Berlin. Erkältung, Grippe, RSV: Wie sollen sich Eltern auf den Herbst vorbereiten? Kinderärzte-Präsident Fischbach hat einen einfachen Rat.

Verzweifelte Eltern, Kinderärzte am Limit – und kein Fiebersaft in der Apotheke: Im vergangenen Herbst lagen die Nerven blank, mehrere Infektionswellen brachten die Kindermedizin an den Rande des Kollaps. Und diesmal? Wie sollten sich Eltern auf die Virensaison vorbereiten? Thomas Fischbach ist Kinderarzt in Solingen und Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Er hat einen einfachen Rat für alle Eltern.

Herr Fischbach, auf welche Viren müssen sich Eltern in diesem Herbst einstellen?

Thomas Fischbach: Im vergangenen Jahr hatten wir neben Corona zwei große Probleme mit weiteren Viren: Das eine war die massive Infektionswelle durch das RS-Virus, das die Atemwege angreift und vor allem bei vorerkrankten Säuglingen und Kleinkindern lebensbedrohlich sein kann. Das andere war die Grippewelle. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir auch in diesem Winter wieder eine schwere Influenzawelle bekommen. Auf der Südhalbkugel, besonders in Australien, steigen die Fallzahlen bereits rasant an, das ist üblicherweise ein sicheres Alarmzeichen für uns.

Droht in diesem Winter eine neue RS-Virus-Welle?

Fischbach: Im vergangenen Jahr hatten wir die ersten Fälle schon im August, das war vollkommen atypisch. Auch jetzt kann eine RS-Welle zu jedem Zeitpunkt losgehen. Sicher kann man sich bei diesem Virus nie sein. Wir sollten aber davon ausgehen, dass es wieder zu einem größeren Problem werden kann. Schon deshalb, um nicht wieder völlig ungewappnet in eine Infektionswelle hineinzulaufen.

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Was ist mit Erkältungsviren – sind sie immer harmlos?

Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes Kinder- und Jugendärzte
Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes Kinder- und Jugendärzte © dpa | Karsten Lindemann

Fischbach: Es gibt zahlreiche Erkältungsviren. Im Winterhalbjahr treten sie besonders häufig auf. Die meisten Fälle verlaufen harmlos, es kann aber auch zu schweren Erkrankungen kommen: Wir hatten im vergangenen Winter etliche Säuglinge, die durch Rhinoviren so krank wurden, dass sie im Krankenhaus behandelt werden musste. Ich warne davor, bei Erkältungsviren pauschal und verniedlichend von „Schnupfen“ zu sprechen.

Wie können sich Eltern auf den Herbst vorbereiten?

Fischbach: Wir müssen davon ausgehen, dass es auch in diesem Winter wieder Versorgungsengpässe bei wichtigen Medikamenten geben wird. Eltern sollten deswegen eine gut gefüllte Hausapotheke haben.

Was gehört in diesem Herbst in die Hausapotheke?

Fischbach: Wichtig ist ein Fiebermedikament. Für kleinere Kinder können es Zäpfchen sein. Pro Kind sollten Eltern 20 Stück im Haus haben. Für ältere Kinder ist Fiebersaft in der Regel angenehmer. Hier sollte man für jedes Kind eine Flasche bereithalten. Zusätzlich ist es gut, wenn man ein abschwellendes Nasenspray zur Hand hat, mit der jeweils altersgerechten Wirkstoffmenge. Sinnvoll kann auch ein Elektrolytgemisch in Pulverform sein. Das hilft bei Durchfall und Magen-Darm-Infekten. Solche Elektrolyte sind frei erhältlich. Wenn Halsschmerzen auftreten, ist es zudem immer gut, wenn man Salbeibonbons im Haus hat.

Worauf sollte man sonst noch achten?

Fischbach: Jeder sollte ein funktionierendes Fieberthermometer im Haus haben. Bei Säuglingen und Kleinkindern bis drei Jahre sollte man die Temperatur unbedingt im Po messen. Da ist die Messung sicherer. Bei älteren Kindern geht es dann gut im Ohr. In die Familienapotheke gehören darüber hinaus etwas Verbandszeug, Desinfektionsmittel und eine abschwellende Salbe, etwa wenn sich die Kinder beim Spielen oder beim Sport verletzt haben. Wichtig ist bei allem: Es geht nicht darum, Medikamente in großen Mengen zu horten, sondern darum, für den akuten Fall ausgerüstet zu sein.

Wer sich auf den Herbst vorbereiten will, sollte seine Hausapotheke mit den wichtigsten Medikamenten füllen, rät Kinderarzt Thomas Fischbach.
Wer sich auf den Herbst vorbereiten will, sollte seine Hausapotheke mit den wichtigsten Medikamenten füllen, rät Kinderarzt Thomas Fischbach. © dpa | Bernd Weißbrod

Sollten Eltern vor dem Herbst noch mal die Impfungen überprüfen?

Fischbach: Das sollte man sowieso regelmäßig machen und sich nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission richten. Für die neue Grippesaison empfiehlt die STIKO: Chronisch kranke Kinder sollte man gegen Influenza impfen lassen. Das betrifft zum Beispiel Kinder mit Diabetes, Asthma oder Herzkrankheiten. Die Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte haben den Impfstoff bereits bestellt. Damit der Schutz möglichst lange hält, sollte man ab Oktober, spätestens im November, mit den Impfungen beginnen. Eine allgemeine Impfempfehlung gegen Influenza gibt es derzeit noch nicht.

Gibt es Fortschritte beim Impfschutz gegen das RS-Virus?

Fischbach: Aktuell können wir Frühchen und chronisch kranke Neugeborene mit monoklonalen Antikörpern immunisieren: Die Impfung beginnt direkt nach der Geburt in der Klinik und muss dann einmal im Monat von der Kinder- und Jugendärztin bzw. vom Kinder- und Jugendarzt wiederholt werden. Neue Medikamente befinden sich bereits im Zulassungsverfahren.

Kommt bald eine RSV-Impfung für alle Kleinkinder?

Fischbach: Für Erwachsene ab 60 Jahren wird meines Wissens nach bald ein RSV-Impfstoff verfügbar sein. Bei Kindern kann ich dazu noch keine Aussage treffen.

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Sie haben vorgeschlagen, dass Eltern, die bei Lappalien in die Notaufnahme gehen, eine Gebühr zahlen sollen.

Fischbach: Zunächst einmal möchte ich gerne klarstellen, dass ich das Wort Strafgebühr, wie es in den Medien gerne populistisch betitelt wird, nie in den Mund genommen habe. Ich habe von einer Eigenbeteiligung der Versicherten gesprochen und auch das nur in ganz bestimmten Fällen. Genauso wenig habe ich gesagt, dass alle Eltern, die mit harmlosen Fällen in die Notaufnahme oder zum Notdienst kommen, künftig Geld bezahlen sollen. Ich habe nur von denjenigen gesprochen, die das System ganz bewusst zu ihren Gunsten ausnutzen, weil sie beispielsweise keine Lust haben, sich am Montagmorgen in ein volles Wartezimmer zu setzen.

Viele Eltern sind extrem unsicher, wenn es darum geht, Krankheitsanzeichen richtig zu deuten.

Fischbach: Das ist richtig. Das liegt unter anderem daran, dass Wissen und Erfahrungen oft nicht mehr weitergegeben werden, weil die Großeltern im Alltag häufig keine Rolle mehr spielen. Dazu kommt eine große Verunsicherung durch das Internet und die sozialen Netzwerke: Die Eltern suchen Orientierung, sind am Ende aber nur noch verunsicherter.

Was hat mein Kind? Viele Eltern sind unsicher, wenn es darum geht, Krankheitsanzeichen richtig zu deuten.
Was hat mein Kind? Viele Eltern sind unsicher, wenn es darum geht, Krankheitsanzeichen richtig zu deuten. © dpa | Annette Riedl

Wo sollen sich junge Eltern denn stattdessen informieren – wenn der Kinderarzt jetzt schon nur Zeit für das Nötigste hat?

Fischbach: Es gibt Kurse, zum Beispiel vom Roten Kreuz oder anderen Hilfsorganisationen. Fiebert das Kind, ist auch unsere Fieber-App (FeverApp) nützlich. Wir haben sie zusammen mit der Universität Witten-Herdecke entwickelt. Die App hilft Eltern mit wissenschaftlich fundierten Informationen bei den wichtigsten Fragen.

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Im vergangenen Winter wurde die Krise der Kindermedizin offensichtlich: Die Praxen standen vor dem Kollaps, die Kinderkliniken waren am Limit. Dazu kamen die massiven Engpässe bei Medikamenten. Ist die Lage jetzt besser?

Fischbach: Der Gesundheitsminister hat auf den Notstand in der Kindermedizin reagiert – mit Ausgleichszahlungen für die Praxen und einer anderen Vergütung der Kinderkliniken. Doch das reicht bei weitem nicht: Der Nachwuchsmangel bleibt. Wenn sich die Babyboomer in absehbarer Zeit aus dem Berufsleben verabschieden, hinterlassen sie eine gigantische Lücke. Auch der Medikamentenmangel bleibt erst: Zwar werden jetzt die Hersteller verpflichtet, Vorräte von mehreren Monatsmengen für vielgenutzte Arzneimittel bereitzustellen, zudem sollen sich Lieferungen nach Deutschland wieder mehr lohnen. Doch solange es Lieferengpässe gibt, wird das alles nicht greifen. In diesem Winter werden wir noch einmal massive Mangellagen erleben.

Welche Medikamente werden diesmal knapp?

Fischbach: Es geht um die gleichen Arzneimittel, um die es schon im vergangenen Winter ging: Antibiotika in kindgerechter Dosierung und Fiebersäfte.

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