Berlin. Trinkgeld geben, ja oder nein? Und wenn ja, was ist angemessen? Was eine Kellnerin sagt – und wie die Gepflogenheiten im Ausland sind.
5, 10 oder 20 Prozent? Am Ende eines Restaurantbesuchs stellt sich manch einer die Trinkgeldfrage. Oft herrscht Unklarheit, was für ein Betrag wann genau angemessen ist. In Deutschland sind Gastronomiemitarbeiter in der Regel auf das Trinkgeld angewiesen, um über die Runden zu kommen.
So auch Nina Schneider. Die Mutter von drei Kindern arbeitet Vollzeit als Kellnerin in einem Berliner Restaurant. Ohne das Trinkgeld würden die finanziellen Mittel nicht ausreichen, um ihre Familie zu versorgen. "Mit dem Lohn, den ich bekomme, zahle ich lediglich meine Fix-Kosten. Das Trinkgeld ist nochmal halb so viel. Damit zahle ich das Essen und Ausflüge für meine Kinder".
Niedrige Löhne: "Der Mindestlohn ist die unterste Grenze"
Im Hotel- und Gastronomiegewerbe gelten regional abgeschlossene Tarifverträge. Der Grad der Tarifbindung ist unterschiedlich hoch, eine Mehrzahl der Betriebe orientiert sich laut DEHOGA, dem Bundesverband für Hotellerie und Gastronomie, jedoch unmittelbar oder mittelbar an den regionalen Tarifen. Der Mindestlohn sei heute die unterste Grenze, erklärt Sandra Warden, Geschäftsführerin der DEHOGA.
"Die Entgelthöhe ist von der Tarifgruppe und den Lebensunterhaltskosten in der jeweiligen Region abhängig. Welche Tarifgruppe man hat, hängt von der Qualifikation und den Aufgaben ab. Das ist vor allem im Servicebereich ein breites Band. Das reicht von der Schüleraushilfe bis zur ausgebildeten Fachkraft, die mehrere Mitarbeiter unter sich hat. Da sind die Entgeltunterschiede erheblich".
In Berlin reicht das Monatsentgelt seit Oktober 2022 je nach Tarifgruppe von 2095 Euro bis 3241 Euro. Der steigende Mindestlohn, die Corona-Pandemie und die hohe Inflationsrate führten im Gastgewerbe in den letzten Jahren zu teilweise starken Tariferhöhungen. So stiegen die Löhne in Nordrhein-Westfalen etwa laut der DEHOGA-NRW teils über 20 Prozent.
Steigende Energiepreise und Inflation fressen diese Erhöhungen aber fast auf. Wenn sie überhaupt gezahlt werden. Denn gebunden sind Betriebe an die Tarife nicht. Vielen Gastronomiemitarbeitern geht es daher wie Nina Schneider. Trotz regional gestiegenen Löhnen sind sie weiterhin vom Trinkgeld abhängig. "An einem guten Tag" sagt sie, gehe sie nach acht Stunden Arbeit mit 50 bis 80 Euro extra nach Hause.
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Trinkgeld: Ein freiwilliges Geschenk des Gastes
Dass dieses Geld abgaben- und steuerfrei in ihrem Portemonnaie ankommt, sei in dem Fall vollkommen fair, sagt DEHOGA-Geschäftsführerin Sandra Warden: "Das ist der große Vorteil der Rechtslage, wie wir sie in Deutschland haben. Trinkgeld ist ein Geschenk des Gastes. Es wäre unangemessen, wenn der Staat dabei die Hand aufhalten und 40 Prozent Sozialversicherungsbeitrag plus Steuern verlangen würde".
Eine freiwillige Leistung also. "Man hat als Gast nicht die Verpflichtung, irgendetwas zu geben, wenn man es nicht möchte. Im Grunde handelt es sich dabei nur um gesellschaftliche Gepflogenheiten". Doch wie viel sollte es sein?
Wer guten Service geldlich entlohnen wolle, könne sich in einem klassischen Bedienrestaurant an zehn Prozent des Rechnungsbetrags orientieren. In anderen Betriebsformen wie in einem Imbiss oder Selbstbedienungsladen gebe man in der Regel weniger. "Es ist vollkommen legitim, das Trinkgeld von der gefühlten Service-Leistung abhängig zu machen", so Warden.
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Kellnerin über Trinkgeld: "Die Leute geben seit der Inflation weniger"
Auch Nina Schneider empfinden zehn Prozent Trinkgeld für ihre Leistungen als angemessen. Vor allem größere Gäste-Gruppen, sollte laut der Kellnerin auf ein angemessenes Extra achten: "Wenn ich 20 Personen bedient habe, die auf eine Rechnung von 600 Euro kommen, dann sind 10 Prozent schon angebracht. In diesem Fall sind alle gefordert: Die Küche, die Bar und der Service. Da bleibt am Ende auch nicht so viel für mich übrig."
In den meisten Gastronomiebetrieben teile man sich das Trinkgeld sagt Schneider. Bei ihr im Restaurant bekomme Küche und Bar ein Prozent des Umsatzes vom Trinkgeld der Kellner ausgezahlt. Auch wenn der Großteil bei Nina bleibe, mache sich das Aufteilen besonders an schlechten Tagen bemerkbar.
Und die gebe es seit letztem Jahr häufiger. Die Inflation habe auch Einfluss auf die Großzügigkeit der Gäste. "Ich merke schon, dass die Leute im Vergleich zu vor der Inflation nicht mehr so viel Trinkgeld geben.", sagt sie. Das liege auch an der Stimmung: "Die Gäste wirken auf mich allgemein unzufriedener. Heute kommen mehr Leute zu uns, weil sie selbst nicht kochen können, nicht weil sie eine schöne Zeit im Restaurant haben möchten."
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Trinkgeld besser Bar zahlen oder auf Karte?
Ein Unding sei, wenn man einen Kellner als Kleingeldentsorgung benutze, oder bei einer großen Rechnung nur wenige Cents dalasse. "Das ist für mich wie ein Schlag unter die Gürtellinie. Dann gibt man lieber nichts."
Anders sei es bei Unzufriedenheit mit Service und Essen: "Manchmal erwischt man eine Servicekraft, die an dem Tag schlechte Laune hat. In solchen Fällen lasse ich auch nichts da. Einen guten Service macht aus, dass man freundlich und zuvorkommend ist. Ist das nicht der Fall, muss man meiner Meinung nach auch kein Trinkgeld geben."
Unklarheit herrscht ebenfalls darüber, ob man besser in Bar oder mit der Karte draufzahlt. Viele Unternehmen würden Trinkgeld nur als Bargeld annehmen, sagt Sandra Warden. Man müsse bare und unbare Bestände als Gastronom auseinanderhalten. Es sei zwar auch möglich, Trinkgeld über die Girocard oder Kreditkarte abzurechnen, "das können aber technisch nicht alle Betriebe." Zudem zahle man auf Kartenumsätze Gebühren. Dass Trinkgeld über die Kartenzahlung nicht Teil des Umsatzes sei, habe die betriebswirtschaftlich gewisse Nachteile.
Frankreich, Italien, USA: Wo gibt man wie viel?
Wer die Zehn-Prozent-Regel in Bedienrestaurants beherzigt, macht also in Deutschland Gastronomiemitarbeiter glücklich. Im Ausland hingegen könne man laut Knigge-Expertin Carolin Lüdemann damit über die Stränge schlagen oder gar Menschen kränken. "In asiatischen Ländern gilt es als selbstverständlich, freundlich zu seinen Gästen zu sein. Dort ist es unüblich, Geld geschenkt zu bekommen. Mitunter empfindet man das dort sogar als Beleidigung."
Auch innerhalb Europas gebe es erhebliche Unterschiede in der Trinkgeldkultur. "In Frankreich rundet man beim Bezahlen nicht auf, sondern lässt Trinkgeld einfach aus der Rechnung liegen", so die Knigge-Expertin.
In Teilen Italiens sei eine Servicepauschale häufig schon in der Rechnung inkludiert und in den nordischen Ländern Europas wie Norwegen, Dänemark und Finnland gebe es eine Trinkgeldkultur, wie wir es in Deutschland kennen, nicht. "Schweden ist die Ausnahme, dort ist es wieder üblich Trinkgeld zu geben."
Länder, in denen der Trinkgeldsatz besonders hoch ist, sind die USA und Kanada. "Dort verdienen Service-Angestellte nicht gut. Das Trinkgeld ist in diesen Ländern wie ein zusätzliches Einkommen. Der Ratschlag der Expertin. "Dort hält man sich am besten an fünfzehn bis zwanzig Prozent".
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