Rom. Smartphones & Euro statt Lira – Ein Mann hat nach einem Unfall Jahrzehnte verloren. Wie er sich nun neu im Alltag zurechtfindet.
Sein Fall macht in Italien Schlagzeilen und beschäftigt Psychiater und Neurologen: Dem 68-jährigen Römer Luciano D‘Adamo fehlt nach einem Verkehrsunfall die Erinnerung an 39 Jahre seines Lebens. 2019 wurde er von einem Auto im römischen Viertel Monte Mario angefahren. Der Fahrer flüchtete, D´Adamo lag mehrere Monate lang im Koma.
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Als er erwachte, war er überzeugt, dass er im Jahr 1980 lebe, 24 Jahre alt sei und noch bei seinen Eltern wohne. Weder seine Frau noch seinen 35-jährigen Sohn erkannte er wieder. Als er zum ersten Mal sein Spiegelbild sah – einen Mann mit weißen Haaren –, habe er aufgeschrien, erzählte D´Adamo der römischen Tageszeitung „Il Messaggero“.
Fast vier Jahrzehnte gelöscht – „Das war für mich vollkommen verwirrend“
Mithilfe von Ärzten und Psychologen arbeitet der Römer daran, sich in seiner Umgebung wieder zurechtzufinden. Das ist nicht einfach. „Ich erinnere mich noch an mein Staunen, als ich in einem Auto fuhr, das mir auf einem Bildschirm den Stadtplan Roms zeigte, während eine Stimme sagte: ‚In 100 Metern rechts abbiegen.‘ Das war für mich vollkommen verwirrend“, so Luciano D‘adamo.
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Als sein Sohn ihm Fotos im Smartphone gezeigt habe, konnte der Römer nicht glauben, dass sie in einem Telefon aufbewahrt waren. „Ich fragte ihn, wie viel es ihn gekostet habe, so viele Fotos aufzunehmen“, erzählte der Mann. Auch dass man mit Euro statt mit den alten Lire aus den 1980er-Jahren zahle, den 9/11-Terroranschlag und dass die italienische Fußball-Nationalmannschaft inzwischen zweimal die WM gewonnen hatte, musste Luciano erst verarbeiten.
Was mit seinem Gehirn bei dem Autounfall passiert ist, ist nicht ganz klar. Fest steht, dass sein Gedächtnis fast vier Jahrzehnte gelöscht hat. Beim Aufwachen im Krankenhaus bat Luciano die Krankenpflegerin, seine Mutter anzurufen. Als seine Frau das Zimmer betrat, war er total überrascht, dass ihn eine Fremde mit seinem Namen ansprach. Er konnte sich lediglich an seine 19-jährige Verlobte erinnern, die er heiraten wollte. Die Verlobte ist jetzt, Jahrzehnte später, die Frau an seiner Seite. Mithilfe von Psychologen bauen die beiden ihre Beziehung wieder auf.
Neuanfang nach Amnesie: D‘Adamos Weg zurück in den Alltag
Ein medizinisches Team hilft Luciano auch dabei, im Alltag wieder Fuß zu fassen. Inzwischen ist er Großvater geworden. „Zum Glück kann ich mich an die Geburt meines Enkelkindes erinnern. Ansonsten ist es nicht immer leicht“, erzählt der Römer. Ab und zu treffe er jemanden, der ihn grüße. „Es ist sicher ein alter Freund, aber ich weiß nicht, wer es ist. Aus Höflichkeit tue ich so, als würde ich ihn erkennen und erwidere den Gruß.“
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Luciano hat sich damit abfinden müssen, dass er die Erinnerung an fast sein ganzes Erwachsenenleben verloren hat und sie nie mehr zurückbekommen wird. Er hat akzeptiert, dass er kein junger Mann mehr ist. Mit viel Kraft hat er Schritt für Schritt gelernt, in einer völlig neuen Welt zu leben. Jahrelang arbeitete er als Mitarbeiter des römischen Flughafens Fiumicino, wegen seiner Amnesie ist er jetzt als Hausmeister in einer Schule im Einsatz. Für den Unfall hat Luciano nie eine Entschädigung erhalten. Der Fahrer, der ihn angefahren hat, wurde nie gefunden.