Berlin. In Leipzig wurde am Mittwochabend ein Journalist körperlich angegriffen. Der 22-Jährige erzählt, was passierte und wie er sich fühlt.
Ein junger Journalist aus Leipzig musste am Mittwochabend am eigenen Leib erfahren, dass Pressefreiheit alles andere als selbstverständlich ist. Der 22-Jährige wurde im Anschluss an eine Pro-Palästina-Demo, bei der er im Auftrag des Senders „Sachsen Fernsehen“ filmte, von ihm unbekannten Männern geschlagen und getreten.
Ungeschnittenes Videomaterial, welches unserer Redaktion zur Verfügung gestellt wurde, zeigt, wie der betroffene Journalist den Abend erlebt hat. Das Video-Interview wurde am Tag nach dem Angriff aufgenommen und stammt vom Sender „Sachsen Fernsehen“. Der Reporter selbst steht derzeit nicht zu Gesprächen bereit, zudem möchte er anonym bleiben. Laut Benedict Bartsch, dem inhaltlichen Leiter des sächsischen Senders, gehe es dem 22-Jährigen den Umständen entsprechend physisch wieder besser.
Reporter in Leipzig verprügelt: Auch Thunberg ist auf der Kundgebung
Mittwochabend auf dem Leipziger Markt, circa 100-200 Menschen haben sich nach Aussagen des jungen Reporters zu einer pro-palästinensischen Kundgebung zusammengefunden. Angemeldet wurde die Demonstration von der Gruppe „Handala Leipzig“. Klimaaktivistin Greta Thunberg, die sich in letzter Zeit immer wieder öffentlich solidarisch mit der Pro-Palästina-Bewegung geäußert hatte und dafür auch in der Kritik stand, ist ebenfalls vor Ort.
Thunbergs kurze Rede – unangekündigt und womöglich spontan – hört der junge Journalist nicht, er kommt mit etwas Verspätung bei der Kundgebung an. Die Stimmung sei relativ entspannt gewesen. Erst, als er begonnen habe zu filmen, sei es ungemütlich für ihn und seinen Begleiter geworden, der nach eigenen Aussagen als Begleitschutz dabei gewesen sei.
TV-Reporter berichtet von körperlichen und verbalen Attacken
„Wir wurden dann teilweise von den Demo-Teilnehmenden angegangen und auch von Ordnerinnen und Ordnern“, erinnert sich der Reporter. Den beiden Männern zufolge folgten mehrere Übergriffe: Sie seien zur Seite geschoben worden, ihnen sei in die Kamera gefasst worden, sie seien verbal angegriffen worden. Man habe sie besonders daran hindern wollen, Thunberg zu filmen, zum Beispiel, indem Fahnen vor die Kamera gehängt worden seien. „Das hat uns die Arbeit natürlich sehr erschwert“, so der Reporter.
Die Drohungen der Demonstrierenden und der Ordner seien teilweise sehr konkret geworden: „Uns wurde gesagt: Wenn wir unsere Videoaufnahmen veröffentlichen, veröffentlichen die auch welche von uns. Und die wären wesentlich schlimmer.“ Zudem sei den beiden jungen Männern gedroht worden, dass es für sie an diesem Abend kein gutes Ende nehmen würde, so der Reporter.
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Der 22-Jährige habe den Ordnern erklärt, dass er in seiner Funktion als Journalist vor Ort sei. Er habe ihnen auch seinen Presseausweis gezeigt. Doch dies habe nichts daran geändert, dass die Pressearbeit des Journalisten verhindert wurde.
Nach Abschluss der Kundgebung seien die beiden schnell weggegangen. „Dabei haben wir dann schon gemerkt, dass wir von mindestens einer Person verfolgt werden,“ so der junge Mann. Daraufhin seien sie nicht direkt zu ihrer Bahnstation, sondern Umwege gelaufen. Sorgen hätten sie sich zu dem Zeitpunkt noch nicht gemacht: „Ich habe das persönlich als eine Drohung nach dem Motto ‚Passt mal auf, wir haben euch im Auge‘ aufgefasst.“ Mit einer Auseinandersetzung habe er jedoch nicht gerechnet.
Journalist rekonsturiert den Vorfall: Angreifer schlagen und treten die beiden jungen Männer
Während sie von den Vorfällen erzählen, sieht man die beiden auf dem Video durch die Leipziger Innenstadt laufen. Der Begleiter hat einen Verband um den Arm. Sie rekonstruieren den Weg, den sie am Mittwochabend gelaufen sind. „Irgendwann haben wir dann gemerkt, dass aus einem drei Verfolger geworden sind – wir standen dann alle zusammen an der Ampel.“ Während der Überquerung der Straße hätten die drei Verfolger damit begonnen, sich zu vermummen.
„Wir sind dann in irgendeine Straßenbahn gestiegen, weil wir die Befürchtung hatten, dass sie uns auf dem Nachhauseweg verfolgen. Wir wollten nur weg“, so der junge Reporter. Als er in die Bahn stieg, habe er mehrere Schläge auf den Hinterkopf und aufs Ohr bekommen, woraufhin er zu Boden ging. Anschließend sei er noch mehrfach in den Rücken getreten worden. Kurz bevor die Tür der Straßenbahn zufiel, sei sein Angreifer geflüchtet.
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Polizei Leipzig ermittelt: Auch der Staatsschutz ist eingeschaltet
Sein Begleiter und die zwei Angreifer standen noch draußen, als seine Straßenbahn Richtung Hauptbahnhof losfuhr. „Richtige Angst hatte ich keine. Ich habe mir nur Sorgen um meine Begleitung gemacht“, erklärt der Reporter. Auch sein Begleiter erlitt mehrere Verletzungen durch Schläge, unter anderem am Kopf und am Daumen. Er habe jedoch zurückgetreten, wodurch die Angreifer von ihm abgelassen hätten.
Die Polizei Leipzig bestätigt in einer Mitteilung, dass der Vorfall stattgefunden habe. Die drei Verdächtigen wurden bisher nicht ausfindig gemacht. Der polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen: Wie eine Sprecherin der Polizei Leipzig erklärt, werde auch ermittelt, ob das Motiv der Täter im Zusammenhang stehe mit der vorherigen journalistischen Tätigkeit des jungen Mannes. Zudem werde geprüft, ob die Angreifer zuvor an der pro-palästinensischen Demonstration teilgenommen haben.
Demo-Veranstalter distanzieren sich von dem Angriff
„Wir möchten betonen, dass wir mit diesen Angriffen nicht in Zusammenhang stehen“, schreiben die Organisatoren der Demonstration „Handala Leipzig“ auf ihrem Instagram-Account. Sie seien stets darauf bedacht, deeskalierend zu agieren und die pro-palästinensischen Veranstaltungen trotz hoher Anspannung in der Community friedlich verlaufen zu lassen.
Weiterhin schreiben sie: „Wir schließen aus, dass es sich bei den mutmaßlichen Tätern um Menschen aus unserem – wie berichtet – Ordnerkreis handelt.“ Eine Anfrage dieser Redaktion blieb zunächst unbeantwortet.
Reporter in Leipzig verprügelt: Er will sich nicht einschüchtern lassen
„Dass ich gezielt verfolgt und angegriffen wurde, kenne ich bisher eigentlich nur von Querdenken-Demos“, erzählt der 22-Jährige. Es sei das erste Mal gewesen, dass er ein solches Maß an Gewalt auf einer Demo aus dem eher linken Spektrum erlebt habe. Starke Kopfschmerzen und heftige Rückenschmerzen: Nachdem das erste Adrenalin abgebaut war, spüre der Reporter die Auswirkungen des Angriffs.
„Selbstverständlich überlegt man nach einem solchen Angriff, wie man seine journalistische Arbeit auf solchen Demos weiterführen kann“, erklärt der junge Journalist. Vor allem, wenn es die eigene Gesundheit betreffe. Doch für ihn stehe fest: „Ich habe nicht vor, mich davon einschüchtern zu lassen. Sonst bekommen die Leute ja genau das, was sie wollen.“
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