Sydney. Die Abenteurerin Sarah Marquis ist drei Monate allein durch die Wildnis marschiert. Dabei ging ihr die Nahrung aus. Wie sie überlebte.
Während des Interviews sitzt Sarah Marquis in Fremantle, einem Vorort von Perth in Westaustralien, unter einem uralten Feigenbaum. Über ihr kreischen die Kakadus. Selbst zurück in der Zivilisation sucht die 51-jährige Schweizerin ein Stückchen Natur. Letztere spiele im Leben der meisten Menschen heutzutage eine viel zu geringe Rolle, meint sie.
Marquis ist im vergangenen Vierteljahr vollkommen in die Natur eingetaucht. Drei Monate war sie alleine im australischen Outback unterwegs: Im weitläufigen Bundesstaat Westaustralien marschierte sie zu Fuß von Kalgoorlie durch die Great Victoria Desert bis nach Warburton, eine indigenen Gemeinde im Landesinneren, rund 1500 Kilometer von Perth entfernt.
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Das Ganze sei „wie ein Lebensziel“ für sie, erklärte Marquis. Während ihrer Expeditionen werde sie zu einer „Brücke zwischen Mensch und Natur“. Andere Menschen traf sie währenddessen kaum. „Sechs Wochen sprach ich mit niemandem“, berichtet die Schweizerin. Als sie dann auf eine Gruppe Männer traf, die ebenfalls in der Wüste unterwegs waren, hatte sie nach der Unterhaltung mit ihnen „regelrecht Halsschmerzen“, bis ihr klar geworden sei, dass sie ihre Stimme ja so lange nicht mehr benutzt hatte.
Einsamkeit ist für die Abenteuerin kein Problem
Einsamkeit ist dabei zu keiner Zeit ein Problem für die Abenteurerin, die auch in der Schweiz für sich allein in einem „Tiny House“ in den Alpen wohnt. „Es kommt ganz darauf an, wie man sein Gehirn ‘auftankt’“, meint sie. Das funktioniere auch mit dem Thema Angst. Man dürfe sein Gehirn nicht „wilde Gedanken“ entwickeln lassen, sondern müsse im jeweiligen Moment leben: Auf den Atem lauschen, den Sonnenaufgang bewundern, auf die Natur achten und alles „wie ein Schwamm aufsaugen“.
Es sei erstaunlich, wie stark der Geist sei und wie sehr er den menschlichen Körper beeinflussen könne. „Jedes Mal gehe ich nochmal ein wenig mehr an meine Grenzen heran“, berichtet sie. Während der drei Monate im Outback beispielsweise transportierte die Schweizerin 80 Kilogramm Gepäck, darunter alleine 40 Liter Wasser, Müsli, Quinoa und Mehl, aber auch Landkarten, ein Satellitentelefon, einen Notfallsender und einen Kompass. Die Landkarten habe sie auch in ihrem Gehirn abgespeichert. „Ich habe ein fotografisches Gedächtnis“, erklärt sie. Rein auf digitale Hilfsmittel wolle sie sich nicht verlassen.
Der Schmerz ist „wie ein Werkzeug“
Am Anfang habe ihr Körper von der Belastung des Gewichts geschmerzt, doch nach einigen Wochen habe er sich daran gewöhnt. „Schmerz ist wie ein Werkzeug für mich“, erklärt Marquis. Nur indem man sich „in unbequeme Situationen“ bringe, wachse man innerlich. Marquis ist eine erfahrene Survival-Expertin. In den vergangenen 25 Jahren absolvierte sie etliche Expeditionen. Zwischen 2010 und 2013 legte sie 20.000 Kilometer zurück. Damals startete sie in Sibirien und endete in Australien. Dazwischen kam sie durch die Wüste Gobi, durch China, Laos und Thailand. 2014 wurde sie vom „National Geographic“ zu einer der Abenteurerinnen des Jahres gekürt.
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Bei einer früheren Expedition im Nordwesten Australiens hatte sie zudem viel von den australischen Ureinwohnern gelernt. Trotzdem bleiben manche Nahrungsmittel im Busch Experimente für die Veganerin. „Einmal konnte ich vorübergehend nicht mehr sehen, nachdem ich eine Frucht gegessen hatte“, berichtet sie über ein Erlebnis im Outback aus früheren Jahren. Einfach war es auch dieses Mal nicht: So gestaltete sich das Wasserfinden teilweise schwieriger als gedacht und in den letzten beiden Wochen ging der Schweizerin das Essen aus.
Abenteurerin verliert zwölf Kilo in drei Wochen
„Ich überlebte mit einer halben Tasse Müsli am Morgen und etwas Quinoa am Abend“, berichtete sie. Sie habe letztendlich versucht, mehr Kilometer am Tag zurückzulegen und sei bereits mitten in der Nacht losgegangen. „Dadurch habe ich dann den wunderschönen Nachthimmel und den Sonnenaufgang miterlebt“, meinte sie. Sie habe nie gedacht – „Was für eine Mist-Expedition“ – sondern das Positive aus dem Erlebten gezogen.
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Körperlich hinterließen die Strapazen aber durchaus ihre Spuren. In den ersten drei Wochen nahm Marquis rund zwölf Kilo ab, danach ging der Gewichtsverlust etwas langsamer vonstatten. „Ich versuche bewusst, vor einer Expedition zuzunehmen“, sagt sie. Sie würde stets mit einem Ausgangsgewicht von 60 bis 65 Kilo starten. Mit den giftigen Spinnen und Schlangen des fünften Kontinents hatte die 51-Jährige nie Probleme. Sie habe durchaus Schlangen gesehen, aber ihr Konzept „mit der Natur zu leben“ und keine Angst zu zeigen, habe bisher immer funktioniert.
Die Biodiversität in Australien hat abgenommen
Ein spezieller Moment war für Marquis, als sie nach ihrem langen Marsch in der Nähe von Warburton schließlich wieder auf Menschen traf. „Jeder stoppte und fragte mich, woher ich käme“, berichtet sie. Als sie den vornehmlich indigenen Menschen dann von ihrer Expedition durch die Wüste berichtete, hätten die meisten erst einmal gesagt: „Bist du verrückt?“ Doch letztendlich hätten ihr alle Respekt gezollt. „Niemand fragte mich übrigens, warum ich es gemacht habe.“ „Walkabout“ – das Land zu durchwandern und mit der Natur eins zu werden, das gehöre eben zur Kultur der Aboriginal People dazu. Um das zu respektieren, habe sie auch sehr darauf geachtet, stets bei den Gemeindeältesten um Erlaubnis zu fragen, wenn sie deren Land durchquerte.
Eines machte die Schweizerin bei ihrer erneuten Expedition durch Australien jedoch auch traurig: Die Biodiversität habe enorm abgenommen, berichtete sie. In den drei Monaten habe sie beispielsweise nur 20 Kängurus und Wallabies gesehen. Auch der Mensch habe sich aus dem Outback zurückgezogen. Vor zehn Jahren seien noch deutlich mehr Indigene wie auch sogenannte „Swagmen“ im Busch unterwegs gewesen. Letztere sind Farmarbeiter, die zwischen den jeweiligen Jobs häufig im Busch übernachteten. „Jetzt war da keine Menschenseele mehr“, meint sie.