Rom. Seit Monaten kommt es am Supervulkan immer wieder zu Erdbeben. Ein führender Vulkanologe verrät, wie die Lage bei Neapel wirklich ist.

Der Supervulkan bei Neapel fasziniert Forscher – und versetzt die Menschen, die in seiner Nähe leben in Angst. Erdbeben scheinen in dem Gebiet inzwischen an der Tagesordnung, zuletzt trieb ein Beben der Stärke 3,6 die Menschen am Donnerstagmorgen aus ihren Häusern. Die Erdkruste über dem Vulkanriesen wird immer schwächer, die magmatischen Bewegungen unter der Erde haben seit dem vergangenen Jahr stark zugenommen.

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Kaum einer kennt die Geheimnisse von Italiens Vulkanen so gut wie er: Mauro Antonio Di Vito, Direktor des Vesuv-Observatoriums am Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV) in Rom beobachtet seit vier Jahrzehnten die kleinsten Regungen der Phlegräischen Felder. Im Interview erklärt er, für wie wahrscheinlich er eine Evakuierung hält.

Herr Di Vito, die Erde im Gebiet der „Phlegräischen Felder“ bebt weiter, die Bevölkerung hat Angst. Ist in nächster Zeit mit weiteren größeren Erdstößen zu rechnen?

Mauro Di Vito: Die Erde bebt und wird es voraussichtlich weiter tun. Allein im Zeitraum zwischen dem 8. und dem 14. Juli haben wir 68 Erschütterungen verzeichnet. Dabei lag das Epizentrum auf einer Tiefe von circa drei Kilometern, also ziemlich an der Oberfläche. Wir rechnen damit, dass es auch in den kommenden Monaten zu weiteren Erschütterungen kommen wird. Seit 2021 verzeichnen wir eine Zunahme der Erdbebentätigkeit, die mit Bodendeformation einhergeht. Die monatliche Hebungsrate betrug zuletzt 15 Millimeter. Immer wieder ereignen sich Schwarmbeben.

Supervulkan bei Neapel: So wird er überwacht

Sie selbst sind als Direktor des Observatoriums an der Überwachung des Supervulkans beteiligt. Wie funktioniert das?

Di Vito: Wir haben ein Netz aus 35 Stationen aufgebaut, die das Areal rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr beobachten. Mit einem dichten GPS-System wird jede kleinste Regung des Bodens, sowie der Gas-Emissionen registriert. Damit können wir mehrere Parameter unter Kontrolle halten. Wir verfügen auch über vier Messstationen unter der Wasseroberfläche, denn ein Drittel der Fläche des Supervulkans befindet sich im Meer.

National Institute of Geophysics and Volcanology
Mauro Antonio Di Vito ist Direktor des Vesuv-Observatoriums am Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV) in Rom. Einer seiner Schwerpunkte ist der Supervulkan. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Fabio Sasso

Wie handelt das Observatorium, wenn Gefahr droht?

Di Vito: 110 Personen sind bei uns im Einsatz, unsere Zentrale ist stets besetzt. Wir beobachten die Messgeräte rund um die Uhr. Im Fall von Gefahr wird sofort der Katastrophenschutz alarmiert, der sich mit Maßnahmen für die Bevölkerung einschaltet.

NameCampi Flegrei (Phlegräische Felder)
LageWestlich von Neapel, Italien
TypSupervulkanische Caldera
Bedeutende EruptionenCampanian Ignimbrite (vor 39.000 Jahren), Neapolitan Yellow Tuff (vor 15.000 Jahren)
Größe 13 km breit
Historische BedeutungZwei massive Eruptionen führten zum Kollaps der Caldera

Die Einheimischen sind nach der Serie von Erdbeben verängstigt, doch an einer Evakuierungssimulation in Pozzuoli im Juni haben sich nur wenige Personen beteiligt. Warum?

Di Vito: Viele Menschen verdrängen einfach den Gedanken an eine akute Gefahr. Dieses Gebiet ist derart schön, niemand will seine Heimat verlassen. Wir sind jedenfalls ständig mit den Bürgermeistern der Gegend in Kontakt und informieren die Bevölkerung regelmäßig über die Entwicklungen. Zuletzt haben sich auch Psychologen an den Treffen mit den Einheimischen beteiligt. Ich finde, die Einwohner sollten noch viel stärker in all das eingebunden werden, was der Zivilschutz plant.

Erdbeben: In diesem Fall wäre eine Massenevakuierung nötig

Gerade in Pozzuoli westlich von Neapel machen sich viele Menschen Sorgen wegen der ständigen Erdbeben. Es gibt Berichte von Schlafstörungen – einige ziehen sogar weg.

Di Vito: Ich habe gehört, dass einige Familien die Gegend verlassen haben und nördlich von Neapel hingezogen sind, weil sie mit den Beben nicht mehr leben wollen. Das sind aber nur einzelne Fälle.

A detail of the fumaroles in the Pisciarelli area located
Die Pisciarelli-Fumarole bei Neapel sind eine der Stellen, an der der Supervulkan auch über der Erde zu spüren ist: Hier steigt Schwefel-Dampf aus dem Boden auf. © KONTROLAB/LightRocket via Getty Images | KONTROLAB

Der aktuelle Notstandsplan sieht im dramatischsten Fall – dem Fall eines Vulkanausbruchs – die Evakuierung hunderttausender Menschen in Regionen vor, die von Neapel weit entfernt sind, unter anderem in Norditalien. Ist das realisierbar?

Di Vito: Bei einem Vulkanausbruch könnte die Bevölkerung für lange Zeit nicht mehr in die Heimat zurückkehren. Daher wäre es wichtig, dass die Evakuierung in Gebiete mit Krankenhäusern, Schulen und Arbeitsmöglichkeiten erfolgt – ein Aspekt, der unbedingt berücksichtigt werden muss.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Bevölkerung in naher Zukunft zu einer Massenevakuierung gezwungen werden könnte?

Di Vito: Zwischen 1982 und 1984 gab es zwei Phasen, in denen sich die Küste um 1,8 Meter hob und senkte. Mehr als 10.000 leichte Erdbeben fanden in diesen Phasen statt. Zahlreiche Gebäude der Altstadt von Pozzuoli wurden stark beschädigt, 20.000 Personen wurden evakuiert. Sollte sich die Situation zuspitzen, könnte die Evakuierung eine Notwendigkeit werden.

Experte: „Italiener gelten als beste Vulkanologen der Welt“

Nicht nur die Phlegräischen Felder machen Italien derzeit zu schaffen. Auch die Vulkane Stromboli und Ätna rumoren wieder. Hängen diese Phänomene eigentlich zusammen?

Di Vito: Nein, es besteht keine Verbindung. Ätna, Stromboli und die Phlegräischen Felder sind unabhängige und weit voneinander liegende Systeme, die nichts miteinander zu tun haben.

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Einen Vorteil hat Italien: Es besteht eine große Vulkanologen-Gemeinschaft. Woher die Faszination für Vulkane?

Di Vito: Vulkane sind reine Energie, sie sind eines der faszinierendsten Naturschauspiele der Welt, wenn sie ausbrechen. Wer sich mit Vulkanen befasst, hat die Möglichkeit, die geologische Geschichte aus nächster Nähe zu erkunden, direkt von einem lebendigen Gebiet zu lernen und nicht nur aus Büchern. Hier in Neapel erlebt man vulkanische Gebiete auf der eigenen Haut. Kein Wunder, dass Italiener als die besten Vulkanologen der Welt gelten.