Berlin. Immer jünger, immer brutaler: In Marseilles Drogenszene wüten zunehmend minderjährige Gewalttäter. Die Polizei versucht, durchzugreifen.

Alles begann damit, dass ein inhaftiertes Mitglied der Drogengang DZ Mafia über die chiffrierte Handyapp Telegram einen jungen Handlanger verpflichtete. Dieser 15-Jährige, bisher unbekannt im Milieu, sollte für 2000 Euro Gage ein paar Schüsse auf einen gegnerischen Umschlagplatz abgeben, um die Bande New Blacks einzuschüchtern. Der unerfahrene Amateur wurde jedoch von der befeindeten Gang erwischt. Sie verletzten den Jungen mit 50 Messerstichen und steckten ihn noch lebend in Brand – offensichtlich eine Botschaft an die Gegenseite.

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Der Auftraggeber heuerte darauf aus dem Knast einen Killer an, der den grausamen Mord rächen sollte. Für 50.000 Euro fand er einen gerade mal 14-jährigen Mittelschüler, der dann per Mietwagen samt Fahrer zum „Einsatzort“ gebracht werden sollte. Der Chauffeur, ein unbescholtener Familienvater, weigerte sich jedoch, bis zu dem stadtbekannten Dealer-Ort zu fahren. Der 14-Jährige drohte daraufhin mit einer Pistole und hielt sie dem Mann an den Kopf. Ein Schuss löste sich, der Fahrer war auf der Stelle tot. Der Schütze flüchtete mit einem Komplizen, wurde aber bald darauf verhaftet.

Frankreich erschüttert: Wie konnte der Auftraggeber seine Anweisungen übermitteln?

Die Franzosen fragen sich zum einen, wie es möglich sein konnte, dass ein Schwerkrimineller seine Geschäfte aus dem Gefängnis – sogar aus der Isolierhaft – betreiben kann. Die Antwort ist wenig erfreulich: In einem am Dienstag erschienenen Enthüllungsbuch namens „Tueurs à gages“ (Auftragskiller) bezeichnen es die Autoren (drei Polizeiberichterstatter) als völlig alltäglich, dass verhaftete Drogenbosse aus ihrer Zelle per Handy weiter ihr Business abwickeln.

Landesweite Bestürzung herrscht aber vor allem wegen des niedrigen Alters der ausführenden Täter. Auf dem Radiosender RMC erinnerte sich ein Gefängniswächter, er sei dem festgenommenen 14-Jährigen schon vor Monaten einmal zufällig begegnet: „Als er im Gefängnis ankam, war er völlig aufgeschmissen, mit einem ängstlichen Blick, schmächtig – ein kleiner Junge halt.“ Seine Eltern seien als Dealer bekannt, er selbst werde seit dem neunten Jahr von den Sozialdiensten betreut. „Doch die einzige Bildung, die sie erhalten, ist die der Straße“, erzählte der Gefängniswächter. „Sie töten, ohne sich auch nur im Klaren zu sein, dass sie wirklich töten.“

Drogengangs verpflichten „Mitglieder“ schon in jungen Jahren

Sozialarbeiter berichten, dass die Drogengangs Minderjährige bisher meist auf Beobachterposten einsetzten, weil damit keine „schwierige“ Arbeit verbunden ist. Mehr und mehr kämen sie jetzt aber bei gefährlichen Einzelmissionen zum Einsatz. Denn: Dabei warte auf einen 14- oder 15-Jährige in der Regel ein tieferes Strafmaß.

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Der Vizepräfekt des Departementes Bouches-du-Rhône mit Marseille als Hauptort, Yannis Bouzar, schätzt das Alter dieser Hilfskräfte auf 11 bis 14 Jahre. Die Polizeidienste besuchen seit einiger Zeit die Mittelschulen von Marseille-Nord, um den Schülern die Augen zu öffnen. Sie erzählen ihnen, es beginne meist damit, dass einem ein Unbekannter einen Hamburger oder ein neues Paar Turnschuhe offeriere. 

Südfrankreich wird immer mehr zum Drogen-Umschlagplatz

Die Polizei bleibt nach eigenen Angaben aber nicht untätig. Allein in Marseille würden täglich rund zehn Dealerspots geräumt. Im vergangenen Frühling lancierte die Regierung in der südfranzösischen Metropole eine Operation mit 4000 Gendarmen und Polizeikräften. 120 Dealer wurden in drei Tagen verhaftet, Tonnen von Drogen beschlagnahmt. Präsident Emmanuel Macron erklärte, es sei das „Ziel, den Händlern und ihrer Begleitwirtschaft das Leben unmöglich zu machen“. Vorläufig tun sie das die Dealer selbst: Im vergangenen Jahr kam es in der Marseiller Drogenszene zu 49 Milieumorden.

Auch spannend: Vergewaltiger von Avignon zeigte seine Methode einem Nachahmer

Die mediterrane Hafenstadt war mit ihrer Nähe zu Produzentenländern wie Marokko schon immer ein Umschlagplatz für Drogen. Die französische Atlantikküste wird aber zudem immer mehr zu einer Anlaufstelle für die Kokain-Connection aus Südamerika.