Berlin/Dresden. . Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer spricht über das Umfrage-Hoch der AfD – und schickt CDU-Chef Friedrich Merz eine Warnung.

Die AfD im Höhenflug, die Union im Machtkampf: Nach Hendrik Wüst (NRW) und Daniel Günther (Schleswig-Holstein) meldet sich der dritte CDU-Regierungschef im Interview zu Wort. Die Warnung von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der sich im kommenden Jahr einer Landtagswahl stellen muss, dürfte CDU-Chef Friedrich Merz nicht gefallen.

Welche Erklärung haben Sie für das Allzeit-Hoch der AfD?

Michael Kretschmer: Die Menschen sind verstört, wie Politik gemacht wird in Deutschland. Selbst bei der Landratswahl in Sonneberg - das haben Wählerbefragungen gezeigt - spielten vor allem Deutschlandthemen eine Rolle: Energiewende, Heizungsgesetz, Flüchtlingspolitik und Russland-Embargo haben der AfD den Sieg gebracht. Diese Themen drohen die Gesellschaft zu zerreißen. Wir sind auf dem Weg in eine Polarisierung, wie wir sie aus Amerika kennen. Die Debatte der vergangenen Woche hat nicht erkennen lassen, dass alle das begriffen haben.

Worauf spielen Sie an?

Kretschmer: Politiker greifen zu Schuldzuweisung und Abgrenzung statt sich mit unangenehmen Wahrheiten auseinanderzusetzen. Das ist nicht verantwortungsvoll. Man darf nicht ignorieren, was für die Bevölkerung die zentralen Themen sind, sondern muss sich den Realitäten stellen. Es muss jetzt um Sachfragen gehen.

CDU-Chef Friedrich Merz ist damit aufgefallen, dass er die Grünen zum Hauptgegner erklärt hat.

Kretschmer: Bundesregierung und Opposition können in Krisenzeiten durchaus zusammenarbeiten. Dafür braucht es aber eine Bereitschaft der Ampel-Regierung. Der kleinste gemeinsame Nenner kann nicht der Anspruch der Bundesrepublik Deutschland sein. Die Länder haben die Bereitschaft zur Kooperation immer wieder deutlich gemacht. Voraussetzung ist, dass die Bundesregierung zu einer fairen Zusammenarbeit bereit ist – und nicht einfach Gesetze auf den Tisch knallt. Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern war noch nie so schlecht wie aktuell.

Hat Merz das verstanden?

Kretschmer: Wir sind uns in der Union über unsere staatspolitische Verantwortung einig. In diesem Land gerät etwas ins Rutschen. Ausgrenzen und Abkanzeln führt uns nicht weiter. Die Bundesregierung muss einen anderen politischen Ansatz wählen. In Deutschland muss wieder mehr miteinander geredet werden. Die Situation ist ernst. Wir müssen anerkennen, dass es mehr als eine Meinung gibt.

Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen:
Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen: "Wir müssen alles tun, um die Energiepreise zu senken." © Robert Michael/dpa

Bedeutet - ganz konkret - für die Energiepolitik?

Kretschmer: Die Energiewende ist gescheitert, man muss sie neu aufsetzen. Wir haben eine extreme Verteuerung der Energiepreise – und entlasten Konzerne mit einem Industriestrompreis, während Handwerker, Mittelständler und Privathaushalte nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. Wir brauchen eine parteiübergreifende und gesellschaftsumspannende Kommission, um Ökonomie, Ökologie und die soziale Fragen in Einklang zu bringen. Die Energiewende mit der Brechstange funktioniert nicht. Wir müssen alles tun, um die Energiepreise zu senken.

Was schwebt Ihnen da vor?

Kretschmer: Energie muss verfügbar und bezahlbar sein – bis zum Atomausstieg und dem Heizungsgesetz war das ein Grundkonsens. Jetzt hat ein großer Teil der Bevölkerung das Gefühl: Nein, das ist nicht mehr so. Ich übrigens auch. Notwendig wäre, neu über alles nachzudenken: Atomkraft, Kohleausstieg, heimisches Gas, Nord Stream 1, den Ausbau der Erneuerbaren – es gibt viele Möglichkeiten, zu einem Kompromiss zu kommen.

Setzen Sie immer noch auf russisches Gas?

Kretschmer: Mir geht es in dieser besonders schwierigen Situation um den Zusammenhalt des Landes. Wir dürfen uns den Weg zu russischem Gas nicht für alle Zeiten versperren. Wir müssen viel stärker auf Diplomatie setzen, um den Ukraine-Krieg zu beenden. "Nie wieder Russland" - diesen Satz möchte ich nicht mehr hören.

Russland überzieht die Ukraine - auch nach dem Söldner-Aufstand - mit einem verbrecherischen Krieg.

Kretschmer: Ich werde den Bundeskanzler immer verteidigen, wenn es um die Unterstützung der Ukraine geht. Aber ein großer Teil der Menschen ist für eine diplomatische Lösung. Und ich erwarte, dass die Bundesregierung sich dafür öffnet. Wer diese Position in den vergangenen Monaten vertreten hat - ob Jürgen Habermas oder auch ich - musste sich übelste Beschimpfungen anhören. Wen wundert, dass das etwas mit der Bevölkerung macht. Aber das ist nicht das einzige Thema, das die Menschen verstört. Wir müssen auch über Asyl reden.

Was wollen Sie sagen?

Kretschmer: Die Zahl der Schutzsuchenden, die zu uns kommen, ist eindeutig zu hoch. Wir haben nicht die Wohnungen, nicht die Integrationskurse, nicht die Kindergärten und Schulen, die dafür nötig wären. Wir müssen Instrumente entwickeln, um die Zuwanderung zu begrenzen. Wir brauchen einen Asylkompromiss

… um den sich die EU ja gerade bemüht.

Kretschmer: Was die Bundesregierung in Europa erreicht hat, ist sehr positiv zu sehen. Allerdings werden die Vereinbarungen - etwa zu Asylverfahren an den EU-Außengrenzen - frühestens zum Ende des kommenden Jahres greifen. Daher wird es notwendig, nationale Maßnahmen zu ergreifen. Wir brauchen Grenzkontrollen nicht nur an der Grenze zu Österreich, sondern auch zu Polen. Über Polen kommen doppelt so viele Flüchtlinge zu uns wie über Österreich. Außerdem sollten wir über erleichterte Abschiebungen, geringere Leistungen für Asylbewerber und ganz allgemein über das Grundrecht auf Asyl sprechen. Wenn wir uns parteiübergreifend zusammensetzen, werden wir eine Lösung finden.

Lesen Sie auch: Union verschiebt Kanzler-Frage – Seitenhieb gegen Merkel