraner Krankenhaus. Noch ist unklar, was genau passiert ist, aber der Fall weist Parallelen zu Jina Mahsa Amini auf, der jungen Kurdin, die vor gut einem Jahr in Teheran von der Sittenpolizei in Gewahrsam genommen und misshandelt wurde. Sie fiel ins Koma und starb Tage später. Ihr Tod löste die größte Freiheitsbewegung im Iran seit der Revolution im Jahr 1979 aus.
Nach Informationen der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) sowie Amnesty International handelt es sich bei dem verletzten Mädchen um die 16-jährige Armita Garawand. Sie liege seit Sonntag im Koma im Teheraner „Fajr“-Krankenhaus. Laut Medienberichten ist das Krankenhaus der Luftwaffe angegliedert. Am Mittwoch umzingelten Sicherheitskräfte das Gebäude. Selbst Armitas Eltern durften sie nicht besuchen.
In den sozialen Medien heißt es, Armita sei in der U-Bahn von Sittenwächtern angegriffen und geschubst worden, weil sie ihr Kopftuch nicht richtig getragen habe. Die IGFM verweist gegenüber dieser Redaktion auf ein Video in den sozialen Medien, das zeige, wie die Schülerin der 11. Klasse in der U-Bahn-Station „Shohada“ von Mitschülerinnen ins Freie gebracht wurde. Demnach wurde sie ohnmächtig, als sie durch die Gewaltanwendung mit dem Kopf gegen eine Metallsäule stieß.
Iran: Armita Garawand schlug „mit dem Kopf auf die Kante des Zuges“
Die Familie gab gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur „Irna“ an, ihre Tochter sei aufgrund von niedrigem Blutdruck ohnmächtig geworden, mit dem Kopf auf „die Kante des Zuges“ aufgeschlagen und ins Krankenhaus eingeliefert worden.
Diese Version hält IGFM-Sprecher Valerio Krüger allerdings für eine erzwungene Aussage. Die Mutter habe zögernd gesprochen, oft inne gehalten und immer den Halbsatz eingeschoben, „man“ habe „ihr gesagt...“. Angesichts der brutalen Historie sei es gut möglich, dass die Gewalt durch Sittenwächter ausgeübt wurde.
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„Die brutalen Verbrechen des Regimes gehen unvermittelt weiter“, kommentierte Bijan Djir-Sarai gegenüber dieser Redaktion den Vorfall. Der FDP-Generalsekretär forderte, alle Institutionen des internationalen Völkerrechts zu nutzen, um gegen das Regime vorgehen zu können. Ziel sei, das Regime nachhaltig zu schwächen, und dazu gehöre „die Einstufung der Revolutionsgarden als Terrororganisation durch die EU“.
Omid Nouripour: Die Welt darf jetzt nicht wegschauen
Auch Grünen-Chef Omid Nouripour forderte internationale Reaktionen. „Die Welt darf jetzt nicht wegschauen“, sagte er. Das iranische Regime erweise sich weder als lern- noch als reformfähig. „Wie viele Menschen müssen noch sterben, bis die Iranerinnen endlich die ihnen zustehende Freiheit bekommen statt des Terrors der Revolutionswächter?“
Amnesty International forderte, Verfahren auf internationaler Ebene gegen die Verantwortlichen für schwere Menschenrechtsverletzungen im Iran einzuleiten – damit es „bei solchen Verbrechen“ nicht bei einer verbalen Verurteilung bleibe, sondern zu einer effektiven Strafverfolgung komme. Wie sich der neue Vorfall auf die Protestbewegung auswirke, sei nicht vorhersehbar, sagte Amnesty-Experte Dieter Karg. Der Mut der Menschen sei jedenfalls „ungebrochen“.
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