Charkiw. Ruslan Pihota zeichnet im Schützengraben Karikaturen über den Krieg, auch über dessen Ende. Seine Zeichnungen helfen ihm, sagt er.
Plötzlich ertönt ein durchdringendes Geräusch. Es hört sich an, als fahre ein Mofa mit hoher Geschwindigkeit heran. Der Presseoffizier schaut angespannt in den Himmel. So hören sich die russischen Kamikaze-Drohnen an. Kurze Zeit später Entwarnung. Das Geräusch stammt von einem der Soldaten, der mit einer Motorsense arbeitet. Der Presseoffizier entspannt sich, lächelt. "Hier draußen gehen solche Geräusche an die Nerven."
Hier draußen, das ist eine Stellung der ukrainischen Armee im Nordosten, direkt an der russischen Grenze. Der Feind ist nur wenige Hundert Meter entfernt. Die Fahrt zu dieser ukrainischen Position in der Region Charkiw ist gefährlich. Das Auto quält sich langsam über ausgefahrene, staubige Straßen, durch verlassene, zerbombte Siedlungen, in denen kein Leben mehr ist. "Wenn wir von einer Drohne angegriffen werden, versucht, aus dem Auto rauszukommen, aber rennt bloß nicht in die Felder, um Deckung zu suchen. Da ist alles vermint", schärft der Presseoffizier vor der Fahrt ein.
Irgendwann wird die Straße zu einem Feldweg. Dann taucht ein kleines Waldstück auf. Hier haben sich die Soldaten der 113. Brigade eingegraben. In den vergangenen Monaten haben sie ein Netzwerk aus Schützengräben gebuddelt. Die Laufwege sind eineinhalb bis knapp zwei Meter tief ins Erdreich gegraben, einen halben Meter breit. In Erdhöhlen stehen hölzerne Doppelstockbetten, daneben gusseiserne Öfen und Panzerfäuste. Es riecht muffig und modrig.
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Das Schützengrabensystem ist eines wie vor hundert Jahren, die Waffen sind High-Tech
An einem Eingang in die Unterwelt steht ein Feldtelefon. Draußen überdecken Tarnnetze die Feldküche mit ihren Regalen voller Konserven und Tee, und die Tische, an denen die Soldaten essen. Vor einem kleinen Wachturm steht ein schweres Maschinengewehr. "Seit dem Ersten Weltkrieg hat sich eigentlich nichts verändert", sagt der Presseoffizier schulterzuckend.
Zwei Katzenjunge tapsen in der Stellung herum. Die Soldaten füttern und umsorgen die kleinen Tiere, sie lassen den Krieg manchmal für kurze Momente vergessen. Bis vor Kurzem hatten sie hier noch einen Raben, den sie "Maverick" nannten. Sie haben ihn aufgezogen, aber er als anfängt, ihnen die Funkgeräte zu entführen, müssen sie ihn schweren Herzens abgeben.
Von ihrer Stellung aus sehen die ukrainischen Soldaten jenseits der Felder, die mit ausgetrocknetem Unkraut bedeckt sind, die Häuser eines russischen Dorfes. Auf der russischen Seite haben die Bauern schon die Ernte eingebracht. Irgendwo dort in der Nähe liegen die feindlichen Soldaten. "Wir beschießen uns hier ständig gegenseitig", sagt der Presseoffizier.
Im Juni und Juli sind zwei der Männer hier von einem russischen Scharfschützen erschossen worden. Regelmäßig tauchen am Himmel russische Aufklärungsdrohnen auf, die Ziele für die gegnerische Artillerie identifizieren sollen. Genauso regelmäßig kreisen russische Kamikaze-Drohnen über den Stellungen der Ukrainer. Das Schützengrabensystem ist eines wie vor hundert Jahren. Die Waffen sind High-Tech.
Pihota zeichnet, um mit der stetigen Anspannung zurecht zu kommen
"Da drüber ist deren Land. Da können sie machen, was sie wollen. Sie sollen nur nicht zu uns kommen", sagt Pawlow. Er ist 40, war vor dem Krieg Kfz-Mechaniker. Als der russische Überfall im Februar vergangenen Jahres beginnt, wird das Dorf in der Region Charkiw, in dem er lebt, massiv beschossen. Er meldet sich freiwillig zu den Territorialen Verteidigungseinheiten. Seit März ist er jetzt in dieser Stellung. "Wir müssen hier immer sehr, sehr aufmerksam sein", sagt er. Er überlegt noch einmal, was er über die Russen sagen soll, die hier so nah sind. "Man ist natürlich nicht glücklich, solche Nachbarn zu haben. Vielleicht sollten wir einfach eine große Mauer bauen."
Ruslan Pihota hat seinen eigenen Weg gefunden, mit der ständigen Anspannung klarzukommen. Er zeichnet Karikaturen. Pihota, 42, ist ein großer, kräftiger Mann, Vater von zwei erwachsenen Söhnen und Opa. Vor der russischen Invasion hat er bei einem Kinderbuchverlag gearbeitet. "Ich habe mich freiwillig gemeldet, weil ich befürchtet habe, dass das Böse gewinnt", erzählt er. Irgendwann, erinnert er sich, wurde jemand gesucht, der ein Poster für die Einheit malen sollte. "Ein Freund hat gesagt, ich könne das, also habe ich es gemacht." Seitdem zeichnet er Karikaturen.
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Pihota zeichnet "für die Zivilisten, für die Jungs, für die eigene geistige Gesundheit"
Die knollennasigen Figuren auf seinen Zeichnungen wirken drollig. Es ist aber der Krieg, der auf diesen Bildern zu sehen ist. Mit manchen Zeichnungen verhöhnt Pihota den Feind. Auf einem Bild rast ein Marschflugkörper britischer Bauart über ein russisches Urlauberpaar auf der Krim. Der Wind reißt der Frau den Hut vom Kopf. "Etwas sagt mir, dass es Zeit ist, nach Hause zu gehen", sagt sie.
Vor allem aber will Pihota das Leben der eigenen Soldaten abbilden. Auch über sie spöttelt er. "Brüder, wir halten durch, aber lernt schneller. Wir sind müde", sagt ein Infanterist auf einem Bild. Darunter sagt ein anderer Soldat: "Haltet aus, Jungs. Bald!" Es ist ein Bild, das er in Bachmut gezeichnet hat.
Im Winter war die 113. Brigade in der Stadt im Osten eingesetzt, die wie keine andere umkämpft war und nach Monaten blutiger und verlustreicher Kämpfe von den russischen Streitkräften eingenommen wurde. Die ausgelaugten Einheiten müssen dort lange auf frische Reserven warten. Auch Pihota kämpft in Bachmut. Am 7. Dezember wird er verwundet, als eine Granate neben ihm einschlägt. Er verbringt mehrere Wochen im Krankenhaus. "Ich habe gedacht, ich könnte da viel mehr zeichnen, weil ich so viel Zeit hatte. Aber ich hatte keine Ideen."
Er sagt, es sei ihm wichtig, die Atmosphäre im Schützengraben darzustellen. "Es soll den Zivilisten helfen zu verstehen, was wir machen. Ich mache das auch für die Jungs und für meine geistige Gesundheit." Seine Zeichnungen kursieren unter den anderen Soldaten, einheimische und internationale Medien haben über ihn berichtet. Seine persönliche Lieblingszeichnung aber ist eine, die das Ende des Krieges thematisiert. Ein Soldat sitzt am Strand, die Stiefel und den Helm ausgezogen, und schaut aufs Meer hinaus. "Das ist auf der Krim", sagt Pihota.
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Auf Pihotas Karikaturen ist der Krieg zu sehen, aber auch dessen Ende
Er und seine Kameraden in der Stellung an der russischen Grenze glauben daran, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen kann. Sie wissen um die harten Kämpfe im Süden und im Osten. Die langsamen Fortschritte dort machen ihnen aber Mut, sagen sie. Es herrscht verhaltener Optimismus.
Pihota sagt, er mache Deutschland und den anderen internationalen Partnern keinen Vorwurf, dass sie häufig so lange zögerten, bis sie den Ukrainern die Waffen lieferten, um die sie bitten. Im Gegenteil. Eine seiner Karikaturen zeigt einen schwerbewaffneten Riesen, vor dem ein Soldat in ukrainischer Uniform steht. "Ich bin allen Menschen in der freien Welt dankbar. Ohne eure Unterstützung hätte der David des 21. Jahrhunderts Goliath nicht besiegen können", steht darauf.
Als es Abend wird, wird der Artilleriebeschuss intensiver. Ein Anruf kommt rein, eine Warnung vor einem möglichen direkten Angriff. Es ist Zeit, die Stellung zu verlassen.