Berlin. Die Fahndung nach dem flüchtigen Mann läuft weiter. Die Spuren führen von Neukölln nach Osteuropa, und vieles deutet auf dieses Motiv hin.
Zwei Tage nach dem Fund eines halben Kilos hochexplosiven Triacetontriperoxids (TATP) am S-Bahnhof Neukölln scheinen sich die Hinweise zu verdichten, die gegen einen terroristischen Hintergrund sprechen. Angaben aus Sicherheitskreisen auch gegenüber unserer Redaktion deuten derzeit eher auf Automatensprenger. Der Name des Tatverdächtigen, der zwischen 1,85 und 1,90 Meter groß ist und einen Kinnbart trägt, ist der Polizei mittlerweile bekannt. Er ist weiter auf der Flucht, soll keinen festen Wohnsitz in Berlin haben. Derartige „reisende Kriminelle“ erschweren oftmals Fahndungen der Sicherheitsbehörden.
Eine Verbindung, die eher zu kriminellen Machenschaften der Automatensprengung führt, könnten Beamte etwa auch daraus schließen, dass der Täter möglicherweise mit diesen Delikten in der Vergangenheit polizeilich aufgefallen ist. Bestätigt ist das bisher offiziell nicht, Details zu den Hintergründen des Tatverdächtigen sind bisher wenige bekannt. Laut der Berliner Polizei kam es im vergangenen Jahr zu 24 Geldautomatensprengungen in der Hauptstadt, in elf Fällen wurde Geld entwendet. Im laufenden Jahr 2024 waren es bereits mindestens 28 Sprengungen.
Nach Informationen der „B.Z“ fahndet die Polizei mittlerweile nicht nur nach dem Mann, in dessen Tasche der Sprengstoff am Mittwochabend gefunden wurde, sondern auch nach einer weiteren männlichen Person, die ihr namentlich bekannt sein soll. Nach Informationen unserer Redaktion soll es sich dabei derzeit nicht um einen Tatverdächtigen handeln, sondern um eine mögliche Kontaktperson des mutmaßlichen Täters. Auch dazu äußern sich die Behörden bisher nicht offiziell. Laut „Bild“ und „Tagesspiegel“ soll der zweite Mann am Mittwochnachmittag ebenfalls am S-Bahnhof Neukölln gewesen sein und den 30 bis 35 Jahre alten Verdächtigen begleitet haben.
Auf Nachfrage bestätigte das die Staatsanwaltschaft zunächst nicht. „Es gibt keine neuen Erkenntnisse“, so Sprecher Sebastian Büchner am Freitagmorgen. Nach wie vor werde in alle Richtungen ermittelt, es gebe mehrere mögliche Hintergründe des Bombenfunds. Laut Experten wurde TATP, genannt „die Mutter des Teufels“, in der Vergangenheit bereits für Terroranschläge verwendet.
Das lange Kabel, das in dem Beutel um die Flasche gewickelt war, könnte aber das Werk eines Automatensprengers sein. „Zünder mit Kabel sind sehr untypisch für terroristische Anschläge“, sagt ein Kriminalbeamter. Dort nutzen die politisch motivierten Täter meist Fernzünder oder zünden den Sprengstoff bei Selbstmordattentaten direkt am Körper. TATP gilt hingegen als schwer handelbar, kaum kontrollierbar und hochexplosiv. Zudem sind der Herstellungsaufwand und das eigene Risiko dabei relativ hoch.
Sprengstoff-Fund in Berlin: Mehrere Mittäter sind wahrscheinlich
Auch die Berliner Gewerkschaft der Polizei GdP tendiert in diese Richtung, ohne aber volle Entwarnung geben zu wollen. „Die Kollegen arbeiten auf Hochtouren, um diesen mysteriösen Fall aufzuklären“, sagt GdP-Sprecher Benjamin Jendro. „Für einen geplanten terroristischen Anschlag gibt es nach unseren Informationen bisher keine Erkenntnisse.“ TATP eigne sich auch nur bedingt dafür, weil es schwer kontrollierbar sei, als Initialsprengstoff könne man mit ihm aber auch in anderen Bereichen durchaus für Schaden sorgen. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass der Gesuchte sowie potenzielle Mittäter zeitnah identifiziert und ausfindig gemacht werden“, erklärt Jendro. „Bei dem, was vor Ort gefunden wurde, liegt es nah, dass hier keiner allein etwas durchziehen wollte, sondern noch andere involviert sind.“
Der Sprengstoff war am Mittwochnachmittag am S-Bahnhof Neukölln sichergestellt worden, als Bundespolizisten den Mann „anlasslos“ kontrollieren wollten. Die Streife habe versucht, den Mann festzuhalten und ergriff dabei einen Stoffbeutel, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft. Der Mann konnte sich demnach aber lösen, ließ die Tasche fallen und flüchtete über die Gleise.
Ermittlungen dauern weiter an
In dem Beutel habe sich unter anderem „ein mit Klebeband umwickeltes Päckchen“ befunden, hieß es, außerdem eine Plastikflasche, umwickelt mit rot-weißem Draht und schwarzem Panzerband sowie weitere Drähte. Dies sei als Sprengstoff identifiziert worden. Der Sprengstoff wurde nach Polizeiangaben später in der nahe gelegenen Thomashöhe vom Entschärfungsdienst der Bundespolizei gesprengt. Augenzeugenberichten zufolge soll die Explosion noch hunderte Meter weit zu hören gewesen sein. Es scheint reines Glück gewesen zu sein, dass es beim Fallenlassen des Beutels am Bahnhof nicht sofort zu einer verheerenden Explosion gekommen ist.
Nach dpa-Informationen hat der Mann bei seiner Flucht einen Ausweis verloren. Dieser soll aber nicht ihm selbst gehört haben, sondern das Dokument soll auf einen anderen Mann ausgestellt worden sein – laut „B.Z.“ auf einen 30-jährigen Polen. Der Ausweis soll nach dem Bericht seit Januar 2022 als gestohlen oder unterschlagen gemeldet sein. Ein erster Abgleich der Polizei mit Aufnahmen aus Überwachungsvideos soll ergeben haben, dass es sich bei dem Flüchtigen nicht um den Ausweisbesitzer handelt, schreibt das Blatt.
Die Hintergründe des Vorfalls sind unklar, die Polizei wertet noch Aufnahmen aus den Überwachungskameras am S-Bahnhof aus, auch mithilfe von Super Recognizern. Am Freitagabend wurde zudem der Ringbahnverkehr im Bereich Neukölln zwischen Treptower Park, Baumschulenweg und Hermannstraße unterbrochen, die Polizei untersuchte hier Bahngleise. Es gehe darum, mögliche Beweise zu sichern, sagte eine Polizeisprecherin. Weitere Angaben hierzu machte sie nicht. Auch nicht, warum erst zwei Tage dem Vorfall mit dieser Maßnahme begonnen wurde.