Berlin. Bis 2030 gehen 1,3 Millionen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in den Ruhestand. Experten sind alarmiert – denn Nachwuchs fehlt.
Ob Bürgeramt, Bildung oder Bundeswehr: Dem deutschen Staat gehen die Beschäftigten aus. In allen Bereichen des öffentlichen Dienstes fehlt es an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das hat nicht nur Folgen für die Polizisten, Lehrer, Richter, Verwaltungsangestellte oder Krankenpfleger, die tagtäglich ihre Arbeit machen, da für sie der Job immer stressiger wird. Auch die Bürgerinnen und Bürger bekommen die Überlastung des Staats aufgrund des Personalmangels zu spüren. In den kommenden Jahren wird sich das Problem noch deutlich verschärfen. Steht der Staat bald still?
Davon will Ulrich Silberbach nicht sprechen. „Aber es wird noch viel mehr, öfter und lauter rumpeln als jetzt“, sagt der Chef des Beamtenbunds dbb unserer Redaktion. „Wenn wir bei Digitalisierung und Bürokratieabbau nicht endlich vorankommen, wird der bevorstehende Personalmangel Bearbeitungsfristen verlängern, Betreuungsschlüssel verschlechtern und die staatliche Leistungsfähigkeit insgesamt signifikant schwächen“, warnt der Vorsitzende des Dachverbands von Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes.
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Es arbeiten rund fünf Millionen Menschen im öffentlichen Dienst. Nach dbb-Angaben fehlen dem Staat aktuell etwa 360.000 Beschäftigte. Die Lücke wird wachsen: Bis 2030 gehen absehbar 1,3 Millionen weitere Mitarbeiter in den Ruhestand. Es ist eine Entwicklung, vor der öffentliche Arbeitgeber ebenso zittern wie die Privatwirtschaft: In den kommenden Jahren verlassen die „Babyboomer“ das Arbeitsleben. Damit sind die geburtenstarken Jahrgänge Ende der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre gemeint. Der jetzt schon problematische Fachkräftemangel wird damit zur bedrohlichen Krise.
Öffentlicher Dienst: Bis 2030 gehen 1,3 Millionen Mitarbeiter in den Ruhestand
Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes schlagen deswegen Alarm. „In Schulen könnten bis 2030 über 80.000 Lehrkräfte fehlen – während die Zahl der Schülerinnen und Schüler weiter steigen dürfte“, rechnet Daniel Merbitz aus dem Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vor. „Schon jetzt sind Tausende Stellen unbesetzt.“ In der frühkindlichen Bildung könne bis Ende des Jahrzehnts eine Lücke von mehr als 230.000 unbesetzten Stellen klaffen. „Die Lage ist dramatisch“, sagt Merbitz unserer Redaktion.
In Schulen fällt Unterricht aus, in Bürgerämtern sind mancherorts nur schwer Termine zu bekommen. An Gerichten führt der Personalmangel dazu, dass Verfahren sich immer länger hinziehen. Der Deutsche Richterbund warnt, dass bundesweit bis zum Ende des Jahrzehnts rund 40 Prozent aller Richter und Staatsanwälte die Justiz verlassen. Bei der Polizei ist eine Folge des Personalmangels, dass die Beamten nicht mehr überall genau hinschauen können.
„In der polizeilichen Ermittlungsarbeit gibt es schon seit Jahren einen massiven Bearbeitungsstau“, berichtet der Vizevorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Michael Mertens. „Für die Bürgerinnen und Bürger besonders offensichtlich wird die Personalknappheit der Polizei im Bereich der Verkehrsüberwachung“, sagt Mertens dieser Redaktion. Es sei der Polizei nicht mehr möglich, flächendeckend das Einhalten der Verkehrsregeln zu kontrollieren. „Die Folge ist ein deutlich verringertes Entdeckungsrisiko, was sich auf die Einhaltung der Verkehrsregeln und vor allem in der Unfallstatistik negativ auswirkt.“
Personalmangel und Überlastung: Lehrergewerkschaft warnt vor „Personalkollaps“
Es reiche aber nicht, die Abgänge einfach nur zu ersetzen, warnt der GdP-Vize. „Weil auf die Polizei massiv neue Aufgaben hinzugekommen sind – von der Bekämpfung des Kindesmissbrauchs über die Internetkriminalität bis zur Terrorabwehr – brauchen wir darüber hinaus noch ein ordentliches Plus.“ Mertens sieht in dem Personalmangel ein weitreichendes Problem: „Die politischen Entscheider wissen, dass den Menschen in der Bundesrepublik ihre Sicherheit wichtig ist, tun aber immer noch zu wenig“, kritisiert der Erste Polizeihauptkommissar. „Das Erstarken populistischer und teils extremer Strömungen ist deshalb noch einmal ein Weckruf, daran endlich was zu ändern.“
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Mit Sorge blickt der Beamtenbund zudem darauf, dass jede Menge Routine und Fachwissen verloren geht, wenn Hunderttausende Mitarbeiter in Pension gehen. Hinzu kommt der wachsende Druck durch die Personalknappheit. „Das führt oft zu einem Teufelskreis aus Überlastung durch Fachkräftemangel und Fachkräftemangel durch Überlastung“, sagt GEW-Vorstandsmitglied Merbitz. „Viele Beschäftigte im Bildungsbereich gehen in Teilzeitarbeit, um der persönlichen Überlastung zu entkommen. Wenn die Politik nicht gegensteuert, droht ein Personalkollaps.“
Beamtenbund: Aggressivität wachsendes Problem für Angestellte im öffentlichen Dienst
Auch Mertens spricht davon, dass die „permanente Überbelastung“ der Gesundheit der Polizeibeamten schade. „Dazu kommen ein zunehmend raueres Gesellschaftsklima, der schwindende Respekt gegenüber der Polizei sowie zunehmende Angriffe auf unsere Kolleginnen und Kollegen.“
In Aggressivität und Gewalt sieht auch dbb-Chef Silberbach ein „großes und wachsendes“ Problem: „Die Gesellschaft verroht, das Misstrauen gegen den Staat wächst, Leidtragende sind natürlich auch die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, nicht nur bei Polizei und Rettungsdiensten, sondern auch in Schulen, Jobcentern und Bürgerämtern.“ Dass sich schon Menschen wegen dieser Entwicklung gegen eine Karriere im öffentlichen Dienst entschieden haben, sei nicht auszuschließen.
Faeser will mehr Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst
Womit kann der Staat also punkten? Arbeitsplatzsicherheit und eine Bezahlung nach Tarif beispielsweise sprechen bei der Berufswahl für den öffentlichen Dienst. Nicht konkurrenzfähig sind die staatlichen Gehälter trotz Zulagen aber etwa im IT-Bereich, hier können Fachkräfte in der freien Wirtschaft oft deutlich mehr verdienen. Schätzungen der Unternehmensberatung McKinsey zufolge wird die Zahl der fehlenden IT-Experten im Staatsdienst von derzeit etwa 39.000 auf 140.000 bis 2030 steigen.
Die für den öffentlichen Dienst zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD) hat auf der Suche nach Mitarbeitern eine bestimmte Bevölkerungsgruppe im Blick: „Bisher bewerben sich zu wenige Menschen mit Einwanderungsgeschichte im öffentlichen Dienst“, sagte Faser auf der dbb-Jahrestagung im Januar. „Das wollen wir ändern.“ Die GEW und Gewerkschaft der Polizei fordern neben dem Eingehen auf die Bedürfnisse qualifizierter Nachwuchskräfte etwa mehr Chancen für Seiteneinsteiger, um die Personalnot zu lindern.
Silberbach verlangt: „Wir müssen besser bezahlen.“ Dennoch werde der öffentliche Dienst beim Geld in der Konkurrenz zur Privatwirtschaft – vor allem bei den besser Qualifizierten – weiter den Kürzeren ziehen. Also müsse der Staat seine Vorteile ausspielen: „Wir können flexiblere und familienfreundlichere Arbeitszeitmodelle anbieten, den Einsatz für das Gemeinwohl hervorheben und auch mit der relativen Sicherheit des Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst werben.“ Das, fügt der Beamtenbund-Vorsitzende hinzu, seien „alles wahrlich keine schlechten Argumente“.
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