Döbeln/Berlin. Im Fall der getöteten Valeriia hat es in Tschechien eine Festnahme gegeben. Unterdessen meldet sich der Vater des Mädchens zu Wort.
- Die vermisste Valeriia aus der Ukraine ist tot
- In Prag kommt es zur Festnahme eines dringend tatverdächtigen Mannes
- Die Staatsanwaltschaft Chemnitz pocht auf Auslieferung des 36-Jährigen
Im „Fall Valeriia“ rätseln die Ermittler über die Hintergründe des Verbrechens und damit über die Motive des Mörders. Aufschluss erhoffen sie sich von der Vernehmung eines Verdächtigen, der in Prag gefasst wurde. Sie warten auf die Auslieferung des Mannes.
Rückblick: Das neun Jahre alte Kind macht sich wie jeden Morgen auf den Weg zur Schule – dort kommt es nie an. Nach über einer Woche banger Suche entdeckte die Polizei am Dienstag in einem Waldstück eine Leiche. Es ist der Albtraum aller Eltern, der im sächsischen Döbeln Wirklichkeit wurde: „Leider ist Valeriia gewaltsam zu Tode gekommen“, bestätigten die Ermittler in Chemnitz.
Täter aus dem sozialen Umfeld der Mutter?
Die Fahnder hatten sich zuletzt auf das soziale Umfeld des Mädchens konzentriert. Laut „Bild“ handelt es sich beim Tatverdächtigen um den Ex-Freund von Valeriias Mutter. Er soll sie das Mädchen kontaktiert haben, bevor es verschwand. Er soll auch von der Überwachungskamera eines Nachbarhauses gefilmt worden sein.
Der 36-jährige Moldawier wurde in einem Restaurant in Tschechiens Hauptstadt gefasst. Er ist dringend tatverdächtig und war mit einem europäischen Haftbefehl gesucht worden. Am 3. Juni war Valeriia verschwunden. Hunderte Einsatzkräfte hatten eine gute Woche lang nach ihr gesucht, bis sie am Dienstag im Unterholz eines Waldes südlich von Döbeln ihre Leiche fanden.
Der Fall des ukrainischstämmigen Mädchens treibt selbst den erfahrenen Beamten Furchen ins Gesicht, lässt sie oft innehalten: „Der Verlust eines Kindes zerreißt einem das Herz“, sagte der Chemnitzer Polizeipräsident Carsten Kaempf. Die Mordkommission ermittelt. Hinweise auf ein Sexualdelikt gebe es nicht, wie Oberstaatsanwältin Ingrid Burghart mitteilte.
Vater will Valeriia mit in die Ukraine nehmen
Der Vater von Valeriia würde seine Tochter gerne in der Ukraine beerdigen. „Ich möchte meine Tochter mit nach Hause nehmen und sie dort begraben, in der Ukraine. Ich lasse sie hier nicht zurück“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Aktuell sei der Mann, der nach dem Verschwinden seiner Tochter vom Kriegsdienst freigestellt wurde, auf dem Weg nach Döbeln, will dort auch mit der Polizei sprechen. „Ich glaube daran, dass Valeriia an einem besseren Ort ist. Ich muss es glauben“, zitiert ihn die „BIld“-Zeitung weiter.
Medienbericht: Zweiter Verdächtiger hat Alibi
Im Visier der Behörden standen zwischenzeitlich zwei Männer. Neben dem nun in Tschechien gefassten 36-Jährigen, war die Polizei auf der Suche nach einem zweiten Mann, offenbar ein Ukrainer. Wie die „Bild“-Zeitung berichtete, soll der sich aber zum Tatzeitpunkt in Istanbul aufgehalten haben: für eine zahnärztliche Behandlung.
Entsprechende Ein- und Ausreisestempel seien bei dem Mann im Reisepass zu finden. Die Polizei erreichte ihn demnach erst, als er gerade vom Flughafen gekommen sei.
Zeugin hörte Hilferufe
Der Fundort der Leiche liegt laut Polizei nur etwa vier Kilometer vom Haus der Mutter entfernt, abseits jeglicher Wege in unwegsamem Gelände, wie die Leiterin der Kriminalpolizeiinspektion Chemnitz, Mandy Kürschner, mitteilte.
Dass das Mädchen in diesem Dickicht überhaupt gefunden werden konnte, sei auch einem Hinweis aus der Bevölkerung zu verdanken: Eine Zeugin habe sich am 5. Juni bei der Polizei gemeldet und ausgesagt, dass sie am Tag des Verschwindens des Kindes Hilferufe im Bereich eines Waldstücks gehört habe.
„Der Hinweis wurde aufgenommen, konnte aber nicht näher verifiziert werden“, erklärte Kürschner. Vernehmungen im familiären Umfeld Valeriias hätten die Beamten jedoch schließlich dazu veranlasst, mit mehr als 300 Kräften das Gebiet zu untersuchen, in dem sie letztlich gefunden wurde. Zwischen dem Bereich, den die Zeugin genannt hatte, und dem Fundort der Leiche lägen jedoch rund zwei Kilometer. „Ohne die Suchmaßnahmen hätten wir Valeriia bis heute nicht gefunden“, so Kürschner weiter.
Suche nach Valeriia: Polizei ermittelte in alle Richtungen
Die Polizei geht davon aus, dass Valeriia an dem Morgen nicht in den Bus gestiegen ist, mit dem sie sonst zur Schule fuhr. Als ihre Tochter am Nachmittag nicht zurückkehrte, suchte die Mutter Berichten zufolge zunächst selbst nach der Neunjährigen, bevor sie gegen 18.30 Uhr die Polizei alarmierte. Ein erster Großeinsatz mit Helikoptern und Spürhunden blieb ohne Erfolg. „Wir schließen nichts aus“, lautete von Beginn an die Devise der Ermittler.
„Wir haben noch in der Nacht eine Öffentlichkeitsfahndung eingeleitet“, hieß es von Seiten der Ermittler. In den folgenden Tagen werteten die Behörden Hunderte Hinweise aus der Bevölkerung aus. Anwohner wurden gebeten, ihre Grundstücke nach Valeriia abzusuchen. Die Wasserschutzpolizei überprüfte mithilfe von Tauchern Flüsse, Drohnen suchten das Gebiet um ihren Wohnort aus der Luft ab. Personen aus Valeriias Umfeld, darunter auch ihre Mutter, wurden vernommen.
Die Suche ging bald schon weit über Döbeln hinaus: Laut Polizeiangaben arbeiteten die Ermittler auch mit den Strafverfolgungsbehörden in der Ukraine, Polen und Tschechien zusammen. Zeitweise nahm man sogar an, dass sich Valeriia nicht mehr in Deutschland aufhalte.
Verletzung der Aufsichtspflicht? Schule muss sich Untersuchung stellen
Unklar ist unter anderem, warum Valeriias Mutter von der Schule nicht über das Fehlen ihrer Tochter informiert wurde. Im Sinne der Aufsichtspflicht überprüfen Lehrkräfte in der ersten Stunde normalerweise, ob alle Schülerinnen und Schüler anwesend sind. Ist das nicht der Fall, werden die Eltern kontaktiert. Falls diese nicht zu erreichen sind, kann die Schulleitung die Polizei alarmieren.
Obwohl Valeriia unentschuldigt fehlte, hätte die Mutter jedoch keinen Anruf erhalten, wie zunächst „Bild“ berichtete. Ein Sprecher des Landesamts für Schule und Bildung bestätigte am Mittwoch gegenüber der Zeitung, „dass es keine Meldung seitens der Schule gegeben hat“. Die Staatsanwaltschaft hat ein Prüfverfahren wegen Verletzung der Führsorge- und Aufsichtspflicht eingeleitet. Die Schulaufsichtsbehörde gehe dem Fall nach.
Valeriias Vater äußerte sich in einem Video
Valeriia flüchtete erst 2022 mit ihrer Mutter und Großmutter vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland. Die Eltern sind geschieden. Valeriias Vater Roman G. dient nach eigenen Angaben an der Front in der Ukraine. In einem Video, das die „Bild“-Zeitung von dem 32-Jährigen veröffentlichte, hatte er gesagt: „Ich richte mein Wort an diejenigen, die an ihrem Verschwinden beteiligt sind: Finden Sie in sich den Mut, uns Eltern unser geliebtes Kind zurückzugeben.“
Seine Aussagen erweckten den Eindruck, als würde er eine Entführung nahelegen. Eine Entführung erwog auch die Polizei, allerdings als „eine Hypothese von vielen“, wie Kriminaldirektorin Kürschner erklärte. Routinemäßig seien etwa besonders rückfallgefährdete Sexualstraftäter überprüft worden. Auch einen Unfall schloss die Polizei zunächst nicht aus, während die Ermittler sich jetzt auf das Umfeld der Familie konzentrieren.
Im Video hatte Valeriias Vater außerdem gesagt, er hoffe seine Tochter „bald in den Arm nehmen zu können.“ Man sei mit ihm in Konakt, hieß es. Auch die Mutter werde psychologisch betreut. Polizeipräsident Kaempf bedankte sich bei der Bevölkerung und den Einsatzkräften für ihre Unterstützung. „Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um die Tat aufzuklären und den Täter zu ermitteln“, so Kaempf weiter. „Das sind wir Valeria und ihrer Familie schuldig.“
Die Entwicklungen im Vermisstenfall Valeriia können Sie hier nachlesen.