Paris. Caroline Darian, Tochter von Gisèle Pelicot, erhebt schwere Vorwürfe gegen ihren Vater Dominique Pelicot. Hat er sie als Kind missbraucht?
„Du lügst!“ Der Schrei der 45-jährigen Frau gellte durch den Raum, bevor sie aufstand und den Verhandlungssaal Gerichtsgebäude von Avignon in Frankreich unter Tränen verließ. Caroline Darian hielt die Vernehmung ihres Vaters nicht mehr aus. Er bestritt rundum, sich an seiner Tochter vergangen zu haben. Er habe das Mädchen zwar nackt fotografiert, behauptete Dominique Pelicot zu Prozessbeginn im September, aber „nie berührt“.
Angeklagt ist er, weil er seine Frau, Gisèle Pelicot (72), jahrelang immer wieder ohne ihr Wissen betäubt und Dutzenden von anderen Männern zur Vergewaltigung überlassen haben soll. Die Polizei fand auf seinem Computer über 20.000 Fotos und Videos. Zwei davon, betitelt mit „Rund um meine nackte Tochter“, zeigen ein schlafendes Mädchen von zehn Jahren in Unterwäsche. Caroline Darian erkannte sich, nicht aber ihre Schlafstellung. Und auch nicht ihre Unterwäsche – die musste ihr jemand angezogen haben. Dabei habe sie einen sehr leichten Schlaf, sie wache bei jedem Geräusch auf, sagte Caroline.
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Als der Angeklagte aus seinem Glaskäfig erwiderte, das seien normale Familienfotos, sprang die Tochter von ihrem Stuhl auf. Sie sagt, er habe sich „ohne jeden Zweifel“ auch an ihr vergangen. Das wäre Inzest. Doch die Beweislage ist dünn.
Pelicot-Tochter übergeugt: Vater lüge „wie gedruckt“
Unbestreitbar sind dagegen die Albträume, die schlaflosen Nächte. Und die Wut: Caroline Darian, verheiratet, Mutter eines zehnjährigen Sohns, verhehlt ihre Abscheu gegenüber ihrem Vater nicht. Unruhig sitzt sie an den langen Prozesstagen zwischen ihren beiden Brüdern; immer wieder schießt sie wütende Blick in Richtung des Mannes, den sie nur ihren „Erzeuger“ nennt. Während ihre Mutter den Ausführungen ihres Ex-Gatten schweigend und stoisch folgt, wirft Caroline ihm vor, er lüge „wie gedruckt“, und er manipuliere das Gericht, so wie er seine Familie jahrelang hintergangen habe.
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Schon vor zwei Jahren hatte Caroline Darian in einem Buch beschrieben, was an dem Prozess heute die halbe Welt verfolgt: Wie Dominique Pelicot (71) seine betäubte Frau nachts im Internet-Chatroom Unbekannten zur sexuellen Misshandlung offerierte. Das Buch mit dem Titel „Wie ich aufhörte, dich Papa zu nennen“, das im Frühjahr 2025 auf Deutsch erscheinen soll, zeugt vom Schock und Schmerz darüber, dass sich hinter dem geliebten Familienvater ein mutmaßlich monströser Sexualverbrecher verbirgt
Caroline Darian verarbeitet Familiendrama in eigenem Buch
Noch heute fühle sich die Familie „wie in einem Tsunami“, schrieb Darian dieser Tage auf ihrem Instagram-Account. Social Media und ihr Buch sollen der Öffentlichkeit zeigen, welches Verbrechen sich in ihrer Familien abspielte: „Ich will allen Frauen und Kindern helfen, die von sexueller Gewalt überwältigt werden. Mit meiner Schilderung will ich Alarm schlagen und aufzeigen, wie verbreitet die Plage der ‚chemischen Unterwerfung‘ ist.“ So nennt man in Frankreich den sexuellen Missbrauch nach Verabreichung von Schlafmitteln oder Partydrogen. Im Jahr 2022 gingen in Frankreich deswegen 1229 Anzeigen ein; die Dunkelziffer liegt laut Expertinnen um mindestens das Zehnfache darüber.
Caroline Darian wendet sich in ihrem Buch auch direkt an die Opfer: „Wenn Sie regelmäßig Gedächtnislücken haben, muss Ihnen das ein Zeichen sein. Zögern Sie nicht, einen toxikologischen Test zu machen.“ Sie zählt weitere Symptome auf: Schläfrigkeit, Erinnerung nicht an den Sexualverkehr, aber vielleicht an einen seltsamen Geschmack des Kaffees; die Überraschung, andere Kleidung als am Vortag zu tragen oder hohe Geldausgaben getätigt zu haben.
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Die meisten Frauen dächten, so etwas könne ihnen nie passieren, schätzt die Buchautorin. Doch die Täter kämen nicht als gefährliche Psychopathen daher, sondern agierten wie andere Vergewaltiger zu größten Teilen im eigenen Familien- oder Bekanntenkreis.
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Einige Fälle machen heute Schlagzeilen. So erhielt der Direktor des bekannten Thinktanks „Institut Montaigne“ eine Haftstrafe von einem Jahr, nachdem er einer Untergebenen, zugleich seiner Ex-Schwägerin, eine Droge ins Getränk geschüttet hatte.
Fall der Gisèle Pelicot lenkt den Fokus auf Gewalt in Familien
Anfang November beginnt in Paris eine Strafuntersuchung gegen den französischen Senator Joël Guerriau, der eine Abgeordnete der politischen Mitte in sein Büro eingeladen und Ecstasy in ihr Glas gegeben haben soll. Sie konnte sich noch so eben in ein Taxi retten. Mehrere Abgeordnete haben dieser Tage einen Gesetzesvorschlag eingereicht, laut dem die Sozialversicherung den fast tausend Euro teuren toxikologischen Test übernehmen soll.
Vor einem Jahr hat Caroline Carian das Kollektiv „M’endors pas“ (dt. „Schlafe nicht ein“) gegründet. Damit und mit ihrem viel beachteten Buch hat sie wertvolle Vorarbeit für die öffentliche Wahrnehmung des Pelicot-Prozesses geleistet. Auf ihrem neuen Instagram-Eintrag betont sie allerdings, sie sei keineswegs eine „Wonder Woman“ (Superfrau).
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„Meine Mutter, meine Brüder und ich bemühen uns nur, vor Gericht und der Kamera Würde zu bewahren“, schrieb sie, um anzufügen, sie werde für ein paar Tage ein Sanatorium aufsuchen, um sich nach der aktuellen Prozesspause auf die zweite Hälfte der bis Dezember dauernden Gerichtsverhandlungen vorzubereiten. Und „um einem der schlimmsten Sexualtäter der letzten 20 oder 30 Jahre gegenübertreten zu können“. Ihrem Vater.