Berlin. Der Verbleib von Flug MH370 ist eines der größten Rätsel der modernen Luftfahrt. Zum zehnten Jahrestag soll eine neue Suche starten.
Am Sonntag versammelten sich mehrere Hundert Angehörige der MH370-Opfer und ihre Unterstützer in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur – im Gedenken an die Menschen, die seit dem 8. März 2014 als vermisst gelten. 239 Kerzen für die 239 Seelen, die an diesem Tag vor zehn Jahren verschwanden. „Wir haben das Flugzeug immer noch nicht gefunden“, sagte KS Narendran, dessen Frau Chandrika an Bord war, in einer Videoansprache. Auch, wer oder was das Verschwinden von MH370 verursacht hat und was mit den Überresten der Passagiere passiert ist, bleibt weiterhin: unklar.
Tatsächlich gibt es nun aber erstmals wieder Hoffnung: So hat die malaysische Regierung verlauten lassen, dass über eine Wiederaufnahme der Suche nachgedacht werde. Die Angehörigen fordern das seit Langem – sie alle wünschen sich eine Aufklärung des Unglücks, das zum größten Rätsel in der Geschichte der Luftfahrt wurde.
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Seit zehn Jahren verschollen: Was ist mit Flug MH370 passiert?
Die Tragödie ereignete sich am 8. März 2014. Kurz nach Mitternacht verloren die Fluglotsen damals den Kontakt zum Flug MH370. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Malaysia-Airlines-Flieger über dem Südchinesischen Meer – auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking. Die letzten Worte aus dem Cockpit waren: „Good night. Malaysian three-seven-zero.“ Danach herrschte Stille.
Zunächst vermutete man, die Boeing 777 sei im Südchinesischen Meer abgestürzt. Eine Woche lang suchten Rettungsmannschaften erfolglos nach Trümmerteilen, als eine explosive Pressekonferenz den Fall quasi über Nacht zum Mysterium machte, an dem Experten, Wissenschaftler und Privatleute über Jahre tüfteln sollten. So gestand der damalige malaysische Premierminister Najib Razak ein, dass das Flugzeug nach seinem letzten Kontakt noch stundenlang in der Luft geblieben sei.
Aufwändige Suche nach Flugzeug MH370
Erschwert durch den Fakt, dass die regulären Kommunikationskanäle nicht mehr funktionierten oder bewusst ausgeschaltet wurden, blieben nur reine Radardaten und sogenannte Satelliten-Pings, um die ungefähre Flugroute des Jets zu bestimmen. Eine Analyse zeigte, dass der Flieger seinen Kurs änderte, über die malaysische Halbinsel zurückflog und letztendlich weiter südlich in den Indischen Ozean vorstieß. Als ihm dort irgendwann der Treibstoff ausging, stürzte er vermutlich westlich von Australien ins Meer. Diese Annahme wurde Monate später bestätigt, als Trümmer des Fliegers an der Ostküste Afrikas, auf La Réunion und Madagaskar angespült wurden – von den Meeresströmungen über den Indischen Ozean transportiert.
Doch wo genau der Flieger am Meeresgrund liegt, ist bis heute unklar: Sowohl eine offizielle, von Australien geleitete Suche im südlichen Indischen Ozean als auch eine dreimonatige private Suche der US-Firma Ocean Infinity musste in den Jahren nach dem Unglück erfolglos abgebrochen werden. Auf den abgesuchten 200.000 Quadratkilometern konnte kein Flugzeugwrack und damit auch kein Flugschreiber gefunden werden, der Aufschluss über den Ablauf und den Grund des Unglücks hätte geben können. Obwohl die offiziellen Suchaktionen eingestellt wurden, haben etliche Privatleute und Wissenschaftler die Hoffnung nicht aufgegeben, das Rätsel um das Verschwinden des Flugzeugs doch noch zu lösen.
Privatermittler will Flugzeugteil von Flug MH370 gefunden haben
Darunter ist der US-Privatermittler Blaine Gibson, der die meisten der Trümmerteile des Fliegers, die an der afrikanischen Küste und auf Inseln angespült wurden, gefunden hat. Der Anwalt war nach dem Unglück auf eigene Kosten losgezogen, um Beweise für einen Absturz zu finden und den Angehörigen der Opfer bei der Wahrheitsfindung zu helfen. Neben Gibson hat auch der Luft- und Raumfahrtingenieur Richard Godfrey Tausende Stunden in die Lösung des bisher größten Rätsels der Luftfahrt investiert. Godfrey hat mithilfe eines eigens entwickelten Luftfahrt-Tracking-Systems Funksignale, die sogenannten Weak Signal Propagation Reporter (WSPR), für den Zeitraum im März 2014 alle zwei Minuten analysiert.
Laut Godfrey ist das Flugzeug rund 2000 Kilometer westlich von Perth ins Meer gestürzt. „Der Hauptabsturzort liegt am Fuße des Broken Ridge in einem Gebiet mit schwierigem Unterwassergelände“, heißt es in dem Bericht des Experten aus dem Jahr 2021. „Dort sind bergige Bereiche und Klippen, ein Unterwasservulkan und eine Schlucht.“
Dieser vermeintliche Absturzort stimmt mit einer Region überein, die auch Charitha Pattiaratchi, Professor für Ozeanografie an der Universität von Westaustralien, als wahrscheinlichste Zone identifiziert hat. Pattiaratchi ermittelte die Region, indem er die Wrackteile, die von MH370 auf den Inseln La Réunion und Madagaskar sowie an der afrikanischen Küste angespült wurden, anhand der bekannten Meeresströmungen zurückverfolgte.
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Mysteriöse Umstände um verunglückte Boeing 777
Was den Fall nochmals rätselhafter macht, ist, dass die nicht vergütete Arbeit dieser freiwilligen Helfer etliche Provokationen nach sich zog. „Meine Suche hat mich zu einer Zielscheibe für die Menschen gemacht, die nicht wollen, dass der Flieger gefunden wird“, berichtete Gibson 2022 in einem Telefonat. „Einmal wurde in mein Apartment in Kuala Lumpur eingebrochen.“ Bargeld, das er dort aufbewahrt hatte, sei nicht gestohlen worden, dafür aber Unterlagen über MH370 und ein Zertifikat, das ihm die Angehörigen der Opfer überreicht hatten.
Zwischenzeitlich habe er sogar um sein Leben gefürchtet: „Einmal machte ich öffentlich, dass ich die Suche aufgeben würde – rein, um die Lage zu entspannen und diese Leute von mir abzulenken.“ Im Geheimen habe er dann aber trotzdem weitergemacht. Besonders erschütterte ihn das Attentat auf einen malaysischen Diplomaten, der 2017 in Madagaskar niedergeschossen wurde. Zahid Raza sollte mutmaßliche MH370-Wrackteile zu Ermittlern nach Malaysia transportieren. Ob der Mord an ihm mit MH370 in Verbindung stand, konnte bis heute nicht geklärt werden.
Bereits 2015 sagte Emirates-Airline-Präsident Tim Clark im Interview mit der australischen Tageszeitung „Sydney Morning Herald“: „Jemand weiß mehr über dies, als er sagen will.“ Ähnliche Vermutungen hegt auch Ghyslain Wattrelos, der einzige europäische Angehörige der MH370-Opfer. Der Franzose, der bei der Tragödie seine Frau und zwei seiner drei Kinder verlor, sucht seit der Tragödie selbst nach Antworten. „Ich glaube nicht, dass keiner der umliegenden Staaten wie Vietnam, Thailand, Indonesien, Singapur oder Australien nichts gesehen haben“, sagte der Geschäftsmann 2015 in einem Skype-Gespräch.
Wird etwa vertuscht, was vor zehn Jahren passiert ist? Belege gibt es dafür nicht. Aber die Vermutungen kochen immer wieder hoch.
Bizarre Theorie zum MH370-Absturz
Seit dem Unglück wurden unzählige wissenschaftliche Arbeiten und mehr als 100 Bücher über das Flugzeugunglück geschrieben. Etliche Bücher propagieren teils absurde Verschwörungstheorien. Eine solche beschreibt beispielsweise, wie der Pilot die Passagiere ermordet und sich selbst per Fallschirm abgesetzt haben könnte. „Die Angehörigen der Passagiere von MH370 werden durch die endlosen Spekulationen, die hauptsächlich von britischen Boulevardblättern und Webseiten angeheizt werden, traumatisiert“, schrieb der Flugexperte Geoffrey Thomas einst beim Nachrichtenmedium „The West Australian“.
Zeitweise tauchte jede Woche eine neue Theorie auf. Neben vielen bizarren Theorien wurden jedoch auch deutlich plausiblere Szenarien aufgestellt. Darunter ist die des Piloten-Selbstmordes, aber auch eine Flugzeugentführung, ein Feuer, eine Rauchentwicklung oder ein Sauerstoffmangel, der von einem technischen Fehler ausgelöst wurde.
Eine Aufklärung der tatsächlichen Hintergründe wäre laut KS Narendran nicht nur für Angehörige wie ihn wichtig. Die Suche nach dem Flugzeug und der Wahrheit liege „in unserem gemeinsamen Interesse“, sagte er am Sonntag. Sie könne „nicht nur eine Beschwichtigungsaktion auf Bitten der MH370-Familien“ sein. Ein neuer Vorschlag liegt der malaysischen Regierung inzwischen vor: Das US-Unternehmen Ocean Infinity, das die zweite Suche nach MH370 leitete, hat sich bereit erklärt, erneut zu suchen. Und zwar auf der Basis „No find, no fee“ – also „Bezahlung nur gegen Erfolg“.