Berlin. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit: Nach dem Erdbeben in Marokko versuchen Einsatzkräfte, in schwer zugängliche Bergdörfer zu gelangen.
Eine halbe Woche nach dem schweren Erdbeben in Marokko schwindet die Hoffnung auf Überlebende. In den schwer zugänglichen Gebieten läuft die Suche nach Hunderten Vermissten weiter. Für die Einsatzkräfte ist es ein Wettlauf gegen die Zeit: Experten geben einen Richtwert von 72 Stunden an, in denen ein Mensch höchstens ohne Wasser auskommen kann.
Nach bisherigen amtlichen Angaben kamen landesweit mindestens 2497 Menschen ums Leben, mindestens 2476 weitere Menschen wurden verletzt. Das Erdbeben der Stärke 6,8 – das schlimmste seit Jahrzehnten in Marokko – ereignete sich am späten Freitagabend. Das Epizentrum lag südwestlich von Marrakesch. Seither wurde das nordafrikanische Land von weiteren Nachbeben heimgesucht.
Soldaten versuchen, mit Unterstützung ausländischer Hilfsteams in entlegene Bergdörfer vorzudringen. Mit Bulldozern müssen in dem zerklüfteten Gelände Straßen von Geröll befreit werden, damit Krankenwagen nach Erdrutschen durchkommen.
Mehrere Länder, darunter Deutschland, haben ihre Hilfe angeboten, doch Marokko will zunächst nur von vier Ländern Unterstützung annehmen. Wie das Innenministerium am späten Sonntagabend erklärte, hätten die Behörden nach gründlicher Untersuchung „auf die Unterstützungsangebote der befreundeten Länder Spanien, Katar, Großbritannien und Vereinigte Arabische Emirate reagiert“. Deutsche Hilfsorganisationen wie das Technische Hilfswerk schickten ihre bereitgestellten Mitarbeiter vorerst wieder nach Hause.
Erdbeben in Marokko: So kommen die Rettungsarbeiten voran
Unterdessen kommen die Rettungsarbeiten nur schleppend voran. Während in Marrakesch schon wieder Touristengruppen durch die Altstadt schlendern, suchen Rettungsmannschaften rund 70 Kilometer entfernt in den abgelegenen Dörfern des Atlasgebirges nach Überlebenden. Inzwischen kamen die ersten internationalen Helfer in Marokko an, um bei der Bergung zu helfen.
Luftbilder des marokkanischen Fernsehens zeigen, dass zahlreiche Ortschaften im bis zu 4000 Meter hohen Gebirge praktisch verschwunden sind. Wo früher Häuser standen, sieht man nur noch Ruinen und Trümmer. Straßen, die sich in Serpentinen durch die Berge winden, sind zerstört oder durch Steinbrocken blockiert. Brücken stürzten ein. Strom-, Wasser- und Telekommunikationsleitungen funktionieren nicht.
Erdbeben in Marokko: Tote werden in Massengräbern beigesetzt
„Es ist sehr schwierig, zu einigen Gebieten vorzudringen“, erklären die Helfer der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC). Auch deswegen wird nach dem schlimmsten Erdbeben in Marokko seit Jahrzehnten das Ausmaß dieses Dramas nur langsam sichtbar: Nach Angaben des marokkanischen Innenministeriums wurden bisher mehr als 2000 Leichen geborgen. Mehrere tausend Menschen wurden verletzt. Doch die Opferzahlen dürften weiter steigen.
Nur bruchstückhaft werden Einzelheiten bekannt: Etwa aus der Bergprovinz Chichaoua, die westlich Marrakeschs liegt. Allein hier wurden in einem Dorf 65 Leichen geborgen und in einem Massengrab beigesetzt. Mit Hubschraubern und Drohnen wird in den einsam gelegenen Ortschaften nach Überlebenden gesucht, berichtet der marokkanische Fernsehsender 2M.
In der ganzen umliegenden Provinz Chichaoua soll es Hunderte von Toten gegeben haben. Viele Häuser in der Bergregion sind nur aus Lehm, Stroh und Steinen gebaut. So haben es die Menschen in dieser kargen Bergregion schon immer gemacht. Doch diese traditionelle Bautechnik wurde jetzt vielen Menschen zum Verderben.
Nach Schätzung der marokkanischen Behörden sind wenigstens zehn Provinzen von dem Erdbeben betroffen. Am schlimmsten traf es die Provinz Al Haouz, in der auch das Epizentrum des Bebens lag. Dort wurden bisher die meisten Toten geborgen. Viele Opfer gab es auch in den Provinzen Taroudant, Chichaoua und Ouarzazate.
Quarzazate im Süden ist für viele Marokko-Touristen der Ausgangspunkt für die beliebten Touren durch die Sahara-Wüste. Weitere – wenn auch wenige – Tote wurden gemeldet aus den Provinzen Marrakesch, Azilal, aus der Badeurlaubsregion Agadir sowie aus Casablanca, Al Youssufia und Tinguir.
Am Sonntag Nachbeben mit Stärke 4,5
Am Sonntagmorgen erzitterte in Marokko erneut die Erde. Doch es blieb beim Schrecken. Das Nachbeben der Stärke 4,5 auf der Richterskala richtete keine größeren Schäden an. Aus Angst vor neuen Erdstößen verbrachten viele Menschen die vergangenen Nächte im Freien. Der Schock nach dem zerstörerischen Erdbeben, das sich am Freitagabend kurz nach 23 Uhr ereignete, sitzt immer noch tief.
Auch in der Touristenhochburg Marrakesch war das Nachbeben am Sonntag zu spüren. Trotzdem versuchte die Millionenstadt, die jedes Jahr von Hunderttausenden europäischen Touristen besucht wird, wieder zur Normalität zurückzukehren. Der Verkehr rollte wie immer, die meisten Restaurants und Basarstände öffneten wieder, Touristengruppen schoben sich durch die Stadt – als ob nichts geschehen wäre..
Vor allem in der historischen Altstadt, in der Medina, stürzten einige Gebäude komplett ein, viele andere wurden beschädigt. Trotzdem kamen die meisten Touristen, die sich während des Bebens in der Altstadt aufhielten, mit dem Schrecken davon. Bisher wurden keine Todesopfer oder Verletzten unter den ausländischen Besuchern bekannt.
Urlaub in Marokko: Vorzeitige Heimreise gestaltet sich schwierig
Manche Urlauber entschieden nach der Naturkatastrophe, vorzeitig nach Hause zureisen. Was allerdings derzeit nicht einfach ist. Viele Flüge Richtung Europa sind ausgebucht. Viele Reisende hingen deswegen am Wochenende auf dem Airport in Marrakesch fest. Einige Staaten, wie etwa Portugal, schickten deswegen Militärtransporter, um Landsleute heimzufliegen.
Andere Touristen setzten ihren Urlaub fort. So wie die beiden Französinnen Fabienne und Jasmine, die in ihrem Altstadthotel von dem Erdbeben überrascht wurden. „Das Gebäude neben unserem Hotel stürzte zusammen, wir müssen über die Trümmer klettern, um zu unserem Zimmer zu gelangen“, erzählten sie dem spanischen Rundfunksender RTVE. „Jetzt schlafen wir mit Anziehsachen und Schuhen, für den Fall, dass wir schnell rausrennen müssen.“ (mit dpa)
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