Wittgenstein. Unsere Redaktion spricht mit Betreibern von Solaranlagen und Windrädern – Ergebnis: Die Kommunen setzen auf ganz unterschiedliche Modelle.
Schlaflose Nächte, störendes Landschaftsbild oder doch Vogel-Schredder-Maschine? Die Liste der Vorurteile gegenüber den Windkraftanlagen – aufgelistet zum Teil beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz – ist lang. Kaum eine alternative Energie wird so sehr diskutiert wie die Windkraft. Dabei leisten erneuerbare Energien einiges – Solaranlagen und Windräder machen den Strom grüner und nachhaltiger. Doch was hat der Bürger am Ende davon und wie sind die Wittgensteiner Kommunen in Sachen erneuerbarer Energie aufgestellt? Wir haben mit Sonya Harrison von WestfalenWind und Alexander Blecher von der Energiegenossenschaft Wittgenstein gesprochen. Ehe es aber konkret um die einzelnen Energiemöglichkeiten geht, werfen wir einen Blick auf den aktuellen Stand.
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Und da wird deutlich: Die Wittgensteiner Kommunen setzen derzeit auf ganz unterschiedliche Modelle in Sachen erneuerbare Energien. So hatte Bad Laasphe im Jahr 2020 (Stand: 13. Dezember) einen Anteil von 80,9 Prozent erneuerbare Energien am gesamten Stromverbrauch – davon 73,3 Prozent Windkraft und 6,2 Prozent Photovoltaik. Zum Vergleich: In Bad Berleburg sind es gerade einmal 9,8 Prozent am gesamten Stromverbrauch – 5,9 Prozent fallen auf die Windkraftanlagen. Anders in Erndtebrück: Hier setzte man bislang auf die Biomasse. Insgesamt 53,6 Prozent des gesamten Stromverbrauchs stammen daraus, ist dem aktuellen Energieatlas NRW zu entnehmen.
Energiegenossen: Optimale Ergänzung
Akzeptanz und Bürgerbeteiligung
Das Ministerium hat die bedarfsgerechte Nacht-Kennzeichnung für bestehende und neue Windparks eingeführt. Ende 2022 endet die Frist für die Nachrüstung. „In Zukunft werden die roten Lampen nur noch blinken, wenn sich ein Luftfahrzeug dem Windpark nähert.“In der EEG-Novelle 2021 wurde eine finanzielle Beteiligung der Kommunen beim Ausbau der Windenergie verankert. Kommunen im Umkreis von 2,5 Kilometern um neue Windenergieanlagen erhalten 0,2 Cent pro erzeugter Kilowattstunde und werden so angemessen beteiligt an der Wertschöpfung der Windenergie-Nutzung.
Und auch die Zahlen des Bundesministeriums zeigen: Der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch wächst beständig: von rund sechs Prozent im Jahr 2000 auf rund 46 Prozent 2020. Doch: Bis zum Jahr 2030 sollen 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien stammen. So sieht es das Erneuerbare-Energien-Gesetz – kurz EEG – vor. Bis dahin ist es ein weiter Weg.
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Seit Wochen steigen die Preise – auch die des Stroms. Wichtig dabei aber ist: „Der Ukraine-Krieg hat nichts an der Notwendigkeit und der Motivation der Energiewende verändert. Dieser Krieg im Osten hat nur allen Leuten aufgezeigt, welche politischen und wirtschaftlichen Aspekte hinter einer unabhängigen Energieversorgung stecken. Wenn wir eine stabile Energieversorgung haben wollen, führt an der Energiewende kein Weg vorbei“, sagt Alexander Blecher von der Wittgensteiner Energiegenossenschaft. Und er weiß: „Realistischerweise haben wir in Deutschland für die Energiewende nur die Möglichkeit für mehr Photovoltaik und Windkraft. Andere Energieformen wie Wasserkraft lassen sich kaum noch umsetzen.“
Herausforderung: Das Stromnetz muss flexibler sein
Vereine unterstützen
Die Energiefirma WestfalenWind betreibt unter anderem Stiftungen, um Vereine zu unterstützen. Ein Teil des Erlöses der Windkraftanlagen fließt dort hinein. In Wünnenberg könnten so rund 180.000 Euro für Vereine ausgegeben werden.Für die Pläne in Wittgenstein findet am 1. April ein Scopingtermin statt. „Wir bieten den Kommunen die wie im Gesetz verankerten 0,2 Cent pro produzierter Kilowattstunde an.“ Das wären bei 18 Millionen Kilowattstunden im Jahr 36.000 Euro pro Anlage.
Die Vorteile hierbei seien, dass sich Windkraft und Photovoltaik gut tageszeitlich und jahreszeitlich ergänzen. „Die Herausforderung ist, dass unser Stromnetz für diese Energieformen flexibler werden muss und dass die Windkraft an Land aufgrund ihrer Auswirkungen umstritten ist“, so Blecher.
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Um mehr Akzeptanz seitens der Bürgerschaft zu erhalten, sei es daher wichtig, dass die Energiewende Vorteile für die Bürger schafft. „Wenn ich mit einer Photovoltaik-Anlage – egal ob ein kleines Balkon-Modul oder größer auf dem Dach – selbst zum Energieproduzenten werde, spare ich nicht nur Geld, sondern habe auch ein gutes Gefühl und mache mich unabhängig.“ Die Windkraft biete sich angesichts der riesigen Kahlschlag-Flächen an, bleibe aber eine umstrittene Energieform. Aber nur so könne man sich langfristig unabhängig von Energie-Importen machen.
Kernkraft ist keine Alternative
Entscheidend für die weitere Unabhängigkeit bei der Energiebeschaffung sei es aber nicht, jetzt auf Steinkohle oder Kernkraft zu setzen, „welche beide wieder neue Import-Abhängigkeiten schaffen“. Der einzige Weg ist laut Blecher ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien Wind und Solar. Zudem seien sie inzwischen auch sehr günstig geworden: „Für 4 bis 9 Cent/kWh können Wind und Sonne unseren Strom produzieren. Die Stürme im Februar haben so die Kosten an der Strombörse trotz der sehr hohen Gaspreise gedämpft. Der teure Strom kommt unter anderem durch sehr hohe Abgaben und Steuern. Wichtig ist hier, diese Zusatzkosten zu reduzieren, da Strom als Energieträger der Zukunft günstig sein muss, damit dieser in allen Bereichen genutzt werden kann“, so Blecher.
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Kernkraft sei hingegen keinerlei Alternative – selbst unabhängig vom Sicherheitsrisiko: „Kernkraft ist zu teuer, der Bau dauert zu lange und es gibt zu viele Risiken verschiedenster Art.“ Für Wittgenstein hingegen gebe es derzeit noch ein riesiges Potenzial an „nackten Dächern“, welche mit Photovoltaik belegt werden könnten, ist sich Blecher sicher. Und wenn es kein Dach gibt? „Der Balkon ist ein guter Anfang für eine kleine Photovoltaik-Anlage.“
WestfalenWind: Vorteile für Bürger
WestfalenWind setzt unter anderem auf Windkraft – insgesamt 59 Windkraftanlagen plant die ostwestfälische Energiefirma in Wittgenstein. „Die Standorte sind für uns aus gleich mehreren Gründen attraktiv“, so Sonya Harrison von WestfalenWind. Zum einen seien die Kalamitätsflächen aus Artenschutzgründen unproblematischer als beispielsweise der Ackerbau. „Wir reden hier von Greifvögeln – oft geht es um den Rotmilan. Der geht auf den Äckern nach Mäusen jagen, aber nicht im Forstwald.“ Ein weiterer Pluspunkt für Wittgenstein seien die Hügelflächen. „Das sind gute Windstandorte“, so Harrison. Der Stromertrag dort sei relativ hoch. Moderne Windkraftanlagen können pro Jahr bis zu 18 Millionen Kilowattstunden produzieren – und somit rund 5200 Haushalte versorgen. „Windkraft ist die effektivste Art der erneuerbaren Energien.“
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Doch sie ist eben auch die am meisten diskutierte Art – das weiß auch WestfalenWind und hat in den vergangenen Jahren ein breites Portfolio an Akzeptanzmaßnahmen geschaffen. „Uns ist Transparenz und die Bürgerbeteiligung sehr wichtig – ebenso die Zusammenarbeit mit Energiegenossenschaften und den Landverpächtern.“ Als erfolgreiches Beispiel sei hier unter anderem das Sauerländer Dorf Meerhof genannt. Die Bürger dort haben den günstigsten Stromtarif in ganz Deutschland – gestützt durch die Windkraftanlagen rund um den Ort. „Der Bürger muss am Ende auch etwas davon haben, dass sich bei ihnen ein Windkraftrad dreht.“