Berlin. Im Kanzleramt sucht man heute Wege aus der Immobilienkrise. Erste Pläne sind bereits bekannt – doch die Skepsis der Branche ist groß.
Steigende Mieten, einbrechende Neubauzahlen und Baufirmen im Konkurs: Die Situation am Wohnungs- und Immobilienmarkt ist angespannt, und eine Trendwende ist nicht in Sicht. Am Montag hatte Bundeskanzler Olaf Scholz deshalb zum "Wohnungsbaugipfel" ins Kanzleramt geladen, um mit der Immobilienwirtschaft über Lösungen zu sprechen. Schon vor Beginn des Treffens am Nachmittag verkündete die Ampel-Koalition eine Reihe von Maßnahmen, die für mehr Wohnraum sorgen sollen. Ein Überblick über die Situation und die wichtigsten Neuerungen:
Wie ist die Situation aktuell?
Es ist längst kein Problem mehr, das nur die Großstädte betrifft: In vielen Regionen Deutschlands ist der Wohnraum knapp, viele Mieter müssen immer größere Teile ihres Einkommens fürs Wohnen aufbringen. Der Bedarf an neuen Wohnungen ist riesig, doch das Angebot hält nicht Schritt – im Gegenteil. Die Zahl der fertiggestellten Wohnungen sinkt. In diesem Jahr rechnen Experten mit 245.000 neuen Wohnungen, im kommenden Jahr schon nur noch mit 210.000. Die Branche erwartet, dass 2025 bis zu 700.000 Wohnungen in Deutschland fehlen werden.
Größtes akutes Problem der Branche sind vor allem die stark gestiegenen Zinsen, mit denen die EZB die Inflation in Schach halten will. Aber auch die inflationsbedingt gestiegenen Preise für Materialien erschweren die Situation. Unterm Strich stehen für Bauherren deutlich gestiegene Kosten – und die Zahl der Firmen, die unter denen einknickt, steigt.
Das eigentlich erklärte Ziel der Bundesregierung – 400.000 neue Wohnungen pro Jahr, davon ein Viertel Sozialwohnungen – rückt deshalb immer weiter in die Ferne. Die Kaufpreise für Immobilien dagegen sind zuletzt gesunken, so stark wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Im zweiten Quartal verbilligten sich Wohnimmobilien laut Statistischem Bundesamt im Vergleich zum Vorjahreszeitraum im Schnitt um 9,9 Prozent. Doch hohe Zinsen auch für Privatkunden sorgen dafür, dass ein Kauf für viele Menschen weiterhin unerreichbar bleibt.
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Was plant die Bundesregierung?
Zunächst einmal streicht sie einen Plan: Eigentlich sollte laut Koalitionsvereinbarung ab 2025 im Neubau der Standard EH 40 zur Pflicht werden. EH 40 steht für Effizienzhaus 40 und beschreibt einen Standard, wonach Gebäude im Vergleich mit einem Referenzgebäude nur 40 Prozent Primärenergie benötigen. Die Ampel-Koalition will sich zudem in Brüssel dafür einsetzen, dass keine Pflicht zur Sanierung einzelner Gebäude kommt – auch wenn man "anspruchsvolle Sanierungsquoten für den gesamten Gebäudebestand" wolle, wie es im Papier heißt.
Für Wohngebäude, deren Baubeginn nach dem 30. September dieses Jahres liegt, sollen bis 2029 attraktivere Abschreibe-Möglichkeiten gelten. Eigentümer von leerstehenden Bürogebäuden und anderen Gewerbeimmobilien sollen Anreize bekommen, diese zu Wohnungen umzubauen: 480 Millionen Euro für ein Förderprogramm von zinsverbilligten Krediten sollen dafür zur Verfügung stehen. Die Regierung hat zudem vorgeschlagen, den Ländern von 2022 bis 2027 insgesamt 18,15 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Bleibe es bei der derzeitigen Höhe der Ko-Finanzierung durch die Länder, kämen so bis 2027 rund 45 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau zusammen.
Was ändert sich für private Hausbauer?
Seit Mai gibt es das Programm "Wohneigentum für Familien", eine Art Nachfolge-Projekt des Baukindergelds, bei dem Familien für eine Eigentumswohnung oder ein Haus sehr zinsgünstige KfW-Kredite bekommen können. Bislang wird das aber wenig in Anspruch genommen. Bauministerin Klara Geywitz (SPD) will deshalb jetzt die Einkommensgrenzen heraufsetzen – von 60.000 Euro zu versteuerndem Einkommen pro Jahr bei Familien mit einem Kind auf 90.000 Euro, von 70.000 auf 100.000 Euro bei Familien mit zwei Kindern. Auch der Maximalbetrag, den Familien als Kredit bekommen können, soll um 30.000 Euro steigen.
Zusätzlich soll es ab dem kommenden ein Jahr ein weiteres Förderprogramm geben. Unter dem Titel "Jung kauft Alt" soll der Erwerb und die Sanierung von alten Bestandsgebäuden gefördert werden. Das Geld dafür soll aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen. Außerdem will die Bundesregierung den Ländern mehr Spielraum bei der Ausgestaltung der Grunderwerbssteuer geben und so Kaufnebenkosten senken. Bisher sind die Länder aber skeptisch.
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Welche Reaktionen gibt es?
Dass die Maßnahmen der Bundesregierung schon bekannt gegeben wurden, bevor das Treffen im Kanzleramt überhaupt losging, werteten manche Vertreter der Immobilienbranche als Zeichen mangelnder Ernsthaftigkeit des Dialogs. Kai Warnecke, Präsident des Eigentümerverbands Haus und Grund, sagte dieser Redaktion, die Maßnahmen der Ampel-Koalition kämen "mindestens ein Jahr zu spät." Und in der Zwischenzeit habe die Regierung sogar einiges dafür getan, um ihre Bilanz weiter zu verschlechtern. Sein Verband war dem Treffen ebenso wie der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW ferngeblieben.
Andere Verbände der Bau- und Immobilienwirtschaft reagierten dagegen positiv auf die Ankündigungen. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie nannte das Paket "umfangreicher als erwartet". Sozialverbände und Gewerkschaften dagegen kritisieren, dass sich der Fokus der Debatte verlagern müsse – "weg von der Förderung für Eigentum hin zur Schaffung von Mietwohnungen, die sich die Menschen auch leisten können", sagte Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland, dieser Redaktion. Es sei gut, dass die Bekämpfung der Wohnungsnot durch diesen Gipfel jetzt zur "Chefsache" werde. "Aber dieser Gipfel darf nur ein Auftakt sein."
Lukas Siebenkotten, Präsident des Mieterbunds, kritisierte: "Was nach wie vor fehlt, sind konkrete Vorschläge, wie die in Städten und Ballungszentren explodierenden Mieten nachhaltig gestoppt und ausreichend bezahlbare Wohnungen gebaut werden sollen." Staatliche Maßnahmen zur Unterstützung der Bau- und Wohnungswirtschaft müssten direkt an mietpreisregulierende Bedingungen geknüpft werden, das sei mit den Maßnahmen der Bundesregierung nicht gewährleistet.
Was heißt das für den Klimaschutz?
Umwelt- und Klimaschutzverbände reagierten entsetzt auf die Entscheidung der Bundesregierung, auf ehrgeizigere Effizienzstandards zu verzichten. Denn der Gebäudesektor gehört zu den Sorgenkindern der Klimapolitik. "Bereits jetzt fällt ein Drittel des Gebäudebestands in die schlechtesten Effizienzklassen", sagte Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbunds NABU. "Ein gutes Signal an eine zukunftsgerichtete Wohnungsbaupolitik sähe anders aus."
Der Minister für Wirtschaft und Klimaschutz dagegen sieht in der Aussetzung kein Problem: Mit der Einführung des Gebäudeenergiegesetzes – auch bekannt als Heizungsgesetz – sei sichergestellt, dass Neubauten ab 2024 klimafreundlich heizen, sagte Robert Habeck (Grüne) zur Erklärung. "Deshalb halte ich es nicht mehr für nötig, jetzt auf die Schnelle den neuen Standard EH 40 einzuführen." Vor der Einführung der EU-Gebäuderichtlinie mache das auch keinen großen Sinn. "Daher sehe ich diesen neuen Standard in dieser Legislaturperiode nicht mehr."
Die Förderung, die das neue Heizungsgesetz begleiten soll, soll auch noch einmal aufgestockt werden. Der Klima- oder Geschwindigkeitsbonus, den Besitzer bekommen sollen, die ihre Heizung besonders schnell gegen ein klimafreundliches Modell tauschen, soll 2024 und 2025 von 20 auf 25 Prozent steigen. Und: Auch Wohnungsunternehmen und Vermieter sollen ihn bekommen können. Durch den schnelleren Umstieg erhofft sich die Regierung dadurch auch Entlastung für Mieter.
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