Cape Coral (Florida) / Wittgenstein. Vor der US-Wahl am 5. November: In Florida steigt die Spannung. Auch im fernen Wittgenstein konnte mitentschieden werden.
Als United Airlines-Flug 2202 am späten Abend in Fort Myers aufsetzt, sind die ersten Eindrücke des US-Wahlkampfs auf amerikanischen Boden bereits sehr präsent. Drei Wochen sind es da noch bis zu den US-Wahlen. Eine Entscheidung, die nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern vermutlich die ganze Welt prägen wird.
Wer setzt sich durch? Die Demokratin Kamala Harris oder der Republikaner Donald Trump? Die Entscheidung fällt am 5. November. Da kommt es passend, dass der Autor dieser Zeilen, der sonst in der Wittgensteiner Sportredaktion sitzt und den Sportlern auf die Hände und Füße schaut, derzeit seinen Jahresurlaub in den USA verbringt. Mitten im Getümmel eines Wahlkampfs, der schmutziger nicht sein könnte.
Bereits beim Zwischenstopp in Chicago begrüßt die Reisenden ein Appell, der vor allem an die Rückkehrer gerichtet ist: „Register today to vote on Nov. 5th!“. Der Aufruf, sich zu registrieren, klingt in deutschen Ohren erstmal ungewöhnlich. Anders als bei uns müssen sich die Amerikanerinnen und Amerikaner vor einer Wahl registrieren lassen, um sicherzustellen, dass die Person nicht verstorben ist oder den Wohnort gewechselt hat.
Das gilt beispielsweise auch für die Amerikaner in Wittgenstein. 13 US-Amerikaner wohnen in Bad Berleburg, davon sind zehn über 18 Jahre alt. In Erndtebrück sind es fünf, davon sind vier volljährig. Diese 14 dürfen bei der Wahl abstimmen. Selbst wenn sie in Wittgenstein wohnen. Möglich macht das ein Besuch beim US-Konsulat in Frankfurt oder in Düsseldorf.
In Florida ist der Wahlkampf zwischen Harris und Trump voll im Gange. Das trägt teilweise radikale Blüten, wie Gesprächspartner, die anonym bleiben möchten, berichten. Manch eine Familie spricht in den eigenen vier Wänden nicht mehr über Politik. Nicht etwa, weil das Thema den Menschen nicht auf der Seele brennt, sondern um Streitigkeiten zu verhindern. Der politische Ton, das bestätigen zahlreiche Einheimische, ist in den vergangenen acht Jahren rauer geworden. Aggressiver. Und vor allem: polemischer.
Für deutsche Ohren klingt das alles erstmal unwirklich. Einen ersten Einblick vor Ort gibt es bei einer Veranstaltung in Fort Myers, rund zwanzig Kilometer östlich von Cape Coral. Dort spricht am 24. Oktober ein echter Politstar Floridas: Der republikanische Gouverneur Ron DeSantis.
Der Ex-Navy-Anwalt war im Vorwahlkampf gegen Trump angetreten, zog seine Kandidatur aber aufgrund schlechter Umfragewerte zurück - und unterstützt nun den früheren Präsidenten. Die rund 300 anwesenden Menschen lauschen erst den Moderatoren des rechtsnationalen Senders „Florida´s voice“, ehe Gouverneur DeSantis die Bühne betritt.
Doch anstatt Trump zu loben und Harris zu verteufeln, spricht der Politiker über: Florida. DeSantis spricht über seine Zeit an der Universität in Yale und Harvard, wo er, nach eigenen Angaben, „mehr Kommunisten an der Fakultät vorgefunden hat als in ganz Osteuropa.“ Der Gouverneur spricht über Abtreibungsgesetze, die Marihuana-Legalisierung in Florida und dann doch indirekt über die bevorstehende Wahl - nämlich über Vizepräsidentin Harris.
Wer aber eine waschechte Abreibung nach Trump-Manier erwartet, der wird enttäuscht. DeSantis beschreibt seine Kommunikation mit Harris zwischen den beiden Hurrikans Helene und Milton. „Ich war extrem beschäftigt und lese dann, dass Kamala Harris wütend auf mich ist, weil ich ihre Anrufe nicht annehme. Ich wusste nicht mal, dass sie es versucht hat. Dann sagt sie, dass ich egoistisch und unverantwortlich bin“, betont der Gouverneur.
„Sie hat bei all den Naturkatastrophen nicht einmal das Telefon ergriffen und irgendwas gemacht. Sie hat uns nie geholfen, in egal welcher Art und Weise. Es ist sehr bezeichnend, dass sie denkt, dass mein Hauptaugenmerk auf ihr liegen soll, anstatt unseren Staat auf einen zweiten Hurrikan vorzubereiten“, sagt DeSantis und die Menge applaudiert angesichts der starken Worte des Mannes aus Tallahassee. Doch über Trump: kein Wort.
„Es ist sehr bezeichnend, dass sie denkt, dass mein Hauptaugenmerk auf ihr liegen soll, anstatt unseren Staat auf einen zweiten Hurrikan vorzubereiten.“
Denn über den Präsidentschaftskandidaten reden, das muss der Gouverneur nicht. Das erledigt der Ex-Präsident lieber selbst. Etwa im nationalen Fernsehen bei Fox News, wenn er über die illegale Migration spricht oder darüber, dass die „verteufelte Biden-Harris-Administration“ den Amerikanern täglich das Geld aus der Tasche zieht. Worte, die landesweit ausgestrahlt werden und auch in Florida verfangen. Denn der Ton wird von Tag zu Tag schärfer. Auch an einem Ort, wo solche Misstöne am wenigsten erwartet werden: an der Wahlurne.
Denn neben der in Deutschland bekannten Briefwahl können US-Amerikaner bereits zwei Wochen vor dem eigentlichen Stichtag wählen. Und davon machen zahlreiche Menschen an einer der unzähligen „Early Voting“-Möglichkeiten in Cape Coral Gebrauch. Vor dem Wahllokal taucht endlich das auf, was jeder Deutsche bei einer Wahl kennt: Wahlplakate.
In aller Couleur, denn nicht nur der Präsident, sondern auch Teile des Kongresses, des Senats und zahlreiche Ämter auf lokaler Ebene werden gewählt. Zudem stimmen die Wahlberechtigten in Florida noch über zahlreiche „Amendments“, also Zusatzprotokolle der Landesgesetze ab. Das sorgt dafür, dass die Wahlzettel über vier Seiten gehen.
Apropos Wahlzettel: Dass Florida weiter auf Papier setzt und nur durch Wahlmaschinen beim Auszählen „unterstützt“ wird, ist dem 7. November 2000 zu verdanken. Beim Präsidentschaftswahlkampf zwischen dem texanischen Gouverneur George W. Bush (R) und Vize-Präsident Al Gore (D) muss in Florida nach Unregelmäßigkeiten und einem Einspruch Gores beim Obersten Gerichtshof die Auszählung zweimal stattfinden. Bush gewann den Bundesstaat Florida und die Wahlmänner mit wenigen Stimmen Vorsprung und wurde Präsident. Dass Bushs Bruder Jeb Bush zum damaligen Zeitpunkt Gouverneur Floridas war, sorgt bis heute für Gesprächsstoff. Seit nun 24 Jahren greift Florida daher auf das altbewährte System zurück.
Vor dem Wahllokal haben sich die Anhänger der beiden Lager positioniert. Die Anhänger der Demokraten haben festlich geschmückt und verteilen Poster ihrer Kandidatin Kamala Harris. Das Trump-Lager stützt sich auf Fahnen und einer Plattform auf einem Pick-up. Die Stimmung ist angespannt.
Die meisten Gegner der Demokraten machen ihren Unmut mit herabgesenkten Daumen, Buh-Rufen oder Mittelfingern deutlich. Eine ähnliche Kritik gibt es beim Stand der Republikaner augenscheinlich nicht. Nur die verteilten „MAGA“-Kappen werden seltener entgegengenommen als die Bilder von Harris.
MAGA, eines der Stichworte der Trump-Kampagne, steht für „Make America great again“. Amerika wieder groß machen, das wollte Präsident Trump bereits bei seiner Kampagne 2016, die er erfolgreich gewann. Mit dem Slogan „Keep America great“ verfing der Präsident 2020 nicht bei seinen Wählern. Nun setzt der gebürtige New Yorker wieder auf MAGA.
Beide Kandidaten hoffen, in den so entscheidenden „Swing States“ - also den unentschlossenen Staaten - wie Pennsylvania, North Carolina und Nevada punkten zu können. Ein Sieg von Kamala Harris in Florida wäre ein Paukenschlag - und möglicherweise entscheidend dafür, wer der nächste Präsident der Vereinigten Staaten wird. Und möglicherweise tragen am Ende die Handvoll Wittgensteiner Wähler auch dazu bei, wer der nächste Präsident wird. Denn jede Stimme, ob von nah oder fern, zählt.