Berlin. Das Ampel-Kabinett stimmt für das Selbstbestimmungsgesetz. Heftige Kritik kommt von der CDU und Alice Schwarzer. Alle wichtigen Fragen.
Bisher ist es ein schwerer Gang: Wer seinen Namen und sein Geschlecht ändern möchte, braucht ein psychologisches Gutachten und eine gerichtliche Entscheidung, was mit intimen Fragen und hohen Kosten verbunden ist. Betroffene, die sich ihrem biologischen Geschlecht nicht zugehörig fühlen und deshalb unter einem enormen Leidensdruck stehen, fühlen sich vielfach durch dieses Verfahren gedemütigt.
Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits wesentliche Teile des sogenannten Transsexuellengesetzes für verfassungswidrig erklärt. Auch die Weltgesundheitsorganisation lehnt das Transsexuellengesetz ab. Darauf reagiert nun die Ampel-Regierung: Das Kabinett hat am Mittwoch das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz beschlossen.
Laut Gesetzentwurf sollen sich künftig Betroffene sowohl Geschlecht als auch den Vornamen beim Standesamt selbst festlegen und ändern können. Während Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Lehrergewerkschaften den Entwurf im Prinzip loben, hagelt es von der CDU heftige Kritik – und von der Feministin und Publizistin Alice Schwarzer. Wie das Gesetz funktioniert und warum es so polarisiert.
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An wen richtet sich das Gesetz?
Betroffen sind sogenannte transgeschlechtliche, nicht binäre und intergeschlechtliche Menschen. Wer bei der Geburt einen weiblichen Geschlechtseintrag erhalten hat, sich aber als Mann identifiziert, wird als „Transmann“ bezeichnet. Eine Person, die sich als weiblich identifiziert, aber einen männlichen Geschlechtseintrag erhalten hat, als „Transfrau“. Wer sich nicht eindeutig einem Geschlecht zugehörig fühlt, gilt als „nicht-binär“. Menschen, deren Geschlechtsmerkmale bei der Geburt nicht eindeutig zugeordnet werden können, sind „intersexuell“.
Wie können Betroffene künftig ihr Geschlecht ändern?
Es soll eine Erklärung und eine Eigenversicherung beim Standesamt reichen. Die Frage, ob es bereits zu Operationen gekommen ist und/oder zu einer hormonellen Behandlung, um das Geschlecht anzugleichen, spielt keine Rolle mehr. Das ist im Vergleich zum bisherigen Transsexuellen-Gesetz eine enorme Vereinfachung.
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Dürfen auch Minderjährige ihr Geschlecht ändern?
Es gibt kein Mindestalter. Allerdings brauchen Kinder und Jugendliche die Zustimmung der Eltern: Bis 14 Jahre müssen die Sorgeberechtigten eine Erklärung gegenüber dem Standesamt abgeben. Bei älteren Kindern reicht die Zustimmung – es sei denn, sie gefährden offenkundig das Kindeswohl, weil sie den dringenden Wunsch des Kindes ablehnen. Hintergrund ist, dass das Gefühl, im falschen Körper zu leben, laut Deutscher Gesellschaft für Transsexualität in den meisten Fällen zu Depressionen und schweren psychosomatischen Problemen führt.
„Wir gehen davon aus, dass niemand so sehr um das Kindeswohl bemüht ist, wie die eigenen Eltern“, sagt Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Aber sollten Eltern ihre Rechte doch missbrauchen, habe der Staat Möglichkeiten dagegen vorzugehen – beispielsweise durch Jugendämter oder Familiengerichte. Dies bezeichnet die CDU als anmaßend: Das Gesetz greife „unverhältnismäßig in die verfassungsrechtlich geschützten Elternrechte ein. Dass laut Gesetzesbegründung bei Uneinigkeit der Eltern sogar der Verlust des Sorgerechts bei einem Elternteil möglich sein kann, gleicht einer Drohung“, sagt Silvia Breher, familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dieser Redaktion.
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Selbstbestimmungsgesetz: Kann der Eintrag rückgängig gemacht werden?
Ja, theoretisch beliebig oft. Allerdings gibt es eine Sperrfrist von einem Jahr. Der Schwulen- und Lesbenverband rechnet aber nicht damit, dass viele trans-Menschen von der Möglichkeit Gebrauch machen – bislang liege der Anteil der Personen, die ihr altes Geschlecht zurück wollen, konstant bei etwa einem Prozent.
Wie verbreitet ist eine Trans-Identität bei jungen Menschen?
Nach der Erfahrung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gewinnt das Thema Geschlechtsidentität an den Schulen – und damit in der Gesellschaft – an Präsenz. In jeder Klasse gebe es statistisch mindestens eine betroffene Person, sagt GEW-Vorstandsmitglied Frauke Gützkow dieser Redaktion. Für Tomi Neckow, Vize-Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), liege das nicht an einer generellen Zunahme von Transgeschlechtlichkeit. „Es gibt heute schlicht mehr Menschen, die ihren Wunsch nicht mehr verschweigen“. Schon Kinder und Jugendliche äußerten sich zum Thema.
Diese Erfahrung macht auch Kinderärztin Angela Schütze-Buchholz. Selbstbestimmung und Geschlechtsidentität werde „merkbar häufiger“ in den Praxen angesprochen – „möglicherweise auch, weil wir besser zuhören“, sagt die Vizepräsidentin des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte dieser Redaktion. Viele Jugendliche kämen mit psychosomatischen Beschwerden in die Praxis, viel häufiger als früher bestätigten die jungen Patienten, dass die Probleme mit ihrer Geschlechtsidentität zusammenhingen. „In den vergangenen zwei Jahren hatte ich in meiner Praxis in Syke ungefähr mit zehn Patienten und Patientinnen Kontakt wegen dieses Themas. Es ist auf keinen Fall nur ein großstädtisches Modethema, mit so einer Einschätzung wird man der Selbstbestimmung nicht gerecht.“
Was wird noch kritisiert?
Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer fährt seit geraumer Zeit eine Kampagne gegen das Gesetz. Sie hält die Zunahme von Transgeschlechtlichkeit für eine Modeerscheinung. Dieser Redaktion sagte sie, der Gesetzesentwurf „in der Form gefährdet Kinder und Jugendliche, denen der Geschlechtswechsel verlockend leicht gemacht wird.“ Zudem treibt Schwarzer die Sorge um, dass sich künftig trans-Personen Zutritt in für Frauen geschützte Räume verschaffen wollten. Das Vorhaben der Ampel gefährde „Frauen, in deren Schutzräume biologische Männer, die sich einfach als Frauen definieren, eindringen könnten.“
Um dies zu verhindern, sieht das Gesetz allerdings ein Hausrecht etwa in Fitnessclubs und Schwimmbädern vor. Das wiederum kritisiert die CDU: Das Gesetzt überlasse „dem Bademeister oder dem Fitnesstrainer, ob eine Transperson in die Frauenumkleide darf“, sagt Fraktionssprecherin Silvia Breher. Auch Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hatte bereits vor Gefahren für Frauen etwa in reinen Frauensaunen gewarnt.
Für die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman ist diese Debatte irrational. „Wir haben in Deutschland überwiegend gemischtgeschlechtliche Saunen. Kein Mann muss seinen Geschlechtseintrag ändern lassen, um in Deutschland eine nackte Frau zu sehen“, sagt sie. Aus der FDP-Organisation „Liberale Schwule, Lesben, Bi, Trans und Queer“ heißt es, das geplante Gesetz berücksichtige alle Eventualitäten, um Missbrauch insbesondere durch nicht transgeschlechtliche Männer zu verhindern.
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Können Kriminelle das Gesetz missbrauchen, um mit neuem Namen und Geschlecht einer Strafverfolgung zu entgehen?
Dies Befürchtung hatte zunächst das Bundeskriminalamt. Um dies zu verhindern, sollen voraussichtlich die Standesämter die Daten an die Meldebehörden und somit auch die Strafverfolgungsbehörden weitergeben, die dann prüfen können, ob ein Verfahren oder eine Fahndung läuft.
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