Athen. Tote und Vermisste, die Flut hat Griechenland tief erschüttert. Nun zeigt sich ein neues Drama: Die Menschen stehen vor dem Nichts.
Als die Flut kam, flohen Takis Krikelis und seine Frau Eva aus dem Dorf Palamas ins 20 Kilometer entfernte Karditsa. Sie schafften es gerade noch über die Straßen, auf denen das Wasser immer höher stieg. Jetzt sieht der Landwirt Luftaufnahmen von seinem Dorf.
Nur noch einige Dächer und Baumwipfel ragen aus der braunen Flut. Sein Hof ist verschwunden, auf den Feldern steht das Wasser meterhoch. „Wir haben alles verloren“, sagt Krikelis, „unser Haus, unsere Tiere, den Traktor – alles.“
Wie viele Opfer die Überschwemmungen gefordert haben, ist noch unklar. Bis zum Freitagmittag wurden sieben Tote geborgen. Es gibt zahlreiche Vermisste. Dutzende Dörfer sind weiter von der Außenwelt abgeschnitten. Tourismusexperten und Hoteliers können es kaum fassen. Griechenland gilt als eins der nachgefragtesten Urlaubsländer.
Die Opferzahlen dürften weiter steigen, wenn das Wasser zurückgeht und die Rettungsmannschaften die jetzt noch überfluteten Dörfer erreichen.
Zu den Vermissten gehört auch ein junges österreichisches Ehepaar aus Graz, das am Fuß des Pilion-Gebirges Urlaub machte. Ein Vermieter von Ferienwohnungen in der Ortschaft Xinovrysi sagte, das Ehepaar sei mitsamt dem Ferienhaus von der Sturzflut ins Meer gerissen worden.
Griechenland: Bewohner seit fünf Tagen von der Außenwelt abgeschnitten
Rettungshubschrauber konnten zunächst im Inferno der Sturmwinde, der ständigen Blitze und des Starkregens nicht eingesetzt werden. Als sie starten konnten, brachten die Besatzungen Der Helikopter etwa 60 Menschen von Hausdächern in Sicherheit. Andere wurden mit Schlauchbooten der Feuerwehr gerettet.
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Am Freitagmorgen zogen die letzten Regenwolken des Sturmtiefs „Daniel“ ab. Aber noch gibt es keine Entwarnung, im Gegenteil. Die Bewohner mancher Dörfer sind bereits fünf Tage von der Außenwelt abgeschnitten.
Wichtige Anbaugebiete für Getreide und Baumwolle versinken im Wasser
Am Freitag lösten die Behörden Katastrophenalarm für die 165.000 Einwohner zählende Stadt Larisa aus, weil der Fluss Pinios durch Wasser aus den umliegenden Bergen immer weiter anschwoll. An drei Stellen brachen gegen Mittag die Deiche. Die Feuerwehr evakuierte mehrere Stadtteile und drei gefährdete Dörfer.
Die Ebene von Thessalien, eines der wichtigsten Anbaugebiete Griechenlands für Getreide und Baumwolle, gleicht einem endlosen See. Aufnahmen des europäischen Erdbeobachtungssatelliten Sentinel-1 zeigen: 720 Quadratkilometer sind überflutet, eine Fläche so groß wie Hamburg.
Bis das Wasser abläuft, kann es Wochen dauern
Das Wasser steht vielerorts vier Meter hoch. Dörfer wie Metamorfosi und Palamas sind fast völlig in den Fluten untergegangen. In der thessalischen Ebene, die von Bergen umgeben ist, kann das Wasser nicht durch Flussläufe abfließen. Man muss warten, bis es versickert oder verdunstet. Das kann Wochen dauern.
„Ich glaube, wir haben das volle Ausmaß dieser Katastrophe noch gar nicht begriffen“, sagt Efthymios Lekkas, Professor für Geowissenschaften und Katastrophenmanagement an der Universität Athen. Lekkas glaubt, dass es „mindestens fünf Jahre dauern wird, bis sich die Region von der Flut erholt hat und der Anbau auf den Feldern wieder möglich ist“ Es werde sich auf den Urlaub in Griechenland auswirken, meinen Tourismusforscher. Nach den Waldbränden ist die Flut nun eine weitere Katastrophe in Griechenland.
Zivilschutz soll das zusammengebrochene Strom- und Wassernetz wieder aufbauen
Am Freitag flog Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis ins Katastrophengebiet. In der Kreisstadt Larisa wurde ein Krisenzentrum eingerichtet. Dort sollen Militär, Zivilschutz, Feuerwehren und Hilfsorganisationen die Versorgung der Bevölkerung und die Wiederherstellung der vielerorts zusammengebrochenen Strom- und Wasserversorgung koordinieren.
Die Zerstörungen der Infrastruktur sind immens. Die Flut hat Straßen weggespült und Brücken zum Einsturz gebracht. Es wird viele Milliarden kosten und Jahre dauern, diese Schäden zu beheben. Die 145.000 Einwohner zählende Hafenstadt Volos war am Freitag den vierten Tag in großen Teilen ohne Strom und Trinkwasserversorgung. Die Menschen wurden, wo es möglich war, mit Tankwagen versorgt. Aber viele Straßen sind unpassierbar.
Wasserfluten zerstören traditionelle Häuser der Region
In Volos rächte sich, dass dort zwei Flussbetten in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter zugebaut wurden. Der Flusslauf des Xirias war, wie Luftaufnahmen von 1945 zeigen, damals 640 Meter breit, das des Kravsidona 240 Meter.
Inzwischen hat man beide Flüsse, die das meiste Jahr über trocken liegen, in Kanäle von 40 Meter Breite gezwängt – mit dem Ergebnis, dass sich das Wasser jetzt seinen Weg durch die Stadt suchte.
Verheerend wütete das Unwetter auch in den Ortschaften des Pilion-Gebirges. Die Halbinsel ist mit ihren wenig besuchten Stränden und malerischen Bergdörfern ein Geheimtipp für Griechenlandurlauber. Viele der traditionellen Häuser der Region sind jetzt abbruchreif, weil die Wasserfluten ihre Fundamente unterspült haben.
Alle Straßenverbindungen ins Landesinnere überflutet
Bei der Ortschaft Platanias wurden 105 Einheimische und Touristen mit einem Ausflugsboot von einem Strand evakuiert, weil alle Straßenverbindungen ins Landesinnere überflutet oder weggespült sind. Viele Urlauber mussten ihre Autos zurücklassen. Auch auf den Sporadeninseln wie Skopelos, Skiathos und Alonisos haben die Unwetter große Verwüstungen angerichtet.
So viel Regen in so kurzer Zeit wurden noch nie seit dem Beginn der Wetteraufzeichungen in Griechenland gemessen. In der Ortschaft Zagora fielen innerhalb von 20 Stunden 745 Liter Niederschlag pro Quadratmeter. Das ist doppelt so viel wie in Athen in einem ganzen Jahr. In Volos ging innerhalb von zwölf Stunden sechsmal mehr Regen nieder als normalerweise im ganzen September.
Hohe Wassertemperaturen begünstigen das Entstehen der Mittelmeer-Hurrikane
In Larisa registrierte die örtliche Wetterstation 12.000 Blitze innerhalb von zwei Stunden. Meteorologen haben keinen Zweifel daran, dass die extremen Niederschläge mit dem Klimawandel zusammenhängen.
In diesem Sommer waren die Wassertemperaturen im östlichen Mittelmeer höher als je zuvor seit Beginn der Messungen. Das begünstigt die Entstehung der sogenannten „Medicanes“, Mittelmeer-Hurrikane.
Experte: Wirbelstürme werden immer weiter zunehmen
Solche tropischen Wirbelstürme waren früher in der Mittelmeerregion äußerst selten waren. „Medicanes gab es in der Vergangenheit etwa alle 300 Jahre“, sagt der Klimaforscher Christos Zerefos, der dem griechischen Beirat für den Klimawandel angehört.
In Zukunft werde man mit mehr Stürmen rechnen müssen. Auch Nikos Michalopoulos, Forschungsdirektor des Athener Observatoriums, bestätigt: „Wir beobachten immer mehr solcher Phänomene im September, Oktober und sogar November“.