Washington. Der ehemalige US-Football-Star O. J. Simpson ist im Alter von 76 Jahren gestorben. Das gab seine Familie offiziell bekannt.
Er war in Amerika so bekannt wie Bill Clinton und Michael Jackson und so beliebt wie hierzulande Franz Beckenbauer und Gerd Müller zusammen. O. J. Simpson, der ehemalige US-Football-Star und sagenumwobene Straftäter, ist tot. Er starb am Mittwoch im Alter von 76 Jahren nach langem Krebsleiden, wie seine Familie mitteilen ließ.
Simpson war 2008 wegen eines bizarren Raubüberfalls und einer Entführung in Las Vegas zu bis zu 33 Jahren Haft verurteilt worden. Der Mann, den viele Amerikaner wegen seiner Antrittsschnelligkeit „The Juice” (der Saft) nannten, hatte gemeinsam mit Komplizen zwei Trophäenhändler überfallen. Seine Begründung: Sie waren im Besitz von Football-Andenken, Erinnerungsstücken und privaten Fotos, von denen Simpson behauptete, sie seien ihm gestohlen worden.
Mord an Nicole Brown Simpson: Unerreichtes Katz-und-Maus-Spiel
Für seine Tat wanderte der Afroamerikaner ins Lovelock Correctional Center des Bundesstaates Nevada. Dort genoss der durch regelmäßiges Training physisch stark gebliebene Ex-Spitzensportler einen Promi-Status sondergleichen, der auf einen noch spektakuläreren Fall zurückging, der Mitte der 90er Jahre weltweit Mediengeschichte schreiben sollte.
Als die Polizei im Sommer 1994 im noblen Brentwood, einem Villenvorort von Los Angeles, nach dem Mord an seiner Ex-Frau Nicole Brown Simpson (35) und deren Liebhaber Ronald Goldman (26) aufkreuzte, um den dringend tatverdächtigen Simpson abzuholen, lieferte das damalige Football-Idol den Fahndern ein bis heute unerreichtes Katz-und-Maus-Spiel.
O. J. Simpsons Verfolgungsjagd live im TV
Stundenlang kurvte der damals 46-Jährige in einem auffälligen weißen Ford Bronco durch Los Angeles, im Schlepptau eine Kolonne von Polizeiwagen. Raubvögeln ähnlich kreisten Hubschrauber verschiedener Fernsehstationen über dem Highway 5 und lieferten die Sensation in die amerikanischen Wohnzimmer. Kein Mensch scherte sich um das gleichzeitig stattfindende Eröffnungsmatch der Fußball-Weltmeisterschaft. Sogar der TV-Riese NBC unterbrach sein Programm. Und das hieß „New York Knicks gegen Houston Rockets”, NBA-Finalspiel fünf im US-Basketball.
„Das war das meistgesehene TV-Ereignis aller Zeiten”, schwärmte der damalige CNN-Boss Ted Turner über „The Chase” (Die Jagd). Weil sich jeder große TV-Sender in die Verfolgungsjagd einklinkte, gab es keine gesicherten Einschaltquoten; die geschätzte Reichweite lag bei 75 Prozent.
Nach zehn Stunden ergab sich der frühere Running Back der Buffalo Bills, der nach seiner Football-Karriere (1979) Star-Interviewer im Fernsehen, Hollywood-Schauspieler („Die nackte Kanone”) und millionenschwere Werbe-Ikone („Mister Hertz”) wurde, im Vorgarten seiner Villa.
O.J. Simpson-Prozess: Zahlreiche Indizien wurden legten Täterschaft nahe
Der folgende Indizien-Prozess hielt die USA monatelang in Atem. Erstmals waren TV-Kameras im Gerichtssaal zugelassen. Insgesamt gab es zwischen dem 24. Januar und dem 3. Oktober 1995 134 Verhandlungstage. Der Prozess war das gesellschaftliche Gesprächsthema Nummer eins. Sogar der russische Präsident Boris Jelzin soll 1995 den amerikanischen Staatschef Bill Clinton gefragt haben: „Denken Sie, dass O. J. es getan hat?”
Schnell wurde der Fall Simpson zum Gradmesser für Rassismus und Voreingenommenheit der Justiz. Sollte hier etwa ein Nationalheld in Verruf gebracht werden? Hintergrund: Drei Jahre zuvor hatten Polizisten in Los Angeles den Afroamerikaner Rodney King vor laufender Kamera misshandelt.
Für die Staatsanwaltschaft um die wackere Vermittlerin Marcia Clark stellte sich ein unüberwindbares Problem: Es gab keine Augenzeugen, keine Tatwaffe, nur massenweise Indizien. Aber auch die reichten nicht.
Simpson veröffentlichte nach Freispruch Skandal-Buch
Legendär die Szene mit denen Handschuhen, die am Tatort neben der Leiche Goldmans gefunden wurden – und die im Prozess am 15. Juni 1995 die Wende brachten: Staatsanwalt Christopher Darden (67) forderte den Angeklagten auf, die Fäustlinge anzuziehen. Ein fataler Fehler. O. J. Simpson kam nicht rein! Zu eng! Star-Anwalt Johnnie Cochran reimte triumphierend im Plädoyer: „If it doesn‘t fit, you must acquit.” Übersetzt: Wenn sie (die Handschuhe) nicht passen, müssen sie ihn freisprechen!
Als der Prozess in der Tat mit einem spektakulären Freispruch endete, jubelte das schwarze Amerika, während viele Weiße die Faust in der Tasche ballten.
Denn Simpson nährte immer wieder den Verdacht, dass er doch schuldig war. In seinem Skandalbuch „If I Did It“ (Wenn ich es getan hätte) schildert er später das bestialische Verbrechen so, als sei er damals der Mörder gewesen. Zu dieser Zeit war bekannt, dass Simpson bis zur Scheidung 1992 seine Ehefrau regelmäßig verprügelt hatte und ständig vor Eifersucht platzte.
Doch bei dem Freispruch für den Doppelmord blieb es nicht. Simpson wurde in einem späteren Zivilverfahren für den Tod seiner Frau und deren Liebhaber zu einer Entschädigungszahlung von 33,5 Millionen Dollar verurteilt. Das entspricht einem heutigen Wert von 31,3 Millionen Euro.
O.J.-Fans bis heute von Unschuld überzeugt
Die Koketterie mit dem grausamen Doppelmord, der Fahnder am Tatort zusammenbrechen ließ, hatte sich Simpson während der Haft in Nevada abtrainiert. Er wurde gläubig, arbeitete als Trainer und machte einen Computerkurs. „Ich bin wohl der vorbildlichste Häftling, den sie je hatten“, sagte Simpson damals mit seinem Markenzeichen: einem schelmisch breiten Lächeln.
Simpsons Wirkung auf seine Außenwelt war immer magnetisch. Für viele Landsleute blieb er der „All American Guy”, ein Pfundskerl, den man sich als Taufpate seiner Tochter wünscht und dem man jederzeit einen Gebrauchtwagen abkaufen würde.
Selbst seine vorzeitige Entlassung – wegen guter Führung – aus dem Gefängnis im Jahr 2017 wurde live im Fernsehen übertragen und wurde abermals von Millionen verfolgt. In sozialen Netzwerken setzten sogar Jubelstürme ein. „O.J. endlich frei – wir lieben Dich!“.