Moskau. Der russische Regimekritiker muss ein Jahr in eine Isolationszelle. Was der 47-Jährige erleiden musste und was ihn noch erwartet.
„Ich fühle mich wie ein müder Rockstar am Rande einer Depression. Hat die Spitze der Charts erreicht und es gibt nichts mehr, wonach man streben kann“, sagt Alexej Nawalny in der für ihn typischen, sarkastischen Art, als ihm die Leitung des Straflagers seine neuen Haftbedingungen verkündet hatte. Ein ganzes Jahr werde er in einer Isolationszelle verbringen müssen, dies sei „die höchstmögliche Strafe“ im russischen Gefängnissystem, ließ der 47-Jährige Kremlkritiker über sein Team ausrichten.
Nawalny wurde bereits 2021 inhaftiert und sitzt inzwischen in einem Straflager ein, rund 260 Kilometer von Moskau entfernt. Seinen Angaben zufolge wurde er in den vergangenen Monaten bereits zwanzigmal für jeweils mehrere Tage in eine Einzelzelle gesperrt. Nawalnys Unterstützer kritisieren, dass die russische Justiz seinen Widerstand brechen und ihn als abschreckendes Beispiel für andere Regierungskritiker vorführen will. Sie sprechen von Folter. Vor Kurzem erst hatte ein russisches Berufungsgericht die Verurteilung Nawalnys zu insgesamt 19 Jahren Haft wegen angeblichen Extremismus bestätigt. International wird Nawalny als politischer Gefangener angesehen.
Russischer Kreml-Kritiker unter verschärften Bedingungen in Haft
Unter normalen Haftbedingungen leben Häftlinge im Straflager zusammen mit anderen Sträflingen in einem Schlafsaal, dürfen pro Jahr drei Pakete empfangen und monatlich für rund 70 Euro im Gefängnisladen einkaufen. Zudem seien Besuche erlaubt, weiß das Online-Medium Meduza.
Alexej Nawalny lebt jetzt schon unter „verschärften Bedingungen“. Sprich: Zellentrakt statt Schlafsaal, weniger Einkauf, weniger Besuche und nur ein Paket pro Jahr. Nun werden die Haftbedingungen nochmals verschärft, Nawalny wird in eine Einzelzelle kommen. Derartige Haftbedingungen gibt es in Russland normalerweise nur für Gewohnheitsverbrecher, Mörder und Vergewaltiger.
Und dies ist noch nicht alles. Laut Meduza drohen Nawalny viele weitere Schikanen. Häftlingen könne etwa verboten werden, mit ihren Mitgefangenen zu sprechen. Gefangene könnten gezwungen werden, sich auf dem Gefängnisgelände in gebeugter Haltung mit Handschellen auf dem Rücken zu bewegen.
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Immer wieder weisen Menschenrechtler auf den angeschlagenen Gesundheitszustand Nawalnys hin, der im Sommer 2020 nur knapp einen Nervengiftanschlag überlebte. Nawalny warf damals dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB und Kremlchef Wladimir Putin vor, hinter dem Mordanschlag zu stecken. Der Kreml dementierte dies.
Nawalny: Körper ist durch Giftanschlag geschwächt
Die Aussicht auf viele weitere Jahre im Straflager zermürbt Alexej Nawalny immer mehr. Sein Körper ist durch den Giftanschlag geschwächt, selbst an sich harmlose Erkältungserkrankungen können ihm gefährlich werden. Er leide unter „Krisen“, so sein Anwalt im April dieses Jahres, als nach heftigen Magenschmerzen der Notarzt gerufen werden musste. Medikamente, die Nawalnys Mutter schicke, gebe die Gefängnisleitung nicht weiter, so der Vorwurf des Anwalts. Auf Videoaufnahmen konnte man sehen, dass Nawalny deutlich abgemagert ist.
Hintergrund: Putins Erzfeind Nawalny: Abgemagert – aber ungebrochen
Alexej Nawalnys großes Thema ist die Korruption in Russland. Immer wieder legte er sich mit Oligarchen an, den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft. Politisch war seine Karriere dagegen eher wechselhaft. Einige Jahre lang arbeitete er in der Oppositionspartei Jabloko, wegen nationalistischer Äußerungen musste er die Partei verlassen. Berühmt wurde ein Video, von dem er sich heute distanziert. Er setzte kaukasische Terroristen mit „Kakerlaken“ gleich. 2011 gründete er den FBK, seinen Fonds zur Korruptionsbekämpfung. Und 2013 kam er bei der Moskauer Bürgermeisterwahl auf respektable 27 Prozent der Stimmen.
Vorschlag für Friedensnobelpreis: Kreml-Kritiker Nawalny
In die internationalen Schlagzeilen kam Alexej Nawalny, als er im Sommer 2020 mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet wurde. Nowitschok ist einer der stärksten Giftkampfstoffe, die es gibt. Bei Hautkontakt wirkt bereits ein Milligramm tödlich. Nur ein ausgewählter Kreis von Menschen aus Militär und Geheimdienst hat Zugang zu diesem Gift. Doch wer nun wirklich den Kreml-Kritiker ermorden wollte, das bleibt bis heute im Dunklen.
Nawalny flog in einer Linienmaschine von Tomsk im Westen Sibiriens in Richtung Moskau. Plötzlich wurde ihm unwohl, er verlor das Bewusstsein. Zwei Tage wurde er nach einer Notlandung in Omsk behandelt, bevor er auf Druck seiner Familie nach Deutschland in die Berliner Charité verlegt wurde. Dort kämpften die Ärzte tagelang um sein Leben, nach 32 Tagen konnte Nawalny das Krankenhaus verlassen.
Nach seiner Rückkehr nach Russland wurde Nawalny direkt bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Moskau festgenommen. Wenige Tage danach veröffentlichte Nawalnys Team im Netz den Film „Ein Palast für Putin“, der über 100 Millionen Mal angeklickt wurde. Doch dass das Märchenschloss am Schwarzen Meer wirklich „Putins Palast“ ist, das kann der Film nicht beweisen.
Am kommenden Freitag wird in Oslo der Friedensnobelpreisträger 2023 bekanntgegeben. Unter den 351 Kandidaten ist in diesem Jahr auch Alexej Nawalny. Ob Nobelpreis oder nicht: Seine Tochter Dascha macht sich große Sorgen um ihren Vater. Jüngst forderte sie die Freilassung ihres Vaters, der schon in der Vergangenheit immer wieder in die Isolierzelle kam. „Die Bedingungen der Einzelhaft, denen er unterworfen ist, zielen eindeutig darauf ab, ihn psychisch zu brechen.“ Einzelhaft, die droht Alexej Nawalny nun für ein ganzes Jahr.
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