Brüssel. Der Zeitplan für den EU-Beitritt der Ukraine wird konkret. Für die Kosten der Erweiterung gibt es erste Zahlen. Es droht Ärger.
Die Europäische Union bereitet sich auf die nächste große Erweiterung vor. Neun Staaten sollen in den Club der bisher 27 Mitgliedstaaten aufgenommen werden, voran die Ukraine, dazu Moldawien und sechs Westbalkan-Staaten, später auch Georgien. Aber schafft die EU das? Bei einem Gipfeltreffen im spanischen Granada am Freitag liegt den Staats- und Regierungschefs eine brisante Rechnung des EU-Rates vor.
Einmal aufgenommen, hätten die Ukraine und die anderen bitterarmen Neumitglieder Anspruch auf europäische Fördermittel von jährlich fast 40 Milliarden Euro aus dem Gemeinschaftsbudget – gerechnet auf Basis der aktuellen Haushaltsregeln. Der EU-Etat müsste um gut 20 Prozent erhöht werden. Die Folgen für Deutschland als mit Abstand größtem Beitragszahler der EU wären erheblich.
Genau berechnen lässt sich die künftige Belastung für den Bundeshaushalt zwar noch nicht, doch es gibt Anhaltspunkte: Deutschland finanziert nach Daten des Bundesfinanzministeriums 24 Prozent des EU-Haushalts. 2023 gehen knapp 39 Milliarden Euro, nächstes Jahr 40 Milliarden aus Berlin in die Gemeinschaftskasse – nur etwa die Hälfte fließt als EU-Fördermittel wieder zurück nach Deutschland. Der künftige Bedarf für die Neumitglieder würde nach diesem Maßstab verlangen, dass von Berlin nach Brüssel acht bis zehn Milliarden Euro im Jahr zusätzlich aus Steuermitteln überwiesen werden, während weniger als bisher zurückkommt.
EU-Beitritt der Ukraine: Alle Mitgliedstaaten werden mehr bezahlen müssen
Das Resümee der Studie ist klar: „Alle Mitgliedstaaten werden mehr bezahlen müssen und weniger aus dem Haushalt erhalten. Viele Mitgliedstaaten werden von Netto-Empfängern zu Nettozahlern“, schreiben die Beamten des Generalsekretariats des EU-Rates. Das ist auch deshalb eine unerfreuliche Botschaft, weil die EU-Staaten ab 2027 auch noch über Jahrzehnte die gemeinsamen Schulden aus dem 800 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds zurückzahlen müssen. Allein der Beitritt der riesigen, aber wirtschaftlich sehr schwachen Ukraine würde den EU-Haushalt nach heutigem Stand um 27 Milliarden Euro im Jahr zusätzlich belasten, so die Rats-Studie.
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Die Hälfte der Fördergelder für Kiew würde in den gewaltigen Agrarsektor des Landes fließen. Die Landwirte in den anderen EU-Staaten müssten sich dafür auf eine Kürzung der Agrarförderung um ein Fünftel einstellen, so das Rats-Gutachten. Aus Fördermitteln für die Anpassung der Infrastruktur erhielte allein die Ukraine neun Milliarden Euro im Jahr, die EU-Gelder für den Wiederaufbau im laufenden Jahrzehnt sind nicht eingerechnet – dafür könnte einem Teil der mittel- und osteuropäischen EU-Staaten ein Ende der Unterstützung drohen.
EU-Staats- und Regierungschefs beraten über Herausforderungen
Dass es wirklich so kommt, ist nicht gesagt. Widerstand in den von Mehrbelastungen betroffenen Staaten ist sicher. Viel hängt vom Fortschritt der Beitrittsaspiranten und den Verhandlungen mit der EU ab. Die internen Berechnungen werden unter EU-Diplomaten eher als Beleg dafür gesehen, dass sich die Union dringend erst mit internen Reformen auf die Erweiterung vorbereiten und Finanzlasten reduzieren muss. Das betrifft den Rahmen des EU-Haushaltes, aber etwa auch die Größe des EU-Parlaments (allein die Ukraine würde ohne Reform 50 bis 60 Abgeordnete entsenden) oder der Kommission (sie müsste Aufgaben für neun zusätzliche Kommissare finden).
Über die Herausforderungen wollen die EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Treffen im spanischen Granada am Freitag erstmals beraten. „Die Debatte müssen wir jetzt führen“, sagt ein hochrangiger EU-Beamter in Brüssel. „Die Erweiterung wird ein Gewinn – sie macht die EU stärker, sie erschließt auch neue Märkte. Aber wir müssen klären: Was machen wir zusammen, wofür wollen wir Geld ausgeben?“
Ukraine setzt auf EU-Beitritt 2025
Rechtzeitig für diese konfliktträchtige Debatte hat eine deutsch-französische Expertengruppe auf Bitten der beiden Regierungen Reformvorschläge gemacht: Notwendig sei ein „substanziell größeres Budget“, die EU brauche neue Einnahmen, heißt es in ihrem 60-seitigen Bericht. Aber die EU soll bei der Steuer- und Haushaltspolitik (ebenso wie in der Außenpolitik) weg vom Prinzip der Einstimmigkeit, hin zu Mehrheitsentscheidungen. Auch in der Finanzpolitik könne es eine „Koalition der Willigen“ geben, etwa für eine eigene Brüsseler Steuerbefugnis.
Am Ende stünde eine EU der verschiedenen Geschwindigkeiten. Ratspräsident Charles Michel sagt, die Erweiterung biete große Chancen. „Aber die Arbeit wird schwierig und manchmal schmerzhaft – für die künftigen Mitglieder und für die EU“, warnt Michel. Der Belgier ist einer der Taktgeber: Seit dem Sommer fordert er, sowohl die Beitrittskandidaten als auch die EU müssten bis 2030 bereit für die Erweiterung sein. So verlangt es jetzt auch die deutsch-französische Expertengruppe.
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Aus Sicht vieler Mitgliedsländer ist das sehr früh. Aus Sicht der Ukraine ist es viel zu spät, sie setzt auf einen EU-Beitritt schon 2025: „Wir sind in zwei Jahren endgültig bereit für den Beitritt“, sagt Ministerpräsident Denys Shmyhal. Zum Trost wird die EU wohl Ende des Jahres den Startschuss für die Aufnahme offizieller Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine geben. Eine entsprechende Empfehlung werde die EU-Kommission im November vorlegen, heißt es in Brüssel. Wenn die Ukraine bis Dezember noch nicht alle Reformauflagen erfüllt hat, sollen sich die EU-Regierungschefs wenigstens politisch auf den Start verständigen – auch wenn es tatsächlich erst verspätet losgehen kann.
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