Essen. In wenigen Stunden ging im Ruhrgebiet so viel Regen nieder wie im ganzen August. Warum dieses Unwetter selbst erfahrene Meteorologen überrascht.

Das Unwetter erwischte das Ruhrgebiet im Schlaf. Dumpfes Donnergrollen im Südwesten Nordrhein-Westfalen kündigte es kurz nach Mitternacht an, dann rollten die Gewitterzellen quer über das Revier, eine nach der anderen: „Wie an einer Kette aufgezogen", sagt Thomas Kesseler-Lauterkorn, Diplom-Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst (DWD). Keine Vorhersage, keine Simulation hatte das, was sich in den kommenden Stunden über dem Ballungsraum ereignete, auf dem Schirm. „So etwas habe ich selten erlebt“, sagt der Wetterexperte.

Unwetter im Ruhrgebiet: Kein Wettermodell sah ein Risiko

Innerhalb weniger Stunden gingen vor allem im nördlichen Ruhrgebiet Regenmengen nieder, die sonst im ganzen August fallen. In Waltrop-Abdinghof etwa wurden innerhalb von sechs Stunden 68 Liter pro Quadratmeter registriert, In Herne waren es in der zweiten Nachthälfte laut DWD-Angaben weit über 50 Liter pro Quadratmeter. Das Problem dieser in weiten Flächen versiegelten Revierstadt: Der Großteil der Niederschlagsmassen fiel innerhalb von nur zwei Stunden. „Das kann keine Kanalisation schaffen", sagt Kesseler-Lauterkorn.

Regenmengen und betroffene Städte:

  • Essen-Stoppenberg 54,2 Liter/Quadratmeter (in 12 Stunden)
  • Castrop-Rauxel: 51,7 Liter/Quadratmeter
  • Ratingen: 48,6 Liter/Quadratmeter
  • Recklinghausen: 36,9 Liter/Quadratmeter

Trommelnder Regen, Hagelkörner, Sturzbäche. Kein Wettermodell und keine Wetterapp hatte in den Stunden davor gewarnt, dass die große Gewitterfront über Deutschland auch das Ruhrgebiet treffen könnte. „Ich muss sagen, dass mich das schon überrascht hat, dass das Unwetter noch in der Nacht das Herz des Ruhrgebiets erwischt hat“, sagt Kesseler-Lauterkorn. Unvorhergesehenes aber könne bei Gewittern immer passieren, wenn sich die schwül-warme Luft mit Energie und Wasser aufgeladen hat: „Es brodelt wie in einem Wassertopf.“

Unsere Fotos und Reportagen zum Unwetter im Ruhrgebiet:

DWD: Auf der Rückseite des Tiefs bildeten sich neue Zellen

Was genau passiert ist, können die Wetterexperten anhand der Radarbilder aus der Nacht nachzeichnen. Das Überraschende: Es war nicht die große Gewitterfront, die das Revier getroffen hat. DWD-Meteorologe Matthias Ohnheiser: „Der große Gewitter-Cluster ist wie von uns vorhergesagt über Rheinland-Pfalz und Hessen gezogen. Doch auf der Rückseite des Tiefdrucksgebietes haben sich neue Gewitterzellen gebildet, die Kurs auf das Ruhrgebiet genommen haben. So etwas passiert häufiger, und es ist kaum vorherzusagen.“

Land unter auf Schalke: In Gelsenkirchen konnte sich die Feuerwehr zum Teil nur in Schlauchbooten fortbewegen.
Land unter auf Schalke: In Gelsenkirchen konnte sich die Feuerwehr zum Teil nur in Schlauchbooten fortbewegen. © Feuerwehr Gelsenkirchen

Kesseler-Lauterkorn erklärt, wie es zu diesen Regenmassen kam. „Die Bilder zeigen, wie sich in der Zeit nach Mitternacht bis zwei Uhr immer wieder neue Gewitterzellen bildeten und vom Rheinland aus über das Revier zogen – wie an einer Kette.“ Diese Zellen seien langlebig und ortsfest gewesen, sie seien nur langsam weggezogen. „Es ist schon enorm, was in diesen Stunden heruntergekommen ist", sagt der Meteorologe. Am nächsten Tag erst wird klar: Diese Zellen, die niemand auf der Rechnung hatte, verursachten ähnliche Niederschlagsmassen wie die große Gewitterfront, die sich wie vorhergesagt über Hessen entlud.

„Keines der Wettermodelle hatte uns ein Risiko für das Ruhrgebiet aufgezeigt, allenfalls sollte die Gewitterfront NRW nur streifen“, sagt Ohnheiser. „Wenn keines der Modelle etwas anderes sagt, dann sprechen wir keine Warnung aus.“