Heidelberg. Immer mehr Menschen verfügen, dass ihr Körper nach dem Tod der Wissenschaft überlassen wird. Was sie umtreibt, was zu beachten ist.
Hannelore B. ist 82, fit und denkt trotzdem ans Sterben. Besser gesagt, sie plant voraus. Hannelore ist Körperspenderin. Wenn sie stirbt, tut sie es im Dienste der Wissenschaft. Ihren Körperspende-Ausweis trägt sie schon jetzt immer bei sich. An ihrer Wohnungstür hängt ein entsprechendes Schild: „Damit, wenn ich mal umkippe, die Sanitäter wissen, dass ich Spenderin bin.“ Hannelores Körper geht dann an das Anatomische Institut der Universität Heidelberg und dient Studierenden der Medizin in der Lehre.
Die Idee, sich als Körperspenderin zur Verfügung zu stellen, hat die Eberbacherin von Bekannten aus dem Fitnessstudio. „Da gibt es einige Leute in meinem Alter, die das machen und das hat mich interessiert.“ Ein formloses Schreiben an das nächstgelegene Anatomische Institut mit Namen, Anschrift und Anliegen, viel mehr braucht es – zumindest in Heidelberg – nicht. „Erst hieß es, das Jahreskontingent sei schon voll, aber für das Jahr darauf erhielt ich dann die Zusage.“ Das ist jetzt zehn Jahre her.
Anatomisches Institut in Heidelberg: Spendebereitschaft ist groß
Hannelore ist eine von rund 1890 aktiven Körperspendern, die das Institut für Anatomie und Zellbiologie der Universität Heidelberg derzeit in seiner Kartei führt. „Wir haben pro Jahr rund 150 neue Abschlüsse und zwischen 60 und 70 verstorbene Körperspender zur Lehre im Institut“, erklärt Barbara Schulze vom Ressort Körperspende. Wie viele Bewerbungen das Institut jährlich erreichen, werde nicht erhoben.
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„Wir bekommen etwa fünf Anfragen pro Woche“, so Schulzes Schätzung. Die Körperspende ermögliche eine fundierte vorklinische Ausbildung, ist damit ein zentraler Baustein in der Lehre. „Wir sind froh, dass sich jedes Jahr genügend Leute melden.“ Die Plätze für 2023 sind schon vergeben. Neue Bewerbungen nimmt das Institut ab Januar 2024 entgegen. Wer zuerst kommt, spendet zuerst – es gilt der Poststempel.
„In Deutschland herrscht Bestattungspflicht“, erklärt Barbara Schulze die Rahmenbedingungen der Spende. „Wir schließen auch keine Verträge mit den Spendern ab, sondern Vermächtnisse.“ Diese können von beiden Seiten jederzeit widerrufen werden, wenn ein Spender zum Beispiel seine Meinung ändert, der Körper im Todesfall – etwa nach einem Unfall – in einem zu schlechten Zustand ist oder der Spender außerhalb des Einzugsgebiets des Instituts verstirbt. Dann kann man ihn dort unter Umständen nicht mehr annehmen.
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„Für diesen Fall weisen wir die Spender und gegebenenfalls die Angehörigen darauf hin, dass sie selbst für den Todesfall vorsorgen sollten.“ Überhaupt legt Barbara Schulze Spendern immer nahe, Familie und Freunde ins Vertrauen zu ziehen: „Die Hinterbliebenen müssen teils bis zu zwei Jahre auf die Beisetzung ihrer Lieben warten – das ist alles andere als einfach.“
Körperspenderin: „Man tut etwas Gutes und spart gleichzeitig Kosten“
Bei einer erfolgreichen Spende übernimmt das Anatomische Institut in Heidelberg die Überführung des Leichnams und die Bestattungskosten sowie die Grabpflege. Ein „Dankeschön“, wie Schulze es ausdrückt: „Dass uns jemand seinen Körper überlässt, ist eine vertrauensvolle Aufgabe, der wir unbedingt gerecht werden wollen.“ Die Beisetzung erfolgt in einem Ehrengrab, das die Universität eigens für ihre Körperspender unterhält. „Jedes Jahr im Sommer wird eine ökumenische Trauerfeier von unseren Studierenden gestaltet“, so die 57-Jährige. „Die Körperspender sind ihre ersten Patienten, ihre Lehrer. Viele Studierende wollen etwas zurückgeben – das ist auch nach zwanzig Jahren, die ich jetzt am Institut bin, immer wieder überwältigend.“
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Dass auch die Studenten an der Trauerfeier teilnehmen, findet Körperspenderin Hannelore besonders schön. „Von der Körperspende haben alle etwas“, sagt sie. „Man tut etwas Gutes und spart gleichzeitig Kosten – so eine Bestattung ist teuer.“ Sie selbst pflegte dreißig Jahre lang das Grab ihres Vaters. Vor kurzem ließ sie es auflösen, musste auch dafür aufkommen. Laut Bestattungsplaner des Bundesverbands Deutscher Bestatter ist für eine standardmäßige Urnenbestattung mit Balsamierung, Einäscherung, Überführung und bescheidener Trauerfeier mit rund 3200 Euro zu rechnen. Wer es exklusiver will, setzt bei 6000 Euro an. Ein Aufwand, den Hannelore ihrer Familie ersparen möchte, wenn sie kann.
Körperspende ist nicht an allen Instituten kostenlos
Das Anatomische Institut in Heidelberg zählt zu denjenigen in Deutschland, die die Körperspende noch kostenlos durchführen. An anderen Instituten zahlen die Spender eine Aufwandsgebühr. So liegt die Zuzahlung an der Anatomischen Anstalt München derzeit bei 1150 Euro. Auch die Bestattungskosten werden nicht überall übernommen. Die Universität Ulm etwa bittet Spender um eine freiwillige Beteiligung. Die regionalen Unterschiede können zum Problem werden, wenn ein Spender umzieht. Dann muss er oder sie eine Vereinbarung mit dem Institut in seinem neuen Einzugsbereich treffen.
Auch kommt nicht jeder als Spender in Frage. Die Einschränkung beginnt beim Alter: Spender müssen in vielen Instituten, darunter Heidelberg und München, mindestens 50 Jahre alt sein. „Jüngeren empfehlen wir eher die Organspende“, so Barbara Schulze. Wer sich bewirbt, muss sich nicht etwa einer medizinischen Untersuchung stellen. Einige Ausschlusskriterien gibt es aber doch, darunter extremes Unter- oder Übergewicht, Amputationen oder Infektionen.
Motivation: „Viele Spender wollen der Medizin etwas zurückgeben“
Nicht selten erreichen Barbara Schulze Anrufe von Menschen, die wissen wollen, ob sie schon zu Lebzeiten mit einer Honorierung ihrer Körperspende rechnen dürften. „Wenn ich dann erkläre, dass das in Richtung Leichenhandel geht, wird den Menschen oft klar, worum sie da eigentlich bitten.“ Schon auf der Website des Instituts heißt es deshalb: „Eine Vergütung der Körperspende ist ausgeschlossen!“ Generell würden die potenziellen Spenderinnen und Spender nicht zu ihrer Motivation befragt, manche erklären aber von sich aus ihre Beweggründe. „Oft sind es Menschen, die selbst krank waren, geheilt wurden und nun der Medizin etwas zurückgeben wollen.“
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Etwa genauso häufig sei die finanzielle Motivation, die auch Spenderin Hannelore teilt. Sich so mit der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen, wird leichter, je älter man wird, sagt sie. „Die Seele ist nach dem Tod sowieso woanders, der Körper verwest nur – da kann man damit auch etwas Sinnvolles tun.“ Aus dieser Haltung heraus kann sie auch ganz ungerührt erzählen, was mit ihrem Körper passiert, wenn sie mal nicht mehr ist: „Der wird dann vom Institut abgeholt, dort gründlich gereinigt, dann werden alle Haare abrasiert und man wird mit einer Alkohollösung haltbar gemacht ...“