Premiere in Deutschland: Balanceakt zwischen zwei Windrädern
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Bad Laasphe. Extremsportler erfüllen sich in Bad Laasphe einen Traum. Sie balancieren auf einer Slackline 140 Meter über dem Boden. Mit Fotostrecke.
Sie nennen sich selbst die „Konnektonauten“ und sind „auf der Suche nach den ganz speziellen Herausforderungen“, erklärt Jens Decke. Er ist einer von acht Slackline-Artisten, die am Montag und Dienstag in Bad Laasphe eine ganz besondere Herausforderung gefunden haben. Ihr Projekt heißt „Balanceakt Energiewende.“ Und am Ende steht sogar ein deutscher Rekord.
Sie haben ein hochfestes Band – eine Highline – zwischen zwei Windkraftanlagen gespannt und sind anschließend darüber balanciert. In 140 Metern Höhe über Grund und 450 Meter weit. Die Frage nach dem Warum, beantwortet Decke ganz einfach: „Windkraftanlagen sind ganz tolle Ankerpunkte. In der Natur gibt es so etwas nicht.“ Dort gibt es andere Herausforderungen, wie zum Beispiel eine Slackline zwischen zwei Gipfel der Dolomiten zu spannen, oder eine 150 Meter lange Highline über den Vettisfossen zu spannen. Damit überquerten die Konnektonauten bereits den mit 273 Metern höchsten Wasserfall in Nordeuropa.
So sehen die Konnektonauten die Welt aus 140 Metern Höhe
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„Tiefer und länger haben wir schon gemacht, aber eine Line zwischen zwei Windkraftanlagen gab es in Deutschland noch nicht. Das ist eine Premiere.“
Immer geht es entweder hoch hinaus oder die zu überwindende Kluft ist lang. In Bad Laasphe ist es beides. „Tiefer und länger haben wir schon gemacht, aber eine Line zwischen zwei Windkraftanlagen gab es in Deutschland noch nicht. Das ist eine Premiere“, berichtet Nikolai Philipp. Um sich diesen Traum erfüllen zu können, haben die Konnektonauten viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. „Der Genehmigungsprozess hat vier Jahre gedauert. Wir haben Anlagenbetreiber und Hersteller überzeugen müssen“, berichtet Jens Decke. Die Wittgenstein Gruppe in Bad Laasphe war nicht der erste Windparkbetreiber, den die Konnektonauten angeschrieben hatten. Hier aber landete die Post im Dezember auf dem Schreibtisch von Jan Philipp Krämer. Der Operations Manager ist für die technische Betriebsführung zuständig. Krämer schmunzelt, legt die Bitte aber doch der Geschäftsführung vor. Karl Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg ist begeistert und gibt grünes Licht. „Das ist eine tolle Motivation und eine gute Zusammenarbeit mit der Wittgenstein Gruppe“, freut sich Konnektonaut Jens Decke. Für die Wittgenstein Gruppe ist es Werbung in eigener Sache. „Ich finde den Titel Balanceakt Energiewende sehr gut. Er beschreibt sehr gut, was wir hier machen. Denn auch unsere Windkraft-Projekte sind immer wieder in Gefahr, von Genehmigungsbehörden abgelehnt zu werden. Der Unterschied ist, wir haben für unsere Planungskosten von einer Million pro Anlage keine Absturzsicherung.“
„Denn auch unsere Windkraft-Projekte sind immer wieder in Gefahr, von Genehmigungsbehörden abgelehnt zu werden. Der Unterschied ist, wir haben für unsere Planungskosten von einer Million pro Anlage keine Absturzsicherung.“
Schwierige Genehmigung
Mit der Zustimmung der Windkraftbetreiber sind nicht alle Hürden für die Höhen-Artisten ausgeräumt. „So ein Genehmigungsverfahren ist nicht mal eben so gemacht“, sagt Jan Philipp Krämer und präsentiert einen ganzen Aktenordner voller Papier. Alles muss mit dem Anlagenhersteller Vestas abgestimmt sein und die Flugaufsicht muss ebenfalls eine Genehmigung erteilen. Aber auch da gibt es schnell ein Ja. „Wir haben gesehen, wie professionell sie aufgestellt sind“, berichte Krämer über die Konnektonauten, die nicht nur eine bloße Idee, sondern auch statische Berechnungen mitliefern. Außerdem sind viele als Industriekletterer erfahren.
„Wir haben gesehen, wie professionell sie aufgestellt sind.“
Was todesmutig, ja leichtsinnig aussieht, ist im Grunde eine ziemlich genau berechnete Angelegenheit, erläutert Nikolai Philipp. Die Line ist zwar nur 2,5 Zentimeter breit, aber dadurch auch wenige Windanfällig. Sie wird mit 2000 Kilogramm Zug vorgespannt. Das reicht. Das maximale Gewicht, das sie halten kann, ist auch um ein Vielfaches höher als die maximal 800 Kilo, die einwirken, wenn ein Mann spontan vom Seil fällt. Das klingt alles sehr mathematisch. Kein Wunder: Er ist im Hauptberuf Lehrer für Physik und Mathematik in Berlin. Ganz ungewöhnlich ist das für eine Konnektonauten oder für die große Community der Slackliner und Highliner nicht. „Man muss schon ein bisschen nerdig sein“, sagt Nikolai Philipp. Viele hätten auch im Beruf mit Physik zu tun, oder sie sind Kletterer. Jens Decke beispielsweise, macht gerade seinen Doktor in Strömungsmechanik.
Auf der Line kommt es aber nicht mehr auf Mathematik an, sondern darauf eins mit sich zu sein und konzentriert. . „Eine so exponierte Line gibt es ganz selten. Deswegen waren wir mit mehr Respekt und viel langsamer unterwegs“ berichtet Ruben Langer. Und sein Konnektonauten-Kumpel Jens Decke erläutert, was das Besondere ist: „Man hat hier keine Fokuspunkte für die Augen. Die Windkraftanlagen sind einfach sehr filigran, anders als wenn man auf Gebäude zuläuft. Hier hat man nur den Blick auf die Highline.“
Das sind Konnektonauten
Die Konnektonauten sind ein 2020 in Kassel gegründeter gemeinnütziger Verein. Zwar sei der Slackline oder auch Highline-Sport ein Individualsport, doch ein Freundeskreis aus Gleichgesinnten hat sich in dem Verein als Team zusammengefunden, um gemeinsam auf der ganzen Welt Projekte zu verwirklichen, heißt es auf der Internetseite der Konnektonauten. Und tatsächlich sind auch die Sportler, die in Bad Laasphe zwischen zwei Windrädern balancieren, aus vielen Teilen Deutschlands zusammengekommen.
In Bad Laasphe waren Nikolai Philipp, Hens Decke, Ruben Langer, Peter Bessler, Manik Esche, Mara Hebel, Gregor Lawranz und Sören Alt auf der Line.
Aber wie kommt man auf diesen Sport? Nikolai Philipp kam über die Slackline in einem Berliner Park zum Highlinen. „Ich hatte damals Probleme mit dem Sprunggelenk, bin oft umgeknickt und hab darin auch eine Art Therapie gesehen.“ Dann wurden die Slacklines immer länger und irgendwann höher. Auf die Frage, wie seine Eltern auf sein Hobby reagiert haben, schmunzelt Nikolai Philipp. „Als meine Mutter den ersten vom Seil hat fallen sehen, hat sie geschrien. Als sie dann gesehen hat, dass nichts passieren kann und wir Spaß dabei haben, war alles gut.“
Viel gefährlicher als die artistischen Auftritte der Konnektonauten seien die Slackline-Versuche der Anfänger. Aber nicht nur, weil man seine Balance auf der Line erst finden muss und stürzen kann, sondern auch wegen der fehlenden Erfahrung beim Spannen der Lines. Hängt das Band nur 30 Zentimeter über dem Boden, hat es weniger Raum zum Durchhängen und wird häufig zu fest gespannt. Schon dabei habe es schwere Verletzungen gegeben. Und Slackline-Anfänger machen sich oft wenig Gedanken um Schäden, die sie an Bäumen anrichten können. „Deswegen ist unser Sport in vielen Parks verboten“, berichtet Nikolai Philipp und bittet alle Slackliner, die Bänder nur mit Baumschutz zu verwenden.
Ideale Fixpunkte für eine Slackline
Wenn aus der Slackline eine Highline zwischen zwei Windkraftanlagen wird, dann gibt es auch viel zu beachten. Aber laut Jens Decke, kann die Highline in den beiden Gondeln der Turbinenhäuser sehr gut festgemacht werden. Die Ankerpunkte dort dienten bereits dazu, die 60 Tonnen schweren Generatorengondeln in 140 Meter Höhe zu hieven. Die halten ein Vielfaches der Maximal-Belastung von 800 Kilogramm.
Aber was hält den Artisten auf der Line und am Leben: Jens Decke betont, alles ist redundant, also doppelt gesichert. Jeder auf der Slackline ist mit einem einen Meter langen Seil und einem Klettergurt gesichert. Das Seil ist nur deshalb so kurz, damit man schnell wieder auf die Line klettern kann.
Und tatsächlich als am Montagnachmittag alle Vorbereitungen abgeschlossen sind und mit Peter Bessler der erste Konnektonaut auf die Line steigt, stockt den Menschen am Boden direkt der Atem, weil er fällt. Aber es ist genau so, wie es Jens Decke und Nikolai Philipp beschrieben haben. Nur Sekunden später hat sich Bessler wieder auf die Line hochgezogen und setzt seinen 450 Meter langen Weg in luftiger Höhe fort. Nur zweimal muss er kurz stoppen und sich auf die Line setzen. Der Wind ist unberechenbar. Aber nach gut einer halben Stunde kommt er am anderen Mast an. Er hat als erster der acht den Balanceakt Energiewende geschafft. Noch am selben Tag laufen alle acht Konnektonauten über die Line. Mit Mara Hebel schafft am Dienstagvormittag gegen 10 Uhr auch die erste weibliche Konnektonautin den Nonstop-Walk und stellt damit einen deutschen Frauen-Rekord auf.
Dass bei solchen Rekorden noch nicht Schluss ist, zeigt eine Idee, die die Wittgenstein-Gruppe und die Konnektonauten diskutieren: Eine drei Kilometer lange Highline zwischen zwei Windrädern, die das gesamte Tal überspannt.
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