Berlin. Nun also doch: Flexible Kontrollen an der Grenze zu Polen sollen fortan illegale Einreisen verhindern. Unser Reporter war vor Ort.
- Innenministerin Nancy Faeser hat Kontrollen direkt an den Grenzen zu Polen und Tschechien angeordnet
- Unser Reporter war vor Ort und hat die Polizisten bei ihrer Arbeit begleitet
- Was sie erleben – und welche Entdeckung sie in einem Fluss machen
Als Bundespolizist Jens Schobranski auf der Fußgängerbrücke steht, denkt er sich noch, vielleicht sind das nur schlechte Klassenarbeiten, die ein Schüler ins Flussbett geworfen hat. An diesem Ort an der Grenze zwischen Deutschland und Polen laufen aber nur selten Schüler nach dem Unterricht nach Hause. Denn hier, am Grenzübergang zum 100-Einwohner-Dorf Zelz im Südosten Brandenburgs, gibt es kaum Schüler. Täglich laufen aber Menschen über die Brücke, die illegal einreisen. Vielleicht, glaubt Schobranski, gibt es doch einen Zusammenhang zu den Geflüchteten, die sie vor wenigen Stunden gefunden haben?
An der deutsch-polnischen Grenze ist der Ausnahmezustand, der seit mehr als einem Jahr anhält, längst Alltag. Hier treffen Staatsgewalt und Menschen aufeinander, die auf ein besseres Leben im Westen hoffen – beide am Rande der Belastungsgrenze. Seit Monaten steigen die Zahlen derillegalen Übertritte an. Im August zählte die Bundespolizei 1577 Menschen, die unerlaubt eingereist waren. Im Vorjahr lag der Wert noch bei 604.
„Die Hauptherkunftsländer sind Syrien, Afghanistan und die Türkei“, sagt Schobranski. Sie kommen zu großen Teilen über die Balkan-Route. Die Menschen reisen über die Türkei und Griechenland in europäische Länder oder Staaten der ehemaligen jugoslawischen Republik nach Deutschland ein. Der Migrationsdruck, der dadurch entsteht, ist mittlerweile so hoch, dass Kommunen kaum noch mehr Menschen aufnehmen können und etwa über Probleme bei der Unterbringung der Geflüchteten klagen.
Faesers Plan
Auch der Bundespolizei gehen die Räumlichkeiten aus. Für die kommenden Monate ist laut Schobranski keine Trendwende erkennbar. Die Zahlen für den September haben den August bereits überholt. Aus Erfahrungen der Vergangenheit weiß die Bundespolizei, dass Schleuserorganisationen noch vor Einbruch des Winters versuchen, so viele Menschen wie möglich nach Deutschland oder Frankreich zu bekommen.
Vor diesem Hintergrund wurden die Rufe nach stationären Grenzkontrollen in den vergangenen Monaten immer lauter. Bislang lehnte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das ab. Doch einen Tag, bevor Schobranski auf der Brücke bei Zelz steht, ordnetFaeser doch noch flexible Kontrollen direkt an der Grenze zu Polen und Tschechien an. Bislang war das nicht möglich. Es gab lediglich die Schleierfahndung, bei der Polizisten in einer Zone von 30 Kilometern ins Landesinnere Personen ohne anlasslos kontrollieren darf.
Die Hoffnung Faesers ist, die Schleuser frühzeitig zu erkennen und ihr Tun zu unterbinden. Die Frage ist, reicht diese Anordnung aus, um die Schleuserkriminalität einzudämmen? Und lassen sie sich überhaupt umsetzten? Oder sind stationäre Grenzkontrollen, wie es sie an der deutsch-österreichischen Grenze seit 2015 gibt, das geeignetere Mittel?
Die Realität in Forst
An diesem warmen Donnerstagmittag ist von der Anordnung Faesers an der polnischen Grenze wenig zu sehen. Die Arbeit der Bundespolizei zentriert sich hunderte Meter landeinwärts. Nur eine Stunde vor dem Fund der „Klassenarbeiten“, die sich später als Polizeidokumente herausstellen sollen, finden Schobranski und seine Kollegen geflüchtete Menschen am Rand einer Landstraße. Den Hinweis gibt ein Bewohner aus Zelz. Auch das ist mittlerweile Alltag.
An der Straße, die durch große Wälder führt, setzen die Beamten an diesem Mittag im Abstand von wenigen Minuten mehrere Gruppen junger Männer fest – mal sind sie zu sechst, mal nur zu dritt, mal zu zwölft. Auch Kinder und Jugendliche sind darunter. Die meisten von ihnen sind dunkel gekleidet, tragen nicht mehr als ein Smartphone und eine Flasche Wasser bei sich. Ihre Blicke wirken müde, als sie darauf warten, kontrolliert zu werden. Sie geben an, aus Syrien zu kommen.
Dann aber entsteht ein Problem für die Bundespolizei. Laut Schobranski ist es nicht damit getan, die Personen zu finden, sie müssen auch „möglichst schnell bearbeitet werden“. Das bedeutet, ihre Personalien werden sofern möglich festgestellt. Das bindet die Einsatzkräfte bei einer Gruppe von etwa zehn Menschen über mehrere Stunden – und das heißt, sie können in dieser Zeit nicht auf der Straße nach Schleusern fahnden oder an der Grenze kontrollieren.
Das ist im Bereich Forst in Brandenburg, wo in diesen Tagen die meisten illegalen Grenzübertritte festgestellt werden, ohnehin nicht leicht. Die Autobahn A15 verbindet den Grenzübergang in Klein Bademeuselmit Polen. Auf der Strecke zum Grenzübergang befindet sich eine Baustelle. Dort, so Schobranski, könne man derzeit überhaupt nicht kontrollieren. Anders an der Fußgängerbrücke in Zelz: Dort könnten die Beamten „klarer und deutlich sichtbarer an der Grenze stehen“, sagt Schobranski. Das schreckt ab.
Einen Erfolg habe die Bundespolizei in den vergangenen Monaten auf diese Weise etwa in Frankfurt (Oder) verbucht. Dort fuhren die Beamten zeitweise ihre Präsenz an der Brücke hoch, die die Stadt mit dem polnischen Slubice verbindet. Die Zahl der Feststellungen, so Schobranski, sei dadurch zurückgegangen. Aber die Schleuser reagierten auf die Präsenz und wichen nach Süden aus – zunächst nach Forst und eben ins kleine Zelz. Für die Schleuser zählt letztlich nur eines: Sie müssen die Menschen nach Deutschland bringen, nur dann bekommen sie ihr Geld.
Die Reaktionen
Aus Sicht des Vorstands der Gewerkschaft der Polizei in Berlin-Brandenburg, Lars Wendland, zeige das Beispiel Frankfurt (Oder), dass längere stationäre Grenzkontrollen nur einen geringen Effekt bei der Bekämpfung von Schleuserkriminalität und illegalen Grenzübertritten haben können. „Unser Vorteil liegt in der Flexibilität“, sagt er unserer Redaktion. Daher begrüße er auch die flexiblen Schwerpunktkontrollen, die über einen kurzen Zeitraum an der Grenze stattfinden könnten. Zurückweisungen dürfe es bei der Einreise der Menschen nicht geben. Wer am Grenzübergang einen Asylantrag stelle, erhalte Schutz.
Die Union zeigt sich davon allerdings unbeeindruckt. Brandenburgs InnenministerMichael Stübgen (CDU), sagte auf Anfrage unserer Redaktion: „Die ausgeweiteten Schwerpunktkontrollen reichen nicht aus – wir brauchen flexible stationäre Grenzkontrollen, die bei der Europäischen Union angemeldet werden.“ Nur so könnten Zurückweisungen an der Grenze überhaupt möglich werden – und nur so könne man den „skrupellosen Schleuserbanden ihr Milliarden Euro schweres Handwerk legen.“
Auch der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alexander Throm, sagte unserer Zeitung: „Nancy Faeser führt die Öffentlichkeit hinters Licht. Was sie jetzt vorhat, hat mit Grenzkontrollen nichts zu tun.“ Illegale Einreisen könnten nur mit „echten Grenzkontrollen“ verhindert werden. „Das hat Faeser aber nicht vor“, sagt Throm. „Dieser Etikettenschwindel kostet massiv viele Ressourcen bei der Bundespolizei, führt aber zu nichts. So verspielt die Ministerin den letzten Funken ihrer Glaubwürdigkeit.“
Die tägliche Arbeit
Jens Schobranski steigt an diesem Donnerstagmittag die Stufen neben der Brücke in Zelz hinab, kämpft sich durch das Gestrüpp und stapft durch das sandige Flussbett der Neiße. Er bückt sich, wirft einen Blick auf die Zettel, die er anfangs für Klassenarbeiten hielt. Sie sind weder gewellt noch durchnässt. Ein Indiz dafür, dass sie erst seit wenigen Stunden hier liegen. Manche sind auf vier Seiten zusammengetackert. In arabischer Schrift sind Hilfsorganisationen für geflüchtete Menschen angegeben. Andere Blätter sind auf den 25. oder 27. September datiert und mit einem Stempel des Grenzschutzpostens in Tuplice versehen.
Sie dokumentieren Festnahmen von jungen Männern am 25. September an einer Tankstelle nahe der deutschen Grenze. 13 Syrer und 15 Türken sollen versucht haben, illegal nach Deutschland einzureisen. Die Beamten notierten, dass sie weder Geld noch Ausweisdokumente bei sich getragen haben. Sie werden zur Rückkehr in ihr Heimatland verpflichtet. Einer von ihnen soll sich ab dem 2. Oktober in regelmäßigen Abständen bei der Behörde melden.
Doch dazu dürfte es nicht mehr kommen. Schobranski will die Dokumente in den kommenden Tagen auswerten lassen, womöglich lassen sie sich einigen der 152 Menschen zuordnen, die sie an diesem Tag nahe der Grenze aufgefunden haben. Vielleicht sind die Männer aber auch schon längst irgendwo in Deutschland.
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