Berlin. Ein Arzt muss in Haft, weil er einer depressiven Frau zum Tod verhalf. Der Fall zeigt, wie der Staat beim Thema Sterbehilfe versagt.

16 Jahre Depressionen. 16 Jahre Therapien, 16 Jahre Psychopharmaka. Man muss kein Arzt sein, keine Therapeutin, um zu dem Schluss zu kommen: Die 37-jährige Studentin hatte einen langen Leidensweg hinter sich, bevor ihr der Berliner Arzt Christoph T. eine Todesspritze anlegte, deren Inhalt sie sich selbst in die Vene schoss. Das Gericht befand nun: Die Studentin war aufgrund ihrer schweren psychischen Erkrankung nicht in der Lage, frei und unbeeinflusst ihren Willen zu äußern.

Ihr Arzt Christoph T., ein Allgemeinmediziner, hätte ihr die Spritze nicht verschaffen dürfen. Seine Hilfe war Totschlag, so das Urteil. Dem 76-Jährigen steht nun eine dreijährige Haftstrafe bevor. Ob das Gericht zu einem fairen Urteil gekommen ist, soll an dieser Stelle nicht geklärt werden. Klar ist aber: Die junge und körperlich gesunde Frau fand keine Heilung ihrer schweren seelischen Krankheit.

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Mehrere Suizidversuche hatte sie bereits hinter sich, als sie über Medienberichte an den pensionierten Arzt geriet. Mehr als 100 Menschen soll er beim Suizid assistiert haben. Zudem stand er bereits wegen unerlaubter Sterbehilfe vor Gericht, wurde aber freigesprochen, weil seine Patientin, die an einer chronischen Darmerkrankung litt, klar ihren Willen äußern konnte.

Suizid: Unterschiede bei körperlichen und seelischen Leiden

Dass sich psychisch kranke Menschen durch diese unterschiedliche Beurteilung ihrer Willensäußerungen diskriminiert fühlen, ist nachvollziehbar. Dahinter steckt auch gewissermaßen die Haltung: Wer körperlich leidet, darf sagen, „ich will nicht mehr“. Ist das seelische Leid, das auf eine psychiatrische Erkrankung folgt, unerträglich, dann gibt es keine legale Hilfe.

Birgitta Stauber ist Textchefin in der FUNKE Zentralredaktion.
Birgitta Stauber ist Textchefin in der FUNKE Zentralredaktion. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Die Folge: die Patienten unternehmen selbstständig den Suizid oder Suizidversuch – oder sie wenden sich an jemanden wie den 76-jährigen Arzt, der ohne psychiatrische Gutachten, ohne Befragung ihrer Angehörigen handelte und wenige Wochen nach dem ersten Gespräch ihr den Abzug der tödlichen Spritze in die Hand legte. Dabei zeigte die 37-Jährige durchaus immer mal wieder Lebensmut, doch diese Zeichen ignorierte er – und verließ sich auf sein Bauchgefühl.

Dass es überhaupt zu dieser Verurteilung kommen musste, legt offen, wie der Staat Menschen in Not im Stich lässt. Es gibt nur grobe Vorgaben für den assistierten Suizid, und auch die erst seit einem Grundsatzurteil aus dem Jahr 2020, das Menschen das Recht zuspricht, der eigenen Existenz ein Ende zu setzen. Doch genauere Kriterien, die der Gesetzgeber festzulegen hat, versanden seitdem im politischen Betrieb.

Ob es zu einer Aufklärung kommt, ist mehr oder weniger Zufall

Zwei Gesetzentwürfe aus dem vergangenen Jahr, denen eine mehr oder weniger ausgeprägte Beratungspflicht zugrunde liegt, scheiterten. Und damit die Chance, Menschen, die nicht mehr leben wollen, flächendeckend professionell über ihre Möglichkeiten zu informieren. Tatsächlich wiegt oft die Angst vor dem Sterben schwerer als die Angst vor dem Tod. Wer eine schlimme Diagnose bekommt, hat dann schnell den Gedanken, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden, bevor die Lebensqualität zu sehr durch die Krankheit in Mitleidenschaft gezogen wird.

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Palliativmediziner berichten, wie schnell Patienten durch Aufklärung von ihrem Suizidgedanken abkommen. Die richtige Schmerztherapie, die richtigen Gespräche mit Sterbebegleitern, die Hilfsmöglichkeiten im Alltag, die Arbeit der Hospize und Palliativstationen können wichtige Bausteine sein bei der Behandlung von schwer kranken Menschen. Sie müssen aber auch bekannt sein. Doch ob es zu einer systematischen Aufklärung kommt, ist mehr oder weniger Zufall.

Klar ist: Wer körperlich oder psychisch schwer erkrankt ist, braucht umfassende Unterstützung, die weit über die rein medizinische Behandlung hinaus geht. Das wird nicht jeden Suizid verhindern. Doch solange sich die Parlamentarier im Bundestag in Glaubenskämpfen verhaken, so lange bleiben die Patienten auf der Strecke. Schlimmstenfalls geraten sie dann an Leute, die sich auf ihr Bauchgefühl verlassen.

Anmerkung der Redaktion

Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Suizidgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen.

Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.