Moskau/Berlin. Wladimir Putin braucht Munition, Kim Jong-un russische Raketentechnik. Bizarres Zweiertreffen auf dem Weltraumbahnhof Wostotschny.

Es war eine fast bizarr anmutende Inszenierung: das Treffen des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin am Mittwoch. Und auch eine Drohung an den Westen. Erst die Ankunft Kims mit dem Panzerzug in Wladiwostok, kurz hinter der Grenze Russlands zu Nordkorea.

Dann etwas Sightseeing, zum Gesprächsthema passend. Die beiden Staatschefs besuchten den russischen Weltraumbahnhof Wostotschny. „Der Führer der Demokratischen Volksrepublik Korea zeigt großes Interesse an der Raketentechnik, sie versuchen auch die Weltraumtechnik zu entwickeln“, begründete Kremlchef Putin den gewählten Treffpunkt.

Nordkoreanische Raketen können mit Atomsprengköpfen bestückt werden

Das Gesprächsthema der beiden war damit umrissen. Neben wirtschaftlicher Zusammenarbeit und russischen Nahrungsmittelexporten ins Nachbarland Nordkorea – wo Menschen hungern – ging es vor allem um Waffen und um Raketentechnologie.

Ein Ausrufungszeichen hatte Kim bereits kurz vor dem Treffen mit Putin gesetzt: Nach Angaben des südkoreanischen Militärs ließ er mindestens eine ballistische Rakete in Richtung Japanisches Meer abfeuern. Ein Test – und eine Drohung. Derartige Raketen können auch mit Atomsprengköpfen bestückt werden.

Russlands Präsident Wladimir Putin traf Nordkoreas Führer Kim Jong-un auf dem  russischen Weltraumbahnhof  Wostotschny.
Russlands Präsident Wladimir Putin traf Nordkoreas Führer Kim Jong-un auf dem russischen Weltraumbahnhof Wostotschny. © AFP | Mikhail Metzel

Beide Staatsführer haben etwas, das der jeweils andere dringend braucht. Russland verfügt über Raketentechnologie und Nordkorea über Munition. Durch die lange Dauer der Kämpfe in der Ukraine werden für Russland die Granaten langsam knapp. Die heimische Rüstungsindustrie ist an der Kapazitätsgrenze. Nordkorea könnte etwa Artilleriemunition und Raketen liefern. Von beidem hat das Land genug.

Trotz Sanktionen: An Bauteilen herrscht in Russland kaum Mangel

Und: Pjöngjang hat sich auf die Modernisierung sowjetischer Waffensysteme spezialisiert. Moskau hingegen hat Mikrochips für Satelliten, Raketen und andere Waffen im Angebot. An modernen Bauteilen herrscht in Russland kaum Mangel, sie kommen trotz westlicher Sanktionen auf Umwegen ins Land. Überwiegend aus China. Aber auch aus der Türkei, Kasachstan oder Usbekistan. Und Russland hat eine lange Tradition und viel Erfahrung in Sachen Raketen- und Atomtechnologie. Damit könnte Russland Nordkorea helfen.

Am Rande des offiziellen Mittagessens teilte Kim mit, die beiden Staatschefs hätten während des Vieraugengesprächs zuvor über die politische und militärische Lage in Europa und auf der koreanischen Halbinsel gesprochen hätten. Über den genauen Inhalt dieser Gespräche ist bislang nichts bekannt.

Der Besuch werde aber den Grundstein zu einer strategischen Partnerschaft zwischen den beiden Nachbarländern legen, so der nordkoreanische Machthaber. Er werde Putin in Sachen Ukraine unterstützen. Russland habe sich zum Schutz seiner Souveränität und Sicherheit erhoben, so Kim. „Ich hoffe, dass wir im Kampf gegen den Imperialismus und beim Aufbau eines souveränen Staats immer zusammen sein werden.“

Kim Jong-un interessierte sich für die Atom-U-Boote

Auch Putin ging bei der militärisch-technischen Zusammenarbeit beider Staaten nicht ins Detail. Russland halte sich an seine internationalen Verpflichtungen, sagte er russischen Nachrichtenagenturen zufolge. Es gebe aber Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit innerhalb des Rahmens der Regeln.

Kim Jong-un auf dem roten Teppich mit dem russischen Umweltminister Alexander Kozlov.
Kim Jong-un auf dem roten Teppich mit dem russischen Umweltminister Alexander Kozlov. © AFP | Str

Fünf Stunden dauerte das Treffen der international isolierten Staatschefs in Russlands Fernem Osten. Putin und Kim verhandelten zunächst eine Stunde lang in größerem Kreis, dann etwa ebenso lange unter vier Augen. Kim reiste im Anschluss mit seinem Panzerzug weiter. So besuchte er noch Komsomolsk am Amur und Wladiwostok, wie Putin bekanntgab. Komsomolsk ist Standort für den Schiffbau und die Flugzeugindustrie. Dort werden auch Suchoi-Kampfjets und Atom-U-Boote für das Militär gebaut. In Wladiwostok hat die russische Pazifikflotte ihren Stützpunkt.

Berichte: Moskau gehen Waffen und Munition aus

Nach mehr als 18 Monaten ist Putin immer noch weit davon entfernt, seine Kriegsziele in der Ukraine zu erreichen. Die russische Armee musste mehrere schmerzhafte Niederlagen einstecken und sich erst vor Kiew und später dann im nordostukrainischen Gebiet Charkiw und aus der Großstadt Cherson am Schwarzen Meer zurückziehen.

Russland hält einschließlich der bereits 2014 annektierten Halbinsel Krim immer noch 20 Prozent des Nachbarlandes besetzt. Doch sieht sich das russische Militär derzeit einer weiteren ukrainischen Offensive gegenüber. Berichte über Probleme Moskaus bei der Versorgung der eigenen Truppen mit Waffen und Munition mehren sich.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Kreml: Keine Soldaten aus Nordkorea an der Grenze zu Ukraine

Vor diesem Hintergrund erwarteten Beobachter, dass Waffengeschäfte Thema des Besuchs waren. Nordkorea war jahrzehntelang Kunde der sowjetischen Rüstungsindustrie und hat inzwischen Fortschritte bei der Modernisierung und Eigenproduktion dieser Waffen und Munition erzielt. Während der Iran Shahed-Drohnen liefern soll, mit denen Russland seit Monaten das Nachbarland überzieht, wird Nordkorea vor allem als potenzieller Munitionslieferant für die russische Artillerie gehandelt.

Ein Waffen-Deal wurde aber nicht offiziell bekanntgegeben. Allerdings bezeichnete Putin die Gespräche im Staatsfernsehen als fruchtbar. Trotz der vom UN-Sicherheitsrat gegen Nordkoreas Atomprogramm erlassenen Sanktionen gibt es dem Kremlchef zufolge im militärtechnischen Bereich Perspektiven für einen Ausbau der Kooperation. Der Kreml dementierte später lediglich Spekulationen, dass Moskau und Pjöngjang die Stationierung von nordkoreanischen Soldaten an der russisch-ukrainischen Grenze besprochen hätten. Experten gehen davon aus, dass sich Kim seine Hilfe gut bezahlen lassen dürfte.

Mehr Reportagen von Kriegsreporter Jan Jessen